Schweiz:Volkes Stimme

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Mit ihrer Ausländer-Initiative haben die Rechtspopulisten der SVP den Bogen überspannt. Die Schweizer wollen keinen Totalitarismus.

Von Charlotte Theile

Wenn Schweizer darüber reden, wie ihr Land wahrgenommen wird, dann gibt es oft diesen Moment. Ein skeptischer Blick, gefolgt von der Frage: "Jetzt mal ehrlich - interessiert das im Ausland überhaupt jemanden?" Meist folgen dann zwei schnelle entschuldigende Sätze, die Schweiz sei natürlich ein kleines Land, verständlich, wenn man anderswo andere Probleme habe.

An diesem Sonntag war alles anders. Der NSA-Whistleblower Edward Snowden gratulierte vom russischen Exil aus, die britische BBC befragte gleich mehrere Zürcher Journalisten, der deutsche Justizminister fand es "eindrucksvoll", wie die Schweizer den Unterschied zwischen "Stammtischparolen und Volkes Meinung" kundgetan hatten.

Die Rechtspopulisten der SVP haben den Bogen überspannt

Die Schweiz, dieser Sehnsuchtsort rechter Populisten in Europa, hat eine Botschaft ausgesandt, die sie sich selbst wohl kaum zugetraut hat: Mitten in der Flüchtlingskrise, auf dem Höhepunkt von Überfremdungsangst und Unsicherheit in ganz Europa, sprachen sich fast 60 Prozent der Schweizer gegen schärfere Regeln bei der Abschiebung krimineller Ausländer aus. Das Ergebnis war die Folge eines Meinungsumschwungs, wie ihn Umfragenexperten selten erleben: Noch im Dezember wollten fast zwei Drittel der Bürger für die Initiative stimmen.

Was seitdem geschah, weist über die kleine Schweiz hinaus. Denn im Wahlkampf wurde bald eben nicht mehr über rumänische Einbrecher oder die Übergriffe am Kölner Hauptbahnhof diskutiert. Zum großen Thema wurde die Verwundbarkeit der demokratischen Rechtsordnung. Das Misstrauensvotum gegen die Schweizer Richter, als das Vertreter der rechten Schweizerischen Volkspartei (SVP) ihre Initiative zunächst verkauft hatten, wurde zum Bumerang. Schon bald beeilten sich SVP-Politiker zu betonen, dass sie der Justiz nicht alle Abwägung aus der Hand nehmen wollten. Doch der detaillierte Strafkatalog und der kategorische Ausschluss jeder Härtefallklausel, die das Referendum vorsahen, ließen wenig Raum für Interpretation: Wäre die Initiative angenommen worden, hätten Schweizer Richter in vielen Fällen den Einfluss auf das Strafmaß verloren.

Dazu kam der Name: "Durchsetzungsinitiative". Er bezog sich zwar auf die schon 2010 angenommene "Ausschaffungsinitiative", welche die SVP nun in ihrem Sinne durchgesetzt sehen wollte. Bei vielen Bürgern weckte der Name jedoch andere Assoziationen: Im Land der direkten Demokratie ging plötzlich die Angst vor dem Totalitarismus um.

Es gehört zu den Besonderheiten des schweizerischen Systems, dass mit der Ablehnung der Durchsetzungsinitiative ein alternatives - und ebenfalls scharfes - Abschieberegime für kriminelle Ausländer angenommen wurde. Darin finden sich weniger Bagatelldelikte, die zur Ausweisung führen sollen. Der Landesverweis aber soll auch hier automatisch erfolgen, nur in Ausnahmefällen sollen Richter davon absehen können.

Diese Klausel stand im Zentrum der Auseinandersetzung. Nun stellt sich die Frage, wie sie interpretiert werden wird: Machen die Richter großzügig Gebrauch von der Ausnahmeregel, dann sind Konflikte mit der SVP programmiert. Schon am Sonntag hatte die Partei angekündigt, über jede nicht vollzogene Abschiebung Buch führen zu wollen. Auf der anderen Seite steht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Auch er beobachtet die Rechtsprechung in der Schweiz genau und hat das Land schon in der Vergangenheit wegen seiner harten Abschiebepraxis gerügt.

Für Populisten sind Verfassungen und internationale Verträge immer öfter ein Ärgernis. Wenn Horst Seehofer von geschlossenen Grenzen träumt, weiß er um den Widerspruch zum Grundgesetz, das ein Asylrecht für politisch Verfolgte festhält, und um die Personenfreizügigkeit in der EU. Auch die SVP hat sich inzwischen auf internationale Verträge eingeschossen. Im Moment sammelt die Partei Unterschriften für eine Verfassungsänderung, die zum Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention führen könnte. Der Kampfruf lautet: "Schweizer Recht statt fremde Richter".

Politologen sehen in dieser Initiative eine Grundsatzentscheidung über den Weg, den die Schweiz einschlagen will. Bei vorherigen Abstimmungen, etwa über Minarette oder Zuwanderungsquoten, waren die Argumente vielfältig, die Gegner der SVP wirkten oft hilflos. Doch nun scheint eine Strategie gefunden zu sein: Wer die Rechtspopulisten schlagen will, muss sie beim Wort nehmen und mit ihnen diskutieren, wohin die Reise gehen soll. Damit trifft man sie an ihrer empfindlichsten Stelle. Denn die Antwort heißt nicht: zu mehr Demokratie.

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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