Russlands Straße der Reichen:Luxus pflastert ihren Weg

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Die Rubljowka in Moskau ist nicht nur eine Straße. Sie ist ein Symbol für Wohlstand: Schwarze Limousinen, sündteure Boutiquen und ein Traum in Hellrosa - wie Moskaus neue Kapitalisten den ganz normalen Prunk genießen.

Daniel Brössler

Der Weg zum Glück ist verstopft. "Es ist sehr schwer zu erreichen wegen des Verkehrs, aber wenn Sie erst einmal dort sind, ist es das reinste Paradies", hatte die smarte Immobilenmaklerin versprochen. "Es" - das ist die Rubljowka, ein in Russland mittlerweile mythischer Begriff. Er klingt nach Geld, nach Rubel, ist das "Symbol für Erfolg, Wohlstand, Zufriedenheit und Elite", wie es der russische Fernsehsender NTW in der Werbung für eine vielteilige Serie über die Rubljowka formulierte.

Genau genommen aber ist Rubljowka nur der Kosename einer in westlicher Richtung aus Moskau heraus führenden und stets überlasteten Straße, der Rubljowo-Uspenskoje Schosse.

Aus diesem Grund hat die Annäherung an den Mythos im Schritttempo zu erfolgen. Das erlaubt zum einen das gründliche Studium der überdimensionierten Werbetafeln mit Reklame für exklusive Immobilien, einen Montessori-Kindergarten und das "German Dental Center". Zum anderen ermöglicht es die gründliche Betrachtung des Vorderautos, einer S-Klasse-Limousine von Mercedes.

"Im Wagen vor dir sitzt vielleicht der Präsident eines großen Unternehmens, in seiner Firma ist er der Zar und Gott. Hinter dir fährt vielleicht der Vorstandsvorsitzende einer nicht kleineren Firma. Hier im Stau sind sie alle gleich", sagt Wladimir Lischtschuk. Er trägt zum dunklen Anzug eine rote Krawatte, und die lichter werdenden grauen Haare sind streng zurückgekämmt.

Ein Mann von 52 Jahren, drahtig und energiegeladen. Leicht amüsiert blickt er durch seine Sonnenbrille mit den quadratischen Gläsern. "Man möchte gerne begreifen, warum Leute, die an Luxus gewöhnt sind, bereit sind, sich in diesen Stau zu stellen", murmelt er. Es ist eine eher rhetorische Frage, denn Lischtschuk kennt die Antwort aus langer Erfahrung. Sie alle waren ja irgendwann mal bei ihm im Laden, die Vorstandsvorsitzenden, die Politiker, die Fernsehstars.

Dunkles Glas, hohe Mauern

Der Verkehr auf der Rubljowka fließt zäh, aber auf für russische Verhältnisse merkwürdige Weise unaufgeregt. Fahrer, die mit ihren schweren Limousinen in der Stadt keine Gelegenheit zu halsbrecherischen Überholmanövern missen lassen, geben hier Ruhe. Das entspricht der Vorhersage der Maklerin. Eine "entspannte Atmosphäre" herrsche an der Rubljowka, man sei ja unter sich. Der Weg führt vorbei an Einkaufszentren, die mal aussehen wie Schweizer Skihotels, mal einfach nur wie Filmkulissen. Zwischendurch fällt der Blick auf die mutmaßliche Gott-Zar-Vorderlimousine.

Das regt die Phantasie an, aber nicht für lang. Ein S-Klasse-Mercedes ist ein S-Klasse-Mercedes, und dieser hier unterscheidet sich weder durch seine schwarze Farbe noch durch die getönten Scheiben von seinen in Moskau so zahlreich anzutreffenden Artgenossen. So ist das mit den Reichen in Russland. Stolz stellen sie ihren Luxus zur Schau, aber wenn das Volk dann allzu genau hinschaut, ist es ihnen auch nicht recht. Deshalb verstecken sie sich hinter dunklem Glas und hohen Mauern.

