Russland:"Wir wollen dem Staat die Schamröte ins Gesicht treiben"

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Die russische Anwältin Elena Liptser greift den Kreml vor dem neuen Prozess gegen Ex-Yukos-Chef Michail Chodorkowskij scharf an.

Elmar Jung

Die Wahl Dimitrij Medwedjews zum russischen Präsidenten sehen Kreml-Kritiker wie Elena Liptser mit Skepsis. Die Anwältin für Menschenrechtsfragen hat nur wenig Hoffnung, dass ein politischer Wechsel an der Staatsspitze folgen wird. Die Verlängerung der Untersuchungshaft des früheren Oligarchen und Yukos-Chefs Michail Chodorkowskij bis zum 2. Mai verbunden mit neuen Anschuldigungen gegen ihn und seinen Geschäftspartner Platon Lebedew zementieren ihre Auffassung, der Kreml werde gegen seine Kritiker auch in Zukunft rigoros vorgehen. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit Liptser, die bei einem neuen Prozess gegen Chodorkowskij und Lebedew wie schon 2005 wieder als Verteidigerin auftreten wird.

Eine Demonstrantin protestiert gegen den Chodorkowskij-Prozess. Die Untersuchungshaft des ehemaligen Oligarchen und Yukos-Chefs wurde verlängert. (Foto: Foto: AP)

SZ: Die Zahl der Klagen aus Russland am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg nimmt mit jedem Jahr zu. Die etwa 22 000 anhängigen Fälle machen fast ein Viertel aller Klagen aus den 46 Mitgliedsländern des Europarats aus. Was läuft schief?

Elena Liptser: Eine ganze Menge. In Russland werden systematisch Menschenrechte verletzt. Die Gerichte unterwerfen sich nicht dem Gesetz, die Freiheiten der Zivilgesellschaft wurden extrem zurückgeschraubt, und ein Großteil der Medien ist staatlich kontrolliert. Das gilt auch für die Wirtschaft.

SZ: Medwedjews Vorgänger Wladimir Putin spricht gerne von Stabilität.

Liptser: Wenn man sich ansieht, wie viele Menschen auf die Straße gehen und gegen Putins Politik demonstrieren, wenn man bedenkt, dass es in Strafkolonien zu Häftlingsaufständen kommt und wenn man sich die zahlreichen Klagen am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ansieht, dann kann von Stabilität doch keine Rede sein.

SZ: 2007 verurteilte der Straßburger Gerichtshof Russland wegen menschenunwürdiger Behandlung des ehemaligen Obersten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB, Michail Trepaschkin, zu 3000 Euro Schmerzensgeld. Trepaschkin war Ihr Mandant. Was soll so ein Urteil bewirken?

Liptser: Es ging nicht um das Geld. Es ging darum, dass ein internationales Gericht anerkennt, dass sich Trepaschkin schon in Untersuchungshaft menschenunwürdigen Bedingungen aussetzen musste. Sinn solcher Klagen ist in erster Linie, dem russischen Staat die Schamröte ins Gesicht zu treiben.

SZ: Regisseur Andrei Nekrasow hat es auch einmal mit einem Appell an die Moral versucht. In einem offenen Brief schrieb er Putin, er solle seine Kritiker überraschen und Trepaschkin retten. Viel geholfen hat das nicht.

Liptser: Trepaschkin wollte nachweisen, dass der FSB in die Sprengstoffanschläge auf Moskauer Wohnhäuser im Jahr 1999 verwickelt war. Damit war er von Anfang im Visier des Kremls. Unter diesen Umständen war es für Putin unmöglich, die Vollstreckung des Urteils ohne Gesichtsverlust auszusetzen. Ich wundere mich ohnehin, dass Trepaschkin vor kurzem vorzeitig entlassen wurde. Ich dachte eigentlich, es würden weitere Vorwürfe konstruiert, um seine Haftstrafe noch zu verlängern.

SZ: Genau das könnte nun dem früheren Yukos-Chef Michail Chodorkowskij und seinem Partner Platon Lebedew passieren. Haben Sie zu beiden Kontakt?

Liptser: Ja, hauptsächlich zu meinem Mandanten Lebedew. Ich besuche ihn einmal im Monat in der sibirischen Stadt Tschita, wo auch Chodorkowskij untergebracht ist. Dort studieren beide gerade die neue Anklageschrift, auf deren Grundlage sie zu weiteren Haftstrafen verurteilt werden sollen. Es steht uns ein neuer Prozess bevor, an dessen Ende wohl für beide mindestens 20 Jahre Gefängnis stehen werden.

SZ: Rechnen Sie mit besseren Bedingungen als beim ersten Yukos-Prozess?

Liptser: Ich fürchte, es wird noch schlimmer kommen. Sollte die Verhandlung wie angekündigt tatsächlich nicht in Moskau, sondern in Tschita stattfinden, wird das auch eine Bestrafung der Anwälte sein. Wir müssen dann zeitweilig unseren Wohnsitz dorthin verlegen, weil der Prozess mehrere Monate dauern wird. Für die Verteidigung wird es keine ausgestatteten Büros geben. Wir werden uns die Räume selbst anmieten müssen. Es herrscht ziemliche Willkür. Entlastende Zeugen werden nicht zugelassen und Termine immer wieder verschoben.

SZ: Der an Aids erkrankte und ehemalige Yukos-Vizepräsident Vassili Alexanian soll erpresst worden sein: Medizinische Behandlung im Ausland nur dann, wenn er Chodorkowskij mit Falschaussagen belastet.

Liptser: Stimmt. Das Angebot soll vom Untersuchungsrichter persönlich stammen, hat Alexanian erzählt. Er sagte aber auch, dass er nicht darauf eingehen werde. Es wird ihn wahrscheinlich das Leben kosten.

SZ: Wie sind die Haftbedingungen?

Liptser: Chodorkowskij und Lebedew sind stark bewacht und isoliert. Man hat in dem Untersuchungsgefängnis für beide eine eigene Etage freigemacht. Sie heißt Spezialposten Nr. 13. Verwandte dürfen sie maximal zwei Mal im Monat für je drei Stunden besuchen. Eigentlich sind es schon jetzt reale Knastbedingungen, obwohl sich doch beide zumindest offiziell lediglich in Untersuchungshaft befinden.

SZ: Lebedew leidet an Hepatitis. Hat er Zugang zu medizinischer Versorgung?

Liptser: Noch zumindest bekommt er die Medikamente, die wir ihm beschaffen. Die Behandlung seiner Krankheit geschieht zur Zeit allerdings auf der Grundlage von Selbstmedikation. Lebedew sagt uns, welche Arzneien er braucht, und wir besorgen sie dann für ihn. Den Ärzten, die man ihm in der Untersuchungshaft zur Verfügung stellen wollte, vertraut er nicht. Und unabhängige Ärzte werden zu ihm nicht vorgelassen. Niemand weiß also genau, wie es ihm geht, da Lebedew sich seit seiner Verhaftung vor mehr als vier Jahren praktisch selbst therapiert.

© SZ vom 3.3.2008/mako/gba - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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