Sachsen-Anhalt und der Kampf gegen rechts:Hingucken allein genügt nicht

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"Das durchdringt inzwischen den Alltag": Der Innenminister von Sachsen-Anhalt hat eine Kampagne gegen neonazistische Gewalt gestartet, doch die Polizei tut sich manchmal schwer mitzuziehen.

Constanze von Bullion

Man kann natürlich sagen, es liegt an der Mentalität. Man kann der ostdeutschen Polizei ihre Niederlagen im Kampf gegen den Rechtsextremismus vorrechnen. Es sind viele. Alle paar Wochen kommen jetzt Geschichten ans Licht, die davon handeln, dass Neonazis in den neuen Ländern zuschlagen und Polizisten hilflos zuzuschauen scheinen. Man kann natürlich sagen, die haben kapituliert. Oder die anderen suchen gehen. Diejenigen, die etwas bewegen wollen in den Köpfen.

In keinem anderen Bundesland gab es 2006 soi viel rechte Gewalttaten wie in Sachsen-Anhalt. (Foto: Foto: dpa)

Es ist ein sonniger Herbsttag in Magdeburg, die Stadt wirkt aufgeputzt, die Bürgerhäuser sind restauriert, und hinter einer Zuckerbäckerfassade eilt ein Minister mit großen Schritten durch sein Reich. Holger Hövelmann sieht gut gelaunt aus, er ist so einer mit einem Jungsgesicht und einer Statur, die nach oben strebt. In 40 Jahren hat er es vom Sohn einer Postfrau zum Innenminister von Sachsen-Anhalt gebracht, und dass er unter Dampf steht, ist ihm anzusehen.

Es sind da ein paar Kladden auf seinem Schreibtisch gelandet, die haben ihm nicht gefallen. Hövelmann ist Sozialdemokrat und der erste Innenminister von Sachsen-Anhalt, der zugibt, dass sein Land ein Problem mit Rechtsextremisten hat. Sachsen-Anhalt führt die braune Statistik an, 2006 stieg die rechte Gewalt auf Rekordniveau, und was sich da am Rand zusammengebraut hat, durchdringt den Alltag, sagt der Minister. Er sagt das öffentlich. Das ist neu.

Ein Brief an alle

Die Landesregierung hat also eine Kampagne losgetreten, sie heißt "Hingucken", und sie meint auch die Polizei. Die macht bei Einsätzen gegen Rechtsextremisten nicht die beste Figur. Im Wald bei Wittenberg sollen Wehrsportgruppen Schießübungen veranstaltet haben, Polizisten wurden gewarnt, aber guckten offenbar nicht so genau hin.

In Halberstadt prügelten stadtbekannte Neonazis eine Schauspieltruppe, die Polizei ließ die Täter erstmal laufen. Am Bergwitzsee wurde ein Polizeitechniker bei einer Skinhead-Party festgenommen. Er sagt, er sei da zufällig reingeraten. In Dessau ermittelte die Polizei gegen den Mitarbeiter einer Initiative gegen Rechts, nachdem er das Foto eines NPD-Aktivisten veröffentlicht hatte. Der Vorwurf: Verstoß gegen das Urheberrecht. Dem NPD-Mann legte man auf der Wache nahe, ihm sei Unrecht geschehen. Er stellte Strafantrag. In Burg überfielen Rechte ihre vietnamesischen Nachbarn. Die Polizei kam, notierte Namen, ließ die Vietnamesen zurück. Sie flohen, versteckten sich über Nacht - während die Angreifer ihre Wohnung ausräumten.

Holger Hövelmann hat sich kerzengerade hingesetzt in seinem Bürostuhl. Eben hat er noch beschwingt erzählt, wie er nach der Wende "rasant und schnell und überraschend" aufgestiegen ist, erst zum Landrat, dann zum SPD-Vorsitzenden. Wenn man ihn fragt, warum er ein Jahr vor der Wende noch in die SED eingetreten ist, bremst er ab. Überlegt. Wirkt leise ratlos. "Das war ein Stück weit Normalität und ein Stück weit auch Überzeugung", sagt er dann.

