Schweiz-Europa:Ans Eingemachte

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Die Schweizer Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga (rechts) begrüßt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Davos. (Foto: Alessandro della Valle/Reuters)

Bern und Brüssel ringen um einen Rahmenvertrag. Die EU verliert langsam die Geduld: Über das Abkommen wird schon seit 2014 verhandelt.

Von Isabel Pfaff, Bern

Offenbar hatten sich die beiden neuen Präsidentinnen einiges zu sagen. Verspätet tritt Simonetta Sommaruga, dieses Jahr Schweizer Bundespräsidentin, nach ihrem Treffen mit Ursula von der Leyen, Chefin der EU-Kommission, vor die Mikros in Davos. Man habe ein äußerst konstruktives Gespräch in freundlicher Atmosphäre geführt, sagt die sozialdemokratische Ministerin, und der informelle Rahmen des Davoser Weltwirtschaftsforums habe sicherlich geholfen, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Diese Sätze der Schweizer Bundespräsidentin sind keine Banalität. Denn die Temperaturen an diesem Montag in Davos passen zum Stand der aktuellen Beziehungen zwischen Bern und Brüssel: Sie liegen gewissermaßen auf Eis. Das hat mit einem Abkommen zu tun, über das die beiden Partner seit 2014 verhandeln und das immer noch nicht unterzeichnet ist. Es geht dabei um Berns kompliziertes, aber bisher dennoch harmonisches Verhältnis zur EU: Die Schweizer, das ist seit vielen Jahren klar, wollen der Union nicht beitreten.

Sie wünschen sich aber enge Beziehungen zu dem Bündnis, insbesondere auf wirtschaftlicher Ebene. Und so verbindet die Partner ein dichtes Geflecht bilateraler Verträge, das den Schweizern einen privilegierten Zugang zum europäischen Binnenmarkt ermöglicht. Für beide Seiten hat dieses Konstrukt bisher einen fruchtbaren Austausch ermöglicht: Jeden Tag tauschen die Schweiz und die EU Waren im Wert von einer Milliarde Franken. Die EU ist mit Abstand die wichtigste Handelspartnerin der Schweiz; mehr als 60 Prozent des Gesamtwarenhandelsvolumens macht der Austausch mit europäischen Partnern aus. Umgekehrt ist die kleine Schweiz die drittwichtigste Handelspartnerin der EU, nach den USA und China.

Doch vor einigen Jahren begann Brüssel darauf zu drängen, den bilateralen Weg zwischen der EU und der Schweiz zu festigen. Das Ziel: die bestehenden Verträge unter einem institutionellen Dach zu bündeln. So könnten sie bei Veränderungen von EU-Recht leichter aktualisiert werden, in Streitfällen gäbe es einen Schlichtungsmechanismus, und auch neue Verträge könnten in diesen Rahmen integriert werden. Vier Jahre, bis Ende 2018, verhandelte Bern mit Brüssel über diesen Rahmenvertrag. Seither liegt der Entwurf auf dem Tisch - und passiert ist so gut wie nichts. Zunächst wollte die Schweizer Regierung ausloten, welche Chancen der Vertrag im Land hat - immerhin hat das Schweizer Stimmvolk im Zweifelsfall das letzte Wort. Im Juni 2019 dann wandte sich der Bundesrat an Brüssel und kündigte an, dass man in einigen Punkten noch Klärungsbedarf habe. Nur: Geklärt wurde seither nichts.

Solange es mit dem Abkommen nicht vorwärts geht, verweigert Brüssel Anpassungen

Aus Schweizer Sicht ist dieses schleppende Tempo nichts Ungewöhnliches. Politische Prozesse dauern in diesem Land länger - eben weil die Bevölkerung ein so großes Mitspracherecht hat, das mitgedacht werden muss. Und so gibt es fast immer irgendein innenpolitisches Ereignis, das die Entscheidungsträger lieber abwarten möchten, bevor sie sich außenpolitisch aus dem Fenster lehnen. Erst war das die Abstimmung über das neue Waffenrecht im Mai 2019, dann die nationalen Wahlen im Oktober. Und nun steht im Mai ein Referendum an, das die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) angestrengt hat: die Abstimmung über die sogenannte Begrenzungsinitiative. Sie hat zum Ziel, dass die Schweiz die Zuwanderung von Ausländern künftig wieder eigenständig steuern kann und richtet sich damit gegen den Kern der bilateralen Verträge mit der EU, die Personenfreizügigkeit. Einerseits verständlich, dass die Regierung in Bern abwarten möchte, wie die Bevölkerung zu dieser Frage Stellung nimmt. Dass auf der anderen Seite des Verhandlungstisches die Geduld immer weiter abnimmt, verwundert allerdings auch wenig.

Das Treffen zwischen den beiden Präsidentinnen ist deshalb vor allem symbolisch von Bedeutung: Man bleibt im Gespräch. Sommaruga betont: "Heute haben wir einander vor allem zugehört." Dann geht sie aber doch ins Detail und erwähnt das Abkommen zum Abbau technischer Handelshemmnisse (MRA). Ende Mai nämlich wird die EU neue Regeln einführen bei der Zulassung von Medizintechnikprodukten - ein für die Schweiz bedeutender Wirtschaftszweig. Damit die Branche auch unter den neuen Regeln in die EU verkaufen darf, müsste das MRA aktualisiert werden. Doch solange es mit dem Rahmenabkommen nicht vorwärts geht, verweigert Brüssel solche Anpassungen. Man erhoffe sich von der EU ein Entgegenkommen, sagt Sommaruga. Dabei gehe es nicht nur um eine rechtliche Frage, sondern letztlich auch um die Sicherheit von Patienten in der EU.

Es geht inzwischen ans Eingemachte zwischen Bern und Brüssel, um Druck und Gegendruck - das ist an diesem Montag deutlich zu spüren. Wie es mit dem Tauziehen weitergeht, wird sich spätestens in vier Monaten zeigen.

© SZ vom 21.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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