Russland:Tod den Verrätern

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Ganz unverhohlen droht Wladimir Putin seinen Gegnern. Der Streit mit Großbritannien kommt dem russischen Staatschef gerade recht.

Von Julian Hans

Den Redakteuren der kremltreuen Sender muss es wie ein Geschenk vorkommen, als Theresa May am Mittwoch ankündigt, 23 Diplomaten auszuweisen, die London für russische Spione hält. Das gibt neuen Stoff für die Dauerserie, die seit Jahren erfolgreich im Staatsfernsehen läuft und der man den Titel geben könnte: "Die ganze Welt gegen uns - und das ohne Beweise!" Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl sind weitere Variationen zum Thema besonders willkommen. Einen Wahlkampf, bei dem ein Kandidat 60 Prozentpunkte Abstand zu seinem Verfolger hat, kann man schwerlich spannend nennen. Sanktionen und Dopingsperren dagegen werden als wichtige Gründe dafür empfunden, an der Urne zu zeigen, dass das Land geschlossen hinter Wladimir Putin steht. Er ist der Einzige, dem zugetraut wird, das Schiff auch gegen den Wind zu steuern.

Das russische Außenministerium teilte am Abend mit, man werde bald auf die Ausweisung der Diplomaten reagieren. Das Vorgehen Londons sei eine "beispiellose grobe Provokation", die Briten betrieben eine "anti-russische Kampagne". Dass London einen Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow absagte, kontert seine Sprecherin Maria Sacharowa mit dem Kommentar, Lawrow habe die Einladung noch gar nicht angenommen gehabt. Am Dienstagabend hatte sie in einer Talkshow geschimpft, niemand habe das Recht, Russland Ultimaten zu stellen. Zudem drohte Sacharowa, sollte London dem russischen Propagandasender RT die Lizenz entziehen, "dann wird kein einziges britisches Medium mehr in Russland arbeiten dürfen". Auf diesen Schritt hat die britische Premierministerin nun aber verzichtet. Der russische Auslandsgeheimdienst SWR lehnte jede Stellungnahme zu Mays Vorwurf ab, bei den 23 ausgewiesenen Diplomaten handle es sich um Spione. Offiziell sind in der russischen Botschaft in London 58 Diplomaten gemeldet.

Die russische Führung bemüht sich kaum, die Vorwürfe im Fall Skripal zu entkräften oder die Briten wenigstens zu beruhigen. Eher im Gegenteil. Wladimir Putin hätte einfach "Nein" sagen können, als ihn ein Reporter der BBC am Montag fragte, ob Russland hinter dem Giftanschlag auf Sergej Skripal und dessen Tochter stecke. Er hätte die Gelegenheit nutzen können, um sich direkt an die britische Öffentlichkeit zu wenden, den Mordversuch zu verurteilen, den Opfern schnelle Genesung zu wünschen und Hilfe bei der Aufklärung anzubieten. Aber Putin sagte nicht "Nein", er äußerte auch kein Wort des Bedauerns, sondern wies den Reporter nur zurecht, die Briten sollten die Sache erst einmal aufklären, bevor Russland gefragt werde.

Die Warnung vor einer fünften Kolonne erinnert an finstere Zeiten unter Stalin

Zwar haben sowohl das russische Außenministerium als auch der Kreml mittlerweile mehrmals betont, Moskau sei unschuldig. Doch die staatlich kontrollierten Medien begleiten das Thema mit einem zynischen Zungenschlag, der sich etwa so zusammenfassen lässt: Wir waren es zwar nicht, aber es geschieht ihm recht.

Am weitesten ging Kirill Klejmionow, der Moderator der Nachrichtensendung "Wrema" im staatlichen Ersten Kanal. Er wünsche niemandem den Tod, sagte er am Freitag. Aber "aus rein pädagogischer Absicht" wolle er alle warnen, die von einer vergleichbaren Karriere träumten: "Der Beruf des Verräters ist einer der gefährlichsten der Welt." Kaum einem sei es vergönnt, einen ruhigen Lebensabend zu genießen. "Vaterlandsverräter" sowie "alle, die einfach in ihrer Freizeit ihr Heimatland hassen", sollten sich nicht in England niederlassen. "Irgendetwas stimmt da nicht. Vielleicht liegt es am Klima." In den vergangenen Jahren habe es dort zu viele rätselhafte Ereignisse mit schlechtem Ausgang gegeben. "Leute erhängen sich, vergiften sich, stürzen mit Hubschraubern ab oder fallen aus dem Fenster." Das war Zynismus pur.

Das Etikett des Verräters gehört zu den Dingen, die Wladimir Putin in seiner dritten Amtszeit aus den dunkelsten Schubladen der Geschichte hervorgeholt hat. Es weckt Erinnerungen an den Terror unter Josef Stalin, als der Staat Angst vor Verrätern und Spionen bis zur Hysterie schürte und der Geheimdienst Millionen Sowjetbürger unter falschen Vorwürfen in Schnellverfahren aburteilte und erschoss. Seit Putin im Dezember 2014 in seiner Rede an die Nation von der schädlichen Arbeit von "Landesverrätern der fünften Kolonne" sprach, wird das Etikett nicht nur von reaktionär-patriotischen Kreisen, sondern auch im Staatsfernsehen verwendet, um Kritiker seiner Politik zu diffamieren.

In einem der Interviews mit Putin, die das Fernsehen vor der Wahl am kommenden Sonntag ausstrahlte, wird er gefragt, ob er verzeihen könne. Ja, ist die Antwort, "aber nicht alles". Auf die Nachfrage, was er nicht verzeihe, antwortet Putin: "Verrat." Gruppen, die Putin unterstützen, verbreiteten diesen Ausschnitt in den vergangenen Tagen aktiv auf Facebook, Instagram und in vergleichbaren russischen Netzwerken. Außerdem ein älteres Zitat aus einer Pressekonferenz, mit dem Putin ankündigt, Verräter würden an ihrem eigenen Gift verenden und die dreißig Silberlinge, der Judaslohn, würden ihnen in der Kehle stecken bleiben.

© SZ vom 15.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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