Ein bisschen schneller sein und nicht gleich anecken, das war so ein Erfolgsrezept des Holger Hövelmann. Er hat sich bemüht, die Dinge "nicht im Streit" durchzusetzen, sagt er, und vielleicht ist das ein Grund, warum er jetzt so rudert. Der Minister muss sich mit seinem Apparat anlegen. Nach den Überfällen in Halberstadt und Burg hat er die verantwortlichen Beamten abgesetzt. Er hat all seinen Polizisten einen Brief geschrieben, in dem steht, dass die engagierte Bekämpfung rechter Kriminalität "noch nicht allen Beamtinnen und Beamten in Fleisch und Blut übergegangen ist". Es taucht da das Wort "Gleichgültigkeit" auf - und die Aufforderung zu "null Toleranz".

Fragt man ihn, was das bedeuten soll, spricht er davon, dass Polizei und Justiz in Sachsen-Anhalt schneller auf rechte Delikte antworten müssen. Im Bundesrat will Hövelmann eine Gesetzesänderung durchsetzen, die darauf zielt, dass einschlägig vorbestrafte Polit-Extremisten keine Bewährungsstrafe mehr kriegen. Es sieht nicht aus, als käme der Vorschlag durch, viele fanden ihn ziemlich populistisch. Helfen Haftstrafen denn gegen rechte Gesinnung? Manchmal schon, sagt der Minister und erzählt von Wernigerode, wo so ein brauner Rudelführer weggesperrt wurde, seither sei die Gegend "deutlich unauffälliger".

Es geht einem Innenminister ja nicht unbedingt um die gesellschaftlichen Ursachen der Probleme, sondern darum, wie sie sich niederschlagen. Auch statistisch. Und natürlich hat Hövelmann sich gefreut, als er verkünden konnte, dass sich im ersten Halbjahr 2007 die Zahl politischer Straftaten in Sachsen-Anhalt halbiert hat. Schlagartig, als seien die Landeskinder vom Heiligen Geist heimgesucht worden.

Es gibt Leute, die nicht an Wunder glauben, sondern an Manipulation. Sven Gratzik dürfte zu ihnen gehören, er ist Kriminalrat und einer mit zupackender Natur. Gratzik hat den Staatsschutz Dessau geleitet, er ist alleinstehend und lebt für seinen Beruf, also ist er oft noch am Wochenende mit Kollegen durch die Wälder Sachsen-Anhalts gekrochen.

Wegschauen statt Hinschauen

So haben sie eine Menge Skinhead-Konzerte aufgespürt, sie sind Neonazis im Netz hinterhergesurft, haben jedes Hakenkreuz notiert. Das Ergebnis war, dass Dinge bemerkt wurden, die sonst verborgen bleiben. 2006 wurde ein Drittel aller rechten Straftaten in Sachsen-Anhalt im Raum Dessau registriert.

Ein Polizist wie Sven Gratzik hat Zukunft im Land des Holger Hövelmann, könnte man meinen. Es ist aber anders gekommen. Der Staatsschützer sitzt jetzt zu Hause, Überstunden abbummeln. Es geht ihm nicht gut, er hat sich von seiner Dienststelle versetzen lassen, weil er es nicht mehr ausgehalten hat. Warum, das darf er nicht sagen. Man hat ihm verboten, mit Journalisten zu reden.

Gratzik ist in Ungnade gefallen, weil er sich gewehrt hat gegen einen leitenden Beamten. Im Februar saß der Staatsschutzchef mit zwei Kollegen bei einer Besprechung mit dem stellvertretenden Polizeipräsidenten im Revier Dessau. Der soll ihnen erklärt haben, sie bräuchten in der Staatsschutzabteilung nicht so eifrig gegen Rechte zu ermitteln.

Die intensive Aufklärung, die Internetrecherchen, das führe zu Arbeitsüberlastung. Man müsse doch "nicht alles sehen", soll der stellvertretenden Polizeichef gesagt haben - und dass die Zahl rechter Straftaten arg hoch sei im Land. "Das Innenministerium ist nicht glücklich, das Landeskriminalamt ist nicht glücklich", auch das Ansehen des Landes könne "nachhaltig geschädigt" werden.

Sven Gratzik und seine beiden Kollegen vom Staatsschutz waren wütend. Sie haben nach der Besprechung erstmal die Füße auf den Tisch gelegt und dann ein Gedächtnisprotokoll angelegt, das der SZ vorliegt.

Wenn stimmt, was da drin steht, dann haben sie den Vorgesetzten damals noch gefragt, wieso der Innenminister eigentlich eine Kampagne fährt, die "Hingucken" heißt, und seine Polizisten sollen weggucken? Naja, soll der Chef abgewiegelt haben, ein Politiker müsse eben ein bisschen wirbeln. Seine Kampagne sei "nur für die Galerie, das müssen Sie nicht so ernst nehmen".

