Schiffswrack:Schatzkammer Karibik

Lesezeit: 3 min

Die Galeone "San José" sank vor mehr als 300 Jahren mit Gold, Silber und Edelsteinen an Bord. Wissenschaftler haben das Schiff nun wohl gefunden, die Reichtümer noch nicht.

Von Esther Widmann

Am 8. Juni 1708 greift die britische Marine in der Karibik eine spanische Galeone an, die San José. An Bord hat sie um die zehn Millionen Gold- und Silbermünzen aus dem spanischen Vizekönigreich Peru. Die Briten unter Admiral Charles Wager wollen nicht nur verhindern, dass mit dieser eindrucksvollen Summe im Spanischen Erbfolgekrieg die Gegner der Briten finanziert werden könnten. Sie hätten das Gold auch gerne selbst. Doch daraus wird nichts. Nach einer heftigen Seeschlacht explodiert die San José plötzlich. Fast 600 Besatzungsmitglieder und mit ihnen die zehn Millionen Pesos versinken auf dem Meeresgrund.

Dort liegen sie immer noch. Nur wo genau, das wusste 308 Jahre lang niemand. Am Freitag jedoch verkündete der Staatspräsident von Kolumbien, Juan Manuel Santos, auf Twitter: "Große Neuigkeit! Wir haben die Galeone San José gefunden!" Jahrzehntelang hatten private Schatzsucher sich bemüht, diesen "Heiligen Gral der Schiffswracks" aufzuspüren. Jetzt soll es Experten vom Kolumbianischen Institut für Anthropologie und Geschichte, der kolumbianischen Armada und der Meeresaufsicht gelungen sein.

Am 8. Juni 1708 sank die San José, wie es der Brite Samuel Scott auf seinem Gemälde dargestellt hat. (Foto: National Maritime Museum, Greenwich, London)

Das Wrack, das in der Nähe des Archipels Islas del Rosario liegt, sei anhand seiner einzigartigen Bronzekanonen mit eingravierten Delfinen eindeutig identifiziert, und auch die Ladung - beziehungsweise das, was bisher von ihr gefunden wurde - spreche dafür, dass es sich um die San José handele. "Die Menge und die Art des Materials lassen keinen Zweifel an der Identität", sagte Ernesto Montenegro, der Leiter des Instituts. Indes: Die Fotos von der Fundstelle, die Präsident Santos am Samstag gemeinsam mit den Experten in der Hafenstadt Cartagena präsentierte, zeigen verstreut liegende Kanonen und Keramikgefäße, aber kein Gold.

Experten vermuten bis zu tausend Schiffswracks allein vor Kolumbien

Das Team hatte das auf der Seite liegende Wrack am 27. November an einer Stelle entdeckt, an der es zuvor nicht vermutet worden war. Dass es dort liegen könnte, hatten die Forscher durch Hinweise in spanischen und kolumbianischen Archiven herausgefunden. Sie hatten die Winde und Strömungen rekonstruiert, die vor 307 Jahren in der Region herrschten. Mit Sonar, Spezialkameras und Unterwasserdrohnen wurden die Wrackteile schließlich auf dem Meeresgrund ausfindig gemacht. "Es war eine enorme Anstrengung, an der viele Menschen beteiligt waren", sagte Kulturministerin Mariana Garcés. Einer der beteiligten Forscher war demnach bereits 1985 bei der Entdeckung der Titanic dabei.

1 / 2
(Foto: Reuters/Kulturministerium Kolumbien)

Scherben statt Münzen: Das kolumbianische Kulturministerium präsentiert Fotos von der Fracht aus dem georteten Schiffswrack.

2 / 2
(Foto: Reuters/Kulturministerium Kolumbien)

Die Fundstelle des Wracks wird geheim gehalten.

