Russland und die Wahlbeobachter:Siebzig Kontrolleure warten auf ihre Visa

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Die Wahlbeobachter der OSZE müssten eigentlich längst in Russland sein. Doch bislang ist ihnen die Einreise nicht gelungen. Jetzt zweifeln sie am Sinn ihrer Aufgabe.

Frank Nienhuysen

Sie wollten längst in Russland sein, vor dem Fernseher sitzen, Radio hören, Zeitungen lesen, mit Parteien reden, mit deren Kandidaten. Das allein ist schwer genug, wenn sie ein ausgewogenes Urteil abgeben wollen über dieses gewaltig große Land.

70 Wahlbeobachter darf die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach Russland schicken zur Abstimmung über die Duma am 2. Dezember. 70 Kontrolleure auf mehr als 17 Millionen Quadratkilometer Land, da bleibt für jeden im Schnitt ein Gebiet von der Fläche Großbritanniens - wenn sie denn dort sind.

Derzeit warten sie noch immer auf ihre Visa, und die Zeit verrinnt. "Wir überlegen bereits, ab wann es überhaupt noch Sinn hat, nach Russland zur Wahlbeobachtung zu gehen", sagt die OSZE-Mitarbeiterin Urdur Gunnarsdottier. "Normalerweise sind wir sechs Wochen vor einer Abstimmung im Land."

330 Einladungen weniger

Die Stimmung ist gespannt zwischen Moskau und der Organisation, auch wenn diese sich Kommentare verbeißen muss, wenn sie die Mission nicht selber gefährden will. Erst am 31. Oktober hatte Russlands Wahlkommission die Beobachter eingeladen, später als üblich und auch 330 weniger als bei der Duma-Wahl vor vier Jahren. Zwei Tage später habe die OSZE die Visa für ihre Mitarbeiter beantragt, versichert Gunnarsdottier.

Eigentlich hätte es dann schnell gehen können, innerhalb von wenigen Stunden womöglich, vielleicht auch erst nach einer Woche. Aber es dauerte länger. Irgendwann kam der OSZE die Zeitspanne merkwürdig vor, und sie fragte beim russischen Außenministerium nach. "Aber es ist bis jetzt unklar, wann wir die Visa konkret erhalten", sagt Gunnarsdottier.

Russland wies den Vorwurf zurück, dass es den bürokratischen Routinevorgang bewusst verzögere. Im Gegenteil: die OSZE selber sei verantwortlich, weil sie die vollständigen Akkreditierungsunterlagen so spät geschickt habe, sagte der Leiter der Wahlkommission, Wladimir Tschurow, in Moskau. Aber daran mag Alexander Konowalow nicht glauben.

Der Chef des Instituts für strategische Studien sagte der Zeitung Nowyje Iswestija, dass die OSZE in der Vergangenheit bereits Hunderte Wahlbeobachter nach Russland geschickt habe und immer seien die Papiere rechtzeitig fertig gewesen. "Und nun soll sie auf einmal ihre Professionalität verloren haben? Es ist vielmehr klar, dass die russische Wahlkommission keine Zeugen will für ihre brillante Wahlvorbereitung."

Wäre die OSZE früh genug im Lande, sie würde wohl Vorwürfen nachgehen wie jenem von der Oppositionspartei Union rechter Kräfte. Ihr Chef Nikita Belych kritisierte, dass lokale Zentralen der Partei in Woronesch, Samara und St. Petersburg angegriffen und Zeitungen der Partei im Uralgebiet beschlagnahmt worden seien.

"70 Wahlbeobachter sind zu wenig"

Der scheidende unabhängige Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow beklagte kürzlich, dass er jahrelang nicht mehr in einem der staatlichen Fernsehsender zu Wort gekommen sei. Und dass es anderen Oppositionellen nicht anders ergehe.

Hans-Georg Wieck, früherer deutscher Botschafter in Moskau und OSZE-Missionschef in Weißrussland, sagt, normalerweise überprüfe die OSZE frühzeitig den Zugang der Opposition zu den Medien, die Zusammensetzung der Wahlkommissionen und auch, ob die Beschwerden von Kandidaten fair behandelt werden. "Aber 70 Wahlbeobachter sind einfach zu wenig."

Für die russische Regierung sind es vermutlich noch zu viele. Moskau verdächtigt die OSZE, dass es ihr insgeheim darum gehen könnte, Russland ein schlechtes Zeugnis auszustellen. Es hat deshalb eine ganze Reihe von Wahlbeobachtern aus der mit Russland eng verbundenen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) eingeladen, von denen es eine freundlichere Beurteilung erwartet. "Doch die Gefahr besteht, dass diese Beobachter instrumentalisiert werden", sagt Wieck. "Außerdem gibt es in der GUS Länder, die selber eher autoritär sind."

Das System der Wahlbeobachtung ist Russland ohnehin ziemlich suspekt, seit die OSZE mit kritischen Urteilen in der Ukraine, in Georgien und Kirgistan die Menschen dort ermutigt hat, aufzustehen gegen ihre jeweilige Führung. Seit langem dringt deshalb der Kreml auf eine Reform der 56 Staaten umfassenden Organisation, der Russland selber angehört. Sie möge sich mehr um Wirtschaft und Anti-Terror-Kampf kümmern als um Menschenrechte und Parlamentswahlen. Einmal hat Russland sogar monatelang den Haushalt blockiert aus Ärger über den Kurs der OSZE.

Andererseits will natürlich auch der Kreml, dass das Ausland jeglichen Zweifel am demokratischen Wert der Abstimmung in zwei Wochen verliert. Am Mittwoch hat die Wahlkommission deshalb auch amerikanische Beobachter nach Russland eingeladen, wenngleich deren Zahl sehr begrenzt ist: Es sind zwei.

© SZ vom 16.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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