Holger Hövelmann, der Innenminister, hat seinen Oberkörper jetzt wie eine Startrampe über den Tisch geschoben, er ist hellwach, das Lächeln hat sich aus seinem Gesicht verzogen. Im Magdeburger Landtag prüft jetzt ein Untersuchungsausschuss die Sache, und es steht die Frage im Raum, ob die Polizei in Sachen-Anhalt die Kampagne ihres Ministers unterläuft. Steckt hinter Hövelmanns forschen Parolen ein Politiker, der nicht ankommt gegen seinen Apparat? Oder hat er womöglich selbst angeordnet, ein bisschen an der Statistik zu feilen?

Im Stich gelassen

Nein, sagt Hövelmann und schüttelt den Kopf, es sei doch alles ganz anders gewesen. Es habe da keinen Polizeichef gegeben, der auf dem rechten Auge blind war, sondern einen, der falsch verstanden wurde. Der Vorwurf der drei Staatsschützer gegen den Vorgesetzten sei "in der Form, wie er erhoben wurde" nicht belegbar.

Das habe eine Voruntersuchung gezeigt, die er angeordnet habe. Der beschuldigte Polizeichef sei keine lahme Ente, sondern einer, der "massivst den Kampf gegen Rechtsextremismus befördert" habe. Er habe den Staatsschützern nur nahelegen wollen, dass sie sich bei so viel Überlastung eben auf Kernaufgaben konzentrieren müssen.

Es gibt Leute, selbst im Landtag, die das für ein Ablenkungsmanöver halten. Manche haben auch nicht verstanden, warum Hövelmann, der Minister Courage, kein Disziplinarverfahren angeschoben hat, um den hässlichen Vorwurf aus der Welt zu räumen: dass ein hoher Polizeiführer den Kampf gegen Rechts ausbremst. Der Minister hat nicht dreingeschlagen. Er hat geprüft, laviert, abgewogen, dem Beschuldigten, bevor er in Pension ging, nur eine Missbilligung ausgesprochen. Wofür eigentlich, wenn er so ein guter Mann war? ,,Dafür, dass er sich in einer konfrontativen Gesprächssituation nicht clever genug verhalten hat.''

Nicht clever genug? Das könnte man auch so verstehen, dass der Polizeichef den Fehler gemacht hat auszuplaudern, was unter der Decke bleiben sollte: dass an den Zahlen wirklich geschraubt wurde. Landesweit. Das würde auch erklären, warum die rechten Straftaten sich in Sachsen-Anhalt über Nacht halbiert haben.

Gab es eine Order, die Statistik zu frisieren? "Ach", ruft der Minister und wirft sich zurück in den Stuhl. Der Rückgang rechter Straftaten sei doch kein Wunder, nach dem steilen Anstieg im Vorjahr. Womöglich habe doch seine Kampagne schon gefruchtet.

Sven Gratzik und seine Kollegen vom Staatsschutz werden wohl erst vor dem Untersuchungsausschuss erzählen, wie sie die Geschichte erlebt haben - wenn man sie lässt. So viel aber ist schon jetzt bekannt: dass sie sich weggemobbt fühlten und im Stich gelassen, auch vom Minister. Im Revier habe man sie geschnitten, haben sie berichtet, es kam zu absurden Klagen und Gegenklagen.

Zermürbte Staatsschützer

Ein Staatsanwalt soll von der Polizeipräsidentin sogar bedrängt worden sein, gegen die Beamten zu ermitteln. Von einer direkten Vorgesetzten und aus dem Landeskriminalamt seien sie gebremst worden - immer nach dem Motto: Die Zahlen müssen runter. Alle, die sie da beschuldigen, haben die Vorwürfe zurückgewiesen.

Um es kurz zu machen: Irgendwann waren die drei Staatsschützer zermürbt. Einer wurde in den Streifendienst zwangsversetzt. Der zweite wollte studieren, aber man befand ihn bei der Auswahl für charakterlich ungeeignet. Er hat sich eingeklagt, gegen das Innenministerium. Der dritte, Sven Gratzik, wollte auch weg, jetzt sitzt er zu Hause und macht sich Sorgen. Für ihn hat man erst 2008 wieder Verwendung.

Was sich in Sachsen-Anhalt abspielt, hat Wellen geschlagen bei der ostdeutschen Polizei. Bernd Wagner weiß davon zu erzählen, er schult Polizisten, und an diesem Morgen ist er unterwegs zu einer Fortbildung für Staatsschützer. Sie warten in Oranienburg auf ihn, im kantigen Neubau der Fachhochschule der Polizei Brandenburg.

Wagner ist so ein Typ mit rundlicher Figur, Berliner Charme und der Angewohnheit, die Dinge gegen den Strich zu bürsten. Er war mal Kriminalist in der DDR und hat sich nach der Wende als Rechtsextremismus-Experte und demokratischer Aufbauhelfer einen Namen gemacht.

Wer Wagner fragt, was er von dem jungen Minister in Magdeburg hält und von seinem Versuch, die Polizei wachzurütteln, der löst eine mittlere Sturmflut aus. "Da erzählt ein Innenminister seinen Leuten, sie sollen mutig vorangehen", schimpft Wagner, "und dann gibt er sich als erster Bremser im Lande."

Hövelmann habe sich darauf zurückgezogen, die drei Staatschützer könnten ja nichts beweisen - statt sich vor sie zu stellen. "Das ist ein unmögliches Zeichen in die Reihen der Polizei hinein, kein Beamter wird sich je wieder reinknien in die Aufgaben, wenn er dafür solche Nackenschläge kriegt." Wagner kann in seinen Seminaren verfolgen, dass die Botschaft angekommen ist: "Die sagen: Wenn es ernst wird, dann lässt man uns im Regen stehen. Also halten wir den Mund."

Dass so vieles schiefgeht bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus, das schreibt Wagner nicht nur den kleinen Streifenpolizisten zu, sondern vor allem der Polizeiführung. Bewegt sich da nicht einiges seit der Wende? Schon, sagt er, aber operative Kritik allein reicht nicht.

"Die Polizei muss zu einer demokratischen Führungskultur finden." Das heißt für ihn, dass Vorgesetzte nicht nur anordnen, sondern auch abfragen. "Kollege Schulz, wie schätzen Sie die Situation ein?" - "Welche Liedtexte, die Sie da gehört haben, sind eigentlich verboten?" - "Was machen Sie, wenn die Mutter eines Opfers auf die Wache kommt?" Wagner hat solche Rollenspiele früher selbst mit seinen Beamten gespielt, sie sind nützlich, findet er, wenn man zeigen will, dass Mitdenken erwünscht ist.

Diffuse Gedanken

Und es gibt noch andere Aufräumarbeiten, denen er sich widmet. Es geht da um das, was in den Köpfen herumspukt, um politische Überzeugungen. Die meisten Ost-Polizisten haben vernünftige Ansichten, erzählt Wagner, aber es kommt immer ein Punkt im Seminar, an dem taucht so eine verschwiemelte Frage auf.

Nach Ausländern wird da gefragt, nach verbrannten Steuergeldern, und manchmal macht einer einen Schlenker von den Sozialschmarotzern zu den Juden. "Das kommt verschämt, aber man merkt: Das ist ihres." Wenn Wagner nachhakt, öffnet sich oft ein diffuses Panorama. "Es geht um eine völkisch konnotierte, fremdenfeindliche, auch antisemitisch gefärbte Einstellung, die im engeren Sinne aber nicht rechtsextremistisch ist." Das habe es schon in der DDR gegeben, aber auch junge Polizisten brächten dieses Wertesystem aus ihren Familien mit.

Die ostdeutsche Gesellschaft ist einem totalitären Regime entwachsen, sie ist extremismusgeschädigt, und ihre Polizei ist es auch. Bernd Wagner hat neben dem Phänomen, das er "Rechtsdrall" nennt, auch noch etwas anderes ausgemacht: Beamte, die "keinen Bock" haben, gegen Neonazis vorzugehen. Dass das im Jahr 18 nach der Wende noch so ist, hält er auch für ein Vermächtnis westdeutscher Beamter.

Die haben nach der Wende die Volkspolizei der DDR in die neue Zeit geholt, technokratisch, aber vergessen, in ein neues Wertesystem zu investieren. Bernd Wagner versucht das jetzt ein bisschen zu korrigieren. Er öffnet eine Tür. Zwei Dutzend Polizisten gucken ihn an. Alte und junge, Männer und Frauen. Er wird mit ihnen übers Deutschsein reden.

© SZ vom 17.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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