Im 16. Jahrhundert bezeichnete das Wort Galeone ausschließlich Kriegsschiffe. Danach fand der Begriff nur noch für große spanische Schiffe Verwendung, die Waren aus den Kolonien nach Europa transportierten. Zu der Flotte, mit der die San José unterwegs war, gehörten außer 14 kleineren Handelsschiffen noch zwei weitere Galeonen, große, dreimastige und mit Kanonen bewaffnete Schiffe. Sie hatten ebenfalls Gold an Bord, jedoch in geringeren Mengen. Bis auf zwei, die jedoch keine Schätze geladen hatten, entkamen alle den Briten. Im Zuge der Suche nach der San José fand das Team noch mindestens fünf weitere Schiffswracks. Experten vermuten noch bis zu tausend Schiffswracks vor der Karibikküste Kolumbiens auf dem Meeresgrund - aber nur sechs bis zehn von ihnen mit Schätzen an Bord.

Bereits im Jahr 1981 hatte auch das private Unternehmen Sea Search Armada gemeldet, ein Wrack geortet zu haben, das die Schatzsucher für die San José hielten. Kolumbien hatte jedoch nie bestätigt, dass es sich um die fragliche Galeone handelte. In der Folge entbrannte ein jahrzehntelanger Rechtsstreit mit dem Staat Kolumbien um die Aufteilung des möglichen Goldfundes. Ein früheres Gesetz gestand dem Finder die Hälfte zu, ein späteres nur noch fünf Prozent. Im Jahr 2011 entschied ein US-amerikanisches Gericht, dass das Wrack dem Staat Kolumbien gehört.

(Foto: sz grafik)

Auch das jetzt gefundene Wrack könnte Begehrlichkeiten wecken. Seit 2009 besteht die Unesco-Konvention zum Schutz von Kulturerbe unter Wasser, die den Handel mit den Funden verhindern soll. Weder die Unesco noch das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen regeln jedoch, ob der ehemalige Eigentümer eines unter Wasser gefundenen Objektes - im Fall der San José also Spanien - Ansprüche auf Herausgabe geltend machen kann.

Es könne Jahre dauern, bis die Artefakte gehoben werden, sagt das Präsidialamt

Ob die Wissenschaftler den vermeintlichen Millionenschatz überhaupt heben können, ist jedoch noch unklar. Bislang haben sie nur Kanonen, Waffen und Gefäße aus Keramik entdeckt. Es könne noch Jahre dauern, bis die Artefakte an Tageslicht gebracht werden, kündigte das Präsidialamt an. Denn Ausgrabungen unter Wasser sind sehr aufwendig und teuer: Es braucht ausgebildete Spezialisten, die sowohl tauchen können als auch archäologische Kenntnisse haben. Sie benötigen neben der Tauchausrüstung auch wasserfestes Werkzeug, Unterwasserkameras, -stifte und Zeichenbretter, um die Funde zu dokumentieren. Und die Zeiten, die sie bei der Grabung, also unter Wasser, verbringen können, sind viel kürzer als bei einer Ausgrabung an Land.

Sea Search Armada schätzte im Jahr 2010 den Wert des Edelmetalls an Bord der San José auf zwischen vier und siebzehn Milliarden Dollar. Ob das zutrifft - und ob es sich bei dem jetzt gefundenen Wrack tatsächlich um die San José handelt -, ist nach wie vor unklar, denn präsentiert haben die Finder davon bisher nichts. Die genauen Koordinaten hält die kolumbianische Regierung aus Angst vor Schatzsuchern geheim.

Präsident Santos verkündete, es handle sich um einen der "wertvollsten unter Wasser liegenden Schätze, der in der Geschichte der Menschheit gefunden wurde". Doch der Wert von Kulturerbe bemisst sich nicht in Gold, Silber oder Dollars, sondern in dem, was es über das Leben der Menschen in der Vergangenheit erzählt. Ein paar Münzen aus dem Jahr 1708 dürften da keine große Rolle spielen.

© SZ vom 07.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: