Schweiz:Die Rache des SVP-Patrons

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Ein Plakat von der Wahlkampagne zweier SVP-Mitglieder. Die SVP erreichte bei der Parlamentswahl am 18. Oktober knapp 30 Prozent. (Foto: Gian Ehrenzeller/dpa)

Nach ihrem Wahlsieg beanspruchen die Rechtspopulisten in der Schweiz einen weiteren Kabinettsposten. Nun will der 75-jährige Christoph Blocher seinen Kandidaten durchsetzen - ein Machtkampf.

Von Charlotte Theile, Bern

Die Stadt, über die man sagt, sie habe die langsamste Schrittgeschwindigkeit in Europa, scheint an diesem Mittwoch noch etwas ruhiger zu sein als sonst. Laub weht durch die Straßen, die Sonne scheint, das Thermometer zeigt 15 Grad. Eine Gruppe Schüler hat sich zur Führung durch das Bundeshaus angemeldet, gelangweilt warten sie auf dem Platz vor dem Parlament, dass es losgeht. Hektische Abgeordnete, summende Handys, quietschende Autoreifen? Fehlanzeige. Es sei keine Pressekonferenz geplant, schreibt die Informationsbeauftragte der Bundeskanzlei am Morgen, zwei Stunden später die nächste Mail: Es sei, wie bereits angekündigt, keine Pressekonferenz geplant.

Ein Regionalsender, TeleZüri, weiß es da angeblich schon besser: Noch an diesem Nachmittag werde Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf mitteilen, ob sie weiter im Bundesrat bleiben wolle - was zu diesem Zeitpunkt niemand mehr für realistisch hält. Die Entscheidung von Widmer-Schlumpf ist für die Regierungsbildung der Schweiz entscheidend: Mit ihrem Rücktritt, den sie gegen 17 Uhr bekannt gibt, kann die SVP relativ freihändig ihren Wunschkandidaten aufstellen. Hätte Widmer-Schlumpf im Amt bleiben wollen, wäre es schwieriger geworden. Die Finanzministerin hat einen guten Ruf, sich über die Parteigrenzen hinweg als nüchterne, fleißige Politikerin Respekt erworben. Einen rechten Hardliner ins Feld zu führen hätte sich die Partei eher nicht erlauben können.

Nun steht ihr dieser Weg offen. Seit der Wahl vom 18. Oktober, bei der die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei (SVP) einen historischen Sieg erreichte, weiß man, dass sich in der Schweizer Politik einiges verändern wird. Die Bürgerlichen Demokraten, zu denen Widmer-Schlumpf gehört, sind die großen Verlierer der Wahl, nur gut vier Prozent der Schweizer gaben der Mitte-Partei ihre Stimme. Dass eine so kleine Partei im Bundesrat repräsentiert sein soll, ließ sich kaum noch rechtfertigen. Die SVP dagegen, die inzwischen 29,4 Prozent der Wähler hinter sich weiß, ist mit einem von sieben Bundesräten in der Regierung unterrepräsentiert. Nicht nur die liberale FDP, auch die Christdemokraten haben sich in den letzten Tagen mehr oder weniger deutlich geäußert - wer die SVP nicht genügend einbinde, müsse sich nicht wundern, wenn sie sich als Opposition inszeniere.

Doch welcher SVP-Exponent ist geeignet, in die Regierung aufzusteigen? Hierüber ist in den letzten Tagen ein Machtkampf entbrannt, wie ihn die Schweiz bisher selten erlebt hat - und der sich nun, nach dem Rücktritt, noch steigern dürfte.

Kaum eine Politikerin ist in der SVP so verhasst wie Eveline Widmer-Schlumpf

Nur drei Tage nach der Wahl rief die Weltwoche von Verleger Roger Köppel, der für die SVP in den Nationalrat gewählt worden ist, Parteipräsident Toni Brunner als "natürlichen Bundesrat" aus. Am Wochenende doppelte SVP-Patron Christoph Blocher, 75, im Interview mit der Schweiz am Sonntag nach: Er und seine Frau Silvia versuchten gerade alles, um den 41-jährigen Landwirt zur Kandidatur zu bewegen. Doch dieser wolle einfach nicht: "Ganz jeden Mist mache er seinem Vorbild Blocher nicht nach, sagte er meiner Frau."