Ein paar kostbare Gelegenheiten zu einem genaueren Blick sollen sich heute immerhin bieten. Zunächst ist da die Besichtigung der Villa mit dem schönen Namen Luce d'Oro, zu Deutsch "Licht des Goldes". Das Anwesen befindet sich im Dorf Nikolino, wobei Dorf hier nicht ganz wörtlich verstanden werden sollte. Die Anlage liegt an der Rubljowka, und Besucher von Nikolino stehen zunächst vor einer Schranke und blicken auf einen Uhrturm, der offenbar in der Absicht errichtet wurde, englisches Flair zu verströmen. Schon nach wenigen Minuten im "Dorf" verfestigt sich der Eindruck, dass sich hier ein großes Kind seine Lego-Träume verwirklichen durfte.

Uhrtürme verschiedenster Gestalt sind das durchgängige Stilmittel. Hinzu kommen ein künstlicher See und natürlich die vielen, nun ja, originellen Häuser. Eines scheint dem Weißen Haus in Washington nachempfunden zu sein, andere wurden mit ihren Türmchen eher vom Mittelalter inspiriert. Das Anwesen Luce d'Oro ist in Hellrosa gehalten; im Prospekt ist von einer "modernen Interpretation der italienischen Renaissance" die Rede.

Am Tor erwartet uns Alexander, der Verwalter. Er hat einen Spickzettel dabei, auf dem all die kleinen Einzelheiten des Neubaus verzeichnet sind: 1476 Quadratmeter, neun geräumige Wohn- und Schlafzimmer, großer Innenhof mit Pool, Sauna, Privatdisco, Heimkino, Aufzug. "Vielleicht schauen wir uns erst einmal den Garten an?", fragt er. Eine gute Idee. Zu sehen sind ein hübscher Pfad, umsäumt von wildem Wein, ein kleines Amphitheater, ein Becken mit Springbrunnen und einiges an Beleuchtung. "Nachts strahlt das Haus wie ein Eisberg", schwärmt Alexander.

Die Besichtigung nimmt einige Zeit in Anspruch, weil Alexander daran gelegen ist, alle raffinierten Einzelheiten zu präsentieren: Es ist viel Marmor verbaut worden; die bereits abgeschlossene Möblierung lässt eine Vorliebe zur Farbe Gold und zu Krokodilleder, andererseits aber auch zu Tigerfellmustern erkennen. Einen Weinkeller gibt es, bereits gefüllt mit ein paar Flaschen Potensac Medoc 1997 und Chablis Premier Cru nebst 24Flaschen Champagner aus dem Hause Louis Roederer. "Das Haus kann sofort bezogen werden", sagt Alexander. Der Kaufpreis betrage zwölf Millionen Dollar, ergänzt eine junge, gut aussehende Dame, die von der Immobilienfirma Knight Frank mitgeschickt wurde. "Verhandelbar, versteht sich."

An sich sei die Rubljowka ja gar nicht so ungewöhnlich, versichern sie bei Knight Frank. "Jede große Stadt kennt dieses Phänomen", hatte die leitende Maklerin Ekaterina Thain versichert, ob nun London oder Los Angeles. Sicher, die Preise seien auch im internationalen Vergleich recht hoch und könnten schon mal 70 Millionen Dollar erreichen. Für einige sei es eben "eine Frage des Prestiges, an der Rubljowka zu wohnen, für andere eine der Sicherheit".

Gute Ware zu guten Preisen

Das klingt nach einer ganz gewöhnlichen Reichensiedlung, so wie Beverly Hills in Los Angeles. Aber ganz so verhält es sich mit der Rubljowka nicht. Die Einwohner hätten den Weg hierher auf ganz unterschiedliche Weise zurückgelegt, hebt Lischtschuk etwas vorsichtig an. Es gebe hier Politiker, Künstler und natürlich die Self-Made-Millionäre, darunter auch Leute, die, denke man an die "Anfangsphase ihres Geschäfts", eine kriminelle Vergangenheit hätten.

Die meisten Bewohner der Rubljowka haben vor 20 Jahren noch in einem sowjetischen Plattenbau gelebt, altes Geld ist hier rar. Ein paar Datschen und Sanatorien für kommunistische Funktionäre standen hier schon früher, die Villen und Märchenschlösser hinter den hohen Mauern aber sind durchweg aus dem Nichts entstanden. Dass sich an der Rubljowka mittlerweile Ferrari- und Bentley-Händler tummeln, teure Boutiquen von Loro Piana, von Tiffany und Gucci eröffnet haben, das versteht sich von selbst. Der berufliche Erfolg von Wladimir Lischtschuk gründet sich aber eher auf die Einsicht, dass Millionäre auch mal ein Pfund Butter brauchen.

Vor vier Jahren eröffnete Lischtschuk an der Rubljowka als Marktleiter die Filiale der Supermarktkette Perekrjostok. "Das war ein Abenteuer", erinnert er sich. "Wir standen vor der Frage, was für ein Sortiment wir brauchen. Wir konnten doch nicht sagen: Oma, komm nicht her. Das ist nur ein Laden für Reiche." Und so ist aus dem Perekrjostok an der Rubljowka ein Laden mit ganz normalen Preisen geworden, die Zwei-Liter-Flasche Cola zu 31,99 Rubel (knapp ein Euro) im Angebot.

Lischtschuks Devise lautet: "Wer Millionen und Abermillionen verdient hat, verdient auch Achtung." So ein Mensch sei es gewohnt, sein Geld zu zählen. "Wenn er sieht, dass ihm hier gute Ware zu guten Preisen angeboten wird, weiß er, dass das sein Laden ist. Hier wird sein Geld, sein Kapital geachtet."

Lischtschuk ist unlängst nach Sotschi versetzt worden, weil ja auch dort das Geschäft mit den Reichen blüht. Bereitwillig führt er den Besucher aber noch einmal durch die Gänge im Rubljowka-Markt, vorbei am Probierstand für Mövenpick-Eis und der Obsttheke, wo heute Kirschen zu 1540 Rubel das Kilo (44Euro) zu haben sind. Das übliche Sortiment habe natürlich ergänzt werden müssen, erläutert er. "Man musste den Reichen das anbieten, was sie aus dem Ausland kennen, zu einem Preis, der ihrer Brieftasche entspricht."

Lischtschuks Rechnung ging auf, und nebenbei freundete er sich mit einigen seiner Kunden an. Es mag dabei hilfreich gewesen sein, dass er in seinem früheren, dem sowjetischen Leben Soldat war, so wie gar nicht wenige der neuen Kapitalisten auch. Und sein Hobby, das Singen, passte auch. Ein bisschen Extravaganz muss man sich schon leisten können auf der Rubljowka. "Lieder und Balladen von der Rubljowo-Uspenskoje Schosse" nennt Lischtschuk seine CDs. Von der neuesten hat er einen Schwung mitgebracht. "Die Verkäuferinnen freuen sich immer darüber", sagt er.

Auf seinen Platten besingt Lischtschuk Glück und Unglück der Reichen und schöpft dabei aus dem bunten Leben in jenem Supermarkt, der eben doch kein Laden ist wie jeder andere. Die Gattin "eines unserer großen Oligarchen" sei eine Zeit lang immer morgens vorgefahren, habe ihre Bodyguards im Auto gelassen, um dann im Laden vor den Objektiven der Überwachungskameras eine Zahnbürste einzustecken. "Sie kam, um geschnappt zu werden", erinnert sich Lischtschuk amüsiert. "Es hat ihr Vergnügen bereitet, dass sie durchsucht wurde, dass ein Protokoll erstellt wurde." Einmal wurde der Diebstahl nicht entdeckt. Da war die Oligarchengattin bitter enttäuscht und beklagte sich.

Über Leben und Langeweile auf der Rubljowka sind in Russland Stapel von Büchern erschienen. In "Casual", dem bekanntesten dieser Werke, beschreibt die Schriftstellerin Oksana Robski eine Frau, die den Mörder ihres Mannes töten lässt und sich ansonsten mit ihren Freundinnen die Zeit vertreibt mit Wettbewerben, in denen es zum Beispiel darum geht, wer den dümmsten Fahrer beschäftigt. Alexej Grinberg weiß um die Vorstellungen jener, die hier nicht wohnen, über jene, die hier wohnen. Und er gibt sich nur begrenzt Mühe, sie zu widerlegen.

Den Besuch empfängt er in einem luftigen weißen Hemd und in weißer Hose. Mit dem gepflegten Vollbart und den zurückgekämmten Haaren könnte er auch ein Künstler sein. Und auf seine Weise ist Grinberg ja einer. Er versteht sich auf die Kunst des Geldverdienens. Der Gastgeber bittet zunächst zum chinesischen Tee im Garten mit freiem Blick auf sein Heim, das ohne übertriebene Liebe zur Moderne errichtet wurde und ein wenig an das Wirtshaus im Spessart erinnert. Er sei nun wirklich kein Oligarch, versichert Grinberg. Oligarchen, erläutert er, "sind für mich Menschen, die Geld nicht nur zum Leben brauchen - Menschen, für die Geld ein Instrument ist".

Nach Rubljowka-Maßstäben gehört Grinberg eher zum Mittelstand. Im Hof stehen zwei Oberklasse-Limousinen und ein Geländewagen, Haus und Grundstück sind ein Vermögen wert, aber relativ gesehen nur ein kleines. Das Geld genüge, um seiner Frau, den drei Söhnen, der Tochter und ihm selbst ein gutes Leben zu ermöglichen. Und es reicht aus, um seinem liebsten Hobby zu frönen - der Publizistik. Grinberg gibt aus Neigung ein kostenlos in Ministerien und auf der Rubljowka verteiltes Hochglanzmagazin namens Monolith Digest heraus.

Die Liebe zum Präsidenten

Mehrere Ausgaben davon breitet er auf dem Tisch aus. Zu sehen ist auf den Titelbildern zumeist Wladimir Putin, mal mit dem Patriarchen, mal mit der deutschen Kanzlerin und mal mit George W. Bush. Grinberg, so viel ist klar, verehrt seinen Präsidenten. Es sei phänomenal, sagt er, "wie unser Präsident in nur sieben Jahren an der Macht das Image des Landes verbessert und die Wirtschaft gestärkt hat".

In der Verfassung könne viel stehen, aber Putin dürfe sein Amt nächstes Jahr nicht aufgeben. "Ich bin nervös, weil ich nicht will, dass er geht", sagt er. Als Autoren für sein Magazin sind Grinberg die Chefs staatlicher Institutionen am liebsten. Die Zeitschrift sei ein "virtueller Club" Gleichgesinnter. In einer der jüngeren Ausgaben findet sich ein Artikel mit der Überschrift: "Geld ist nicht Macht. Und das Geld hat das verstanden."

Was Grinbergs eigenes Geld betrifft, so hat er es nicht so verdient wie viele seiner Nachbarn auf der Rubljowka. Sie sind, das ist eines der offeneren Geheimnisse Russlands, als Staatsbeamte mit aufgehaltenen Händen durchs Leben gegangen. "Ich bin Geschäftsmann", sagt Grinberg, "ich interessiere mich für Immobilien". Geschäftsmann sei er übrigens immer schon gewesen. "In der UdSSR war es ein ungesetzliches Geschäft, nämlich der Devisenhandel." Das Verbot, eine Währung in die andere zu tauschen, hat Grinberg nie eingeleuchtet. "Ich wollte normal leben. Einer verkauft auf dem Markt Kartoffeln, ich habe mit Valuta gehandelt", sagt er und nippt am chinesischen Tee.

Der alte Grinberg, ein bekannter Ozeanologe, wollte zwar von den Geschäften seines Sohnes nichts wissen. Willkommen aber waren zu Hause die guten Lebensmittel, die sich Grinberg leisten konnte. Leicht seien sie nicht gewesen, die Zeiten als Wechsler, meint er, "hinter jeder Dollarnote war ja ein Bulle her".

Leute wie Grinberg haben auf den Kapitalismus gewartet, so wie der Kapitalismus auf sie. Wie man Dollarscheine vermehrt, musste einer wie er schneller begreifen als viele. Grinbergs Erzählungen von den ersten Jahren als Kapitalist bleiben freilich vage. Gefährlich sei es gewesen, sagt er und erzählt von den Freunden, die nicht mehr da sind. "Sie liegen auf dem Friedhof. So waren die neunziger Jahre. Das Leben ist kein Zuckerschlecken, was willst du machen."

Ruhiger sei es nun geworden, sagt Grinberg, und schöner ja auch - auf der Rubljowka jedenfalls. Nun denkt er über den Bau eines neuen Hauses nach. "Es soll", sagt er, "ja nicht langweilig werden."

© SZ vom 17.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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