Säureopfer:Gesichter als Anklage

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Irgendwann wurde es in Bangladesch zur Mode, Frauen mit Säure zu entehren. 400 Opfer sollen es im Jahr sein. Für ihren Kampf gegen die erniedrigenden Angriffe wird die Aktivistin Monira Rahman mit dem Menschenrechtspreis ausgezeichnet.

Karin Steinberger

Nie wird Monira Rahman den Tag vergessen, an dem sie das erste Mal in eines dieser Gesichter starrte. Kindergesichter, in denen man erst einmal die Orientierung verliert, weil alles verschwommen ist, aufgelöst, weggeätzt. Das ganze Gesicht eine Wunde, eine Schande, eine Demütigung.

Nie wird Monira Rahman den Tag vergessen, an dem sie verstand, dass es die Wut der Männer ist, die so etwas zustande bringt. Wut und Unsicherheit gegenüber einer Generation von Frauen, die nicht mehr tut, was von ihr verlangt wird in diesem Land, in dem die Menschen arm sind und gläubig.

Doch die Frauen wollen nicht mehr nur in den Häusern bleiben, ein Nichts sein, ein Anhängsel des Mannes, rechtlos und ohne Stimme. Sie haben immer öfter Jobs und Geld und Selbstvertrauen.

Irgendwann wurde es zur Mode in Bangladesch, Frauen mit Säure zu entehren. 400 Opfer sollen es im Jahr sein.

Ein Gläschen Horror

Es ist eine billige und sehr effektive Art, einen Menschen zu zerstören. Ein bisschen Säure kann man sich in diesem Land bei jedem Juwelier oder in jeder Autowerkstatt für ein paar Cent besorgen.

Ein Gläschen Flüssigkeit, mehr braucht es nicht. Es ist eine primitive Waffe der armen Landbevölkerung, deren Niederträchtigkeit die meisten Menschen in Bangladesch genau so entsetzt wie hierzulande.

Es reicht, wenn ein Mädchen einen Heiratsantrag ablehnt, wenn die Familie die Mitgift nicht bezahlen kann, wenn um Land gestritten wird. Für die Täter hatte die Sache oft keine Folgen, in der Regel wurden sie nicht bestraft.

In den meisten Fällen gab es nicht einmal eine Anklage. Viele tauchten auch einfach unter, verschwanden in Indien. Die Mädchen wurden selten in Krankenhäuser gebracht, sie starben unter bestialischen Schmerzen in ihren Hütten.

Wer überlebte, verbrachte ein Leben in völliger Isolation. Als verkrüppelter Schandfleck. Unzumutbar für die Menschen da draußen. Man erwartete den Selbstmord.

So war das, als Monira Rahman Ende 1996 in den Krankenhäusern erschreckend viele dieser entstellten Mädchen fand. Verstoßene. Sie lagen nur da und warteten auf den Tod. Damals arbeitete Monira Rahman noch für die Frauenrechtsorganisation "Naripokkho". Doch die zerronnenen Gesichter der Frauen ließen sie nicht mehr los.

Monira Rahman sprach mit den Mädchen, hielt ihre Hände, streichelte ihre schmerzenden Körper, machte Pläne für die Zukunft, veranstaltete Pressekonferenzen, stieß auf Desinteresse, hörte nicht auf zu kämpfen.

Irgendwann sprach sich die Geschichte in der Hauptstadt Dhaka herum, die meisten hielten den Horror für ein Gerücht, dann kamen ausländische Journalisten, filmten die Gesichter der Mädchen, schrieben ihre Geschichten auf.

Den Kauf von Säure erschwert

Plötzlich herrschte blankes Entsetzen. Die Mädchen bekamen Aufmerksamkeit, eine bessere medizinische Versorgung, Selbstvertrauen und immer öfter fragwürdige Heiratsanträge von Männern, die sich dachten, von ihrer Bekanntheit profitieren zu können.

Immer war Monira Rahman bei den Frauen. Heute ist sie die Leiterin der "Acid Survivors Foundation" (ASF), die eines der modernsten Krankenhäuser für Säureopfer in Bangladesch betreibt. Sie hat den Mädchen gesagt, dass sie sich nicht verstecken müssen hinter ihren Schleiern, weil ihre Gesichter keine Schande seien, sondern Anklage.

Sie hat dafür gekämpft, dass das Strafsystem geändert und der Kauf von Säure erschwert wird, doch noch immer werden neun von zehn Tätern nie belangt.

Dass Monira Rahman im März in Berlin der Menschenrechtspreis der deutschen Sektion von Amnesty International überreicht wird, hilft ihr und den Mädchen, die sie nie als Opfer bezeichnete. Für sie sind diese Frauen Überlebenskünstlerinnen.

© SZ vom 12.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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