Beteuerungen, man wolle auf keinen Fall Bundesrat werden, haben in der Schweiz Tradition. Auch Verteidigungsminister Ueli Maurer (SVP) hatte wenige Wochen vor seiner Wahl im Jahr 2008 angekündigt, er stehe nicht zur Verfügung.

Ob Brunner die Schützenhilfe von Blocher und Köppel hilft, ist eine andere Frage. Als Zögling Blochers steht Brunner für einen Wiedereinzug des milliardenschweren Unternehmers "durch die Hintertür", wie es die Boulevard-Zeitung Blick ausdrückte. Der Bauernsohn aus dem Kanton Sankt Gallen, dem einige das nötige "Format" absprechen, um Bundesrat zu werden, sei nicht viel mehr als die "Rache Blochers". Andere loben den unkomplizierten Führungsstil und das Kommunikationstalent Brunners - und sehen in der Kritik an seinem intellektuellen Format vor allem bildungsbürgerlichen Dünkel.

Allerdings spricht einiges dafür, dass die SVP bei den Bundesratswahlen am 9. Dezember Rache nehmen will. Christoph Blocher, der von 2003 an das Justizministerium führte, unterlag 2007 seiner damaligen Parteikollegin Eveline Widmer-Schlumpf. Das haben seither weder die Partei noch Blocher verwunden. Widmer-Schlumpf, die sich in den vergangenen acht Jahren als Finanzministerin einen Namen gemacht hat, ist in der SVP verhasst wie kaum eine andere Politikerin. Direkt nach ihrer Wahl wurde sie aus der Partei ausgeschlossen. Wenn die profilierte Juristin und Finanzfachfrau von Landwirt Toni Brunner abgelöst würde, wäre das ein großer Triumph für die Partei und ihre alternden Chefstrategen.

Den größten Triumph, ihre Niederlage bei einer Kampfkandidatur, hat sie ihnen nun allerdings verwehrt.

Oskar Freysinger hat mit einem fremdenfeindlichen Gedicht auf sich aufmerksam gemacht

Auch in diesem Jahr droht die SVP offen damit, Kandidaten, die nicht von der Partei selbst aufgestellt würden, auszuschließen. Besonders gemäßigte SVP-Politiker sollen damit auf Linie gebracht werden. Die Personaldecke der SVP ist dünn. Auf der Shortlist der Partei stehe keine einzige Frau, hieß es, auch moderate Kandidaten finden sich kaum. Stattdessen erklärte Oskar Freysinger, der mit einem fremdenfeindlichen Gedicht ("Kanaken, Kacke und ein Heer von Kakerlaken") und der Reichskriegsflagge in seinem Büro von sich reden gemacht hatte, er stünde bereit.

Blochers Tochter Magdalena Martullo-Blocher, die als Newcomerin im Kanton Graubünden einen Sitz im Parlament bekommen hat, sei ebenso wenig geeignet wie Weltwoche-Chefredakteur Roger Köppel, hatte der Partei-Patron verkündet - beide würden anderweitig gebraucht.

Ein weiterer Mann, der für den Bundesrat nach eigener Aussage nicht zur Verfügung steht, ist Peter Spuhler. Der CEO des Schienenfahrzeug-Herstellers Stadler Rail sei beruflich eingebunden, ließ er verlauten. Spuhler gilt als gemäßigter SVP-Politiker, der in Wirtschaftskreisen gut ankommt. Selbst Blocher nannte ihn einen "valablen Kandidaten".

In Bern wird die Ruhe an diesem Nachmittag zum hektischen Warten. Widmer-Schlumpf sei in einer Sitzung zur Europapolitik, die Konferenz verzögere sich, heißt es. Ein Countdown, der das Ende ihrer Amtszeit markieren sollte, läuft ins Leere. Bis um 17 Uhr klar ist: 2016 ist Widmer-Schlumpf nicht mehr im Amt.

Jetzt geht das Warten weiter - die SVP ist am Zug.

© SZ vom 29.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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