Russland:Sieger Putin

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Aleppo, der Wahrheits-Krieg, die Selbstzweifel im Westen - die Kreml-Strategie der Gewalt und Einschüchterung geht auf. Dagegen hilft nur Wahrheit und Klarheit.

Von Julian Hans

Wenn Wladimir Putin in diesen Tagen seine Neujahrsansprache verfasst, dann kann er auf ein Jahr voller Erfolge zurückblicken. Nicht alle kann er offen nennen, weil er eine Beteiligung abstreitet, oder weil Grausamkeiten zu einem fröhlichen Silvesterabend nicht passen.

Da waren zunächst Wahlen und Abstimmungen, mit denen Putin seine Macht festigen und seinen Einfluss ausweiten konnte. Die Parlamentswahlen im eigenen Land brachten seiner Einheitspartei dank eines neuen Wahlgesetzes eine Mehrheit von drei Vierteln der Mandate. In der Staatsduma sitzt seitdem kein einziger Abgeordneter mehr, der in echter Opposition zum Kreml steht. Auch bei den Wahlen in den USA hat sich der Wunschkandidat des Kremls durchgesetzt. Der Sieg Moskau-treuer Politiker in Bulgarien und der Republik Moldau setzt diesen Trend in Europa fort. Mit dem Brexit verliert die EU zudem einen wichtigen Anker im Westen.

Der Westen im Angst-Rreflex - da hilft nur Klarheit und Wahrheit

Dazu kommen die offenen und die verdeckten Interventionen, mit denen Putin seine Macht demonstrierte. Erstmals trat Russland nicht nur global als Großmacht auf, sondern auch im Cyber-Raum. Mit den Hacker-Angriffen auf die US-Demokraten hat Putin sich an Hillary Clinton gerächt: Du mischst dich in unsere inneren Angelegenheiten ein? Das können wir auch!

Dass die Gräuel von Aleppo keine Folgen haben werden, ist von all diesen Machtbeweisen der schrecklichste. Russland lässt Bomben auf Schulen und Spitäler regnen, Europäer, Amerikaner und die Vereinten Nationen empören sich laut über Kriegsverbrechen. Aber es folgt noch nicht einmal ein Sanktiönchen. Stattdessen macht der deutsche Außenminister geflissentlich das Angebot, Aleppo gemeinsam wieder aufzubauen.

Zu Hause steht Putin schon lange über dem Gesetz. Nun scheint das auch international zu gelten. Kein Skandal kann ihm etwas anhaben. Dass Milliarden aus russischen Staatsunternehmen über Offshore-Konten eines Jugendfreundes des Präsidenten verschoben wurden, wie die Panama Papers zeigten? War mit ein paar süffisanten Bemerkungen über den Wert historischer Instrumente und einem Auftritt des Cellisten in Palmyra erledigt. Erdrückende Beweise für staatlich organisiertes Doping? Das russische Team darf trotzdem an den Spielen in Rio teilnehmen.

Seit der Krim-Annexion wurde Putins Einfluss in Europa nicht etwa zurückgedrängt, er ist gewachsen. Global begann Moskaus Wiederaufstieg mit dem Eingreifen in den Syrienkrieg. Man muss allerdings fürchten, dass ein getreuer Diktator in Damaskus, eine Militärbasis am Mittelmeer, ein Trump im Weißen Haus für Putin nachgeordnete Ziele sind. Etwas anderes ist ihm am wichtigsten: Zu zeigen, dass er es kann, dass er und Russland stark sind. Das ist eine beunruhigende Antwort, denn sie bedeutet, dass Putin seine Politik immer fortsetzen wird. Und dass es aussichtslos ist, sich mit ihm arrangieren zu wollen.

Rational gesehen wäre es sinnlos für Moskau, im Baltikum einzumarschieren. Es könnte aber reizvoll sein für den Kreml, seine neue Macht zu demonstrieren - durch Proteste der russischstämmigen Bevölkerung oder Überfälle scheinbar autonomer Kommandos auf strategische Einrichtungen. Auf diese Weise ließe sich die mangelnde Abwehrbereitschaft der Nato vorführen oder gar der Zerfall des Bündnisses einleiten, wenn sich die Beistandsgarantie als hohl erwiese.

Der Westen reagiert wahlweise mit Verharmlosung oder Hysterie. Beides sind natürliche Angstreflexe auf eine Bedrohung. Während die einen immer noch so tun, als müsse man Putin nur die Hand reichen, wittