Schießerei im Nachtclub:"Los, los, raus hier"

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Nach der Bluttat von Florida fragen sich die USA: War der Täter nur vom IS inspiriert oder wurde er auch geschickt? So oder so dürfte sich Donald Trump bestätigt fühlen.

Von Nicolas Richter, Washington

Die ersten Anrufer melden sich nachts um zwei Uhr. Es gebe eine Schießerei in dem Nachtclub "Pulse" in Orlando, sagen sie der Polizei. Zu diesem Zeitpunkt sind dreihundert Gäste im Club. Der bekannte Homosexuellen-Treff veranstaltet in der Nacht zum Sonntag eine Latino-Party. Manche der Gäste haben sich in den Toiletten versteckt und dort auf ihren Mobiltelefonen die Notrufnummer gewählt. Der Täter hat da schon das Feuer eröffnet, er ist im Besitz einer Pistole und eines Sturmgewehrs. Er verlässt kurz den Club, um sich ein Gefecht mit einem Polizisten zu liefern, dann kehrt er zurück, schießt und nimmt Geiseln.

Gegen drei Uhr morgens veröffentlicht der Club eine Meldung auf seiner Facebook-Seite: "Verlasst alle Pulse und lauft davon." Gäste, die es ins Freie geschafft haben, laufen ziellos umher. "Die Polizei sagte nur: 'Los, los, raus hier'", erzählt ein Zeuge. Die Lage im Club - viele wehrlose Menschen auf engem Raum, Dunkelheit, laute Musik - erinnert an jene im Pariser Club Bataclan, wo im November vorigen Jahres islamistische Terroristen die Besucher eines Rockkonzerts in ihre Gewalt gebracht und 89 von ihnen ermordet haben.

Schreckensnacht: Polizisten halten Angehörige der Nachtclub-Gäste in Orlando davon ab, dem Tatort zu nahe zu kommen. (Foto: Phelan M. Ebenhack/AP)

Neun Sicherheitsbeamte liefern sich eine Schießerei mit dem Täter

In Orlando beschließt die Polizei am frühen Sonntagmorgen, den Club zu stürmen. Sondereinsatzkommandos verursachen eine "kontrollierte Explosion", um den Täter zu verwirren. Elf Sicherheitsbeamte liefern sich dann eine Schießerei mit dem Täter, töten ihn und befreien jene, die noch am Leben sind. Als am frühen Morgen über Orlando die Sonne aufgeht, sind 50 Menschen tot und ebenso viele verwundet. US-Präsident Barack Obama nennt die Tat einen "Akt des Terrors und des Hasses" und spricht von der tödlichsten Schießerei in der Geschichte der USA.

Bei dem Täter handelt es sich um den US-Bürger Omar Siddiqui Mateen. Er ist 29 Jahre alt, der Sohn afghanischer Eltern und geboren in New York. Er hat seit 2007 bei einer privaten Sicherheitsfirma gearbeitet, die auch im Auftrag der US-Regierung tätig ist. Es erklärt, warum er ohne größere Überprüfungen zu seinen Waffen gekommen ist. Am Tatort hat Mateen der Polizei zufolge keinen verwirrten Eindruck gemacht, sondern sei "organisiert und gut vorbereitet" gewesen. Die Sicherheitsbehörden stufen den Angriff rasch als Terrorakt ein. Aus ihrer Sicht scheint sofort festzustehen, dass es sich hier nicht um einen jener Amokläufe handelt, an die sich das Land längst gewöhnt hat. Die US-Bundespolizei FBI erklärt, es würden Verbindungen zum "radikalen Islam" untersucht, es gebe Hinweise darauf, dass der Täter dieser Ideologie "zugeneigt" gewesen sei. Im Laufe des Tages stellt sich heraus, dass der Mann dem FBI schon vor der Tat aufgefallen ist. Im Jahr 2013 haben ihn die Beamten vernommen und beobachtet, nachdem er Kollegen über Terrorismus erzählt hat. Ein Jahr später überprüft ihn das FBI abermals, diesmal wegen Kontakts zu dem Extremisten und späteren Selbstmordattentäter Moner Mohammad Abusalha. In beiden Fällen wurden die Ermittlungen mangels belastbarer Erkenntnisse eingestellt. Kurz vor der Tat soll Mateen die Notrufnummer gewählt und der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) die Treue geschworen haben. Angeblich erwähnt er in diesem Telefonat auch die Terroranschläge in Boston 2013: Damals beim traditionellen Marathon haben zwei radikalisierte Muslime mit selbstgebauten Bomben mehrere Menschen ermordet. Am Sonntag erklärt auch eine IS-nahe Agentur, Mateen habe im Auftrag des Islamischen Staats gehandelt. Das FBI will dies nicht bestätigen und warnt vor übereilten Schlussfolgerungen. Der Täter mag Sympathien für den IS gehegt haben, aber es ist noch unklar, ob er von dem Terrornetzwerk tatsächlich beauftragt wurde oder ob er sich bloß von anderen Taten des IS inspirieren ließ. Auch steht zunächst nicht fest, ob der Mann allein gehandelt hat oder ob es Helfer gab. Möglich ist auch, dass der Täter den Club aus Hass gegen Schwule angegriffen hat. Seine Familie berichtet am Sonntag, Omar Mateen habe sich öfters über Homosexuelle empört.

Die Behörden stuften den Angriff rasch als Terrorakt ein: Bürgermeister Buddy Dyer, Polizeichef John Mina, FBI-Vertreter Ron Hopper (vorne, von links). (Foto: Jacob Langston/dpa)

Für einen islamistischen Hintergrund spricht die Ähnlichkeit zu den Terrorangriffen am 13. November in Paris. Damals hat eine Terrorgruppe nicht nur den Massenmord im Bataclan begangen, sondern auch anderswo auf die Besucher von Cafés und Restaurants geschossen. Sie zielten auf Orte, die für Vergnügung stehen, oder allgemeiner, für die freie westliche Gesellschaft. Radikale Islamisten wählen solche Ziele immer wieder aus: Bereits im Jahr 2002 haben Terroristen beim Angriff auf ein Ausgehviertel der indonesischen Insel Bali mehr als 200 Menschen getötet, die meisten von ihnen westliche Touristen.

Ein Unterschied zwischen den Taten in Paris und Orlando aber ist es, dass im ersten Fall eine gut organisierte Gruppe handelte, im zweiten wohl nur ein Einzeltäter. Terrorexperten wiesen darauf hin, dass im Falle von Paris ein aufwendig organisierter Terrorangriff allein wegen der Zahl der Täter und Tatorte offensichtlich war. Im Falle Orlandos immerhin bestehe die Möglichkeit, dass der Täter psychisch gestört war. In den USA hat sich der letzte nennenswerte islamistische Anschlag in der kalifornischen Stadt San Bernardino ereignet. Im Dezember vergangenen Jahres ermordete ein Ehepaar dort 14 Menschen und verletzte mehr als 20 weitere. Der Mann, Syed Rizwan Farook, war ein US-Bürger pakistanischer Abstammung, seine Frau Tashfeen Malik Pakistanerin. Keiner der beiden war den Sicherheitsbehörden zuvor wegen terroristischer Umtriebe aufgefallen.

SZ-Karte (Foto: SZ-Karte)

Der Fall San Bernardino löste mehrere politische Kontroversen aus. Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump hatte ein "totales und komplettes" Einreiseverbot für Muslime verlangt, bis die Regierung herausgefunden habe, "was los ist". Das Weiße Haus wies seinen Vorschlag damals scharf zurück und nannte ihn verfassungswidrig. Auch andere republikanische Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur kritisierten Trump. Im Kampf gegen den IS brauche man muslimische Länder, erklärten sie, man könne deren Bürger nicht unter Generalverdacht stellen. Während der Ermittlungen zum Fall San Bernardino kam es ferner zu einem Streit zwischen dem FBI und dem Konzern Apple, da die Polizei das iPhone des Täters auswerten wollte, zunächst aber den Passcode nicht knacken konnte. Apple weigerte sich, dabei zu helfen, und verwies auf die Privatsphäre seiner Kunden. Sollte es sich bestätigen, dass der Täter von Orlando ein Islamist war, dürfte es in Amerika zu neuen Debatten darüber kommen, wie das Land auf solche Bedrohungen reagiert, was das für den Umgang mit Muslimen bedeutet und für die Abwägung zwischen Sicherheit und Freiheit. Die USA befinden sich mitten im Wahlkampf für die Präsidentschaft, und Trump ist nunmehr der designierte Kandidat seiner Partei für die Wahl im November. Trump ließ am Sonntag erkennen, dass er sich durch den Terrorakt in seiner harten Linie gegen Muslime bestätigt fühle, vermied es aber, allzu triumphierend zu klingen. "Ich schätze die Glückwünsche dafür, dass ich Recht habe beim Thema islamischer Terrorismus. Aber ich möchte keine Glückwünsche, sondern Härte und Wachsamkeit", schrieb er bei Twitter.

Präsident Obama wiederum kritisierte bei seinem Auftritt die leichte Verfügbarkeit von Schusswaffen in den USA, gegen die er während seiner Amtszeit vergeblich gekämpft hat. Die Verletzten aus dem Club wurden in drei Krankenhäuser gebracht, viele Verwandte rätselten noch am Nachmittag, ob ihre Angehörigen tot oder lebendig waren. Eine Frau erzählte, eine Freundin ihres Sohnes habe sich gemeldet und weinend gesagt, dass er angeschossen worden sei. Gegen sechs Uhr morgens meldete sich der Club bei Facebook: "Bitte betet für alle, während wir versuchen, dieses tragische Ereignis zu bewältigen. Danke für eure Anteilnahme und eure Liebe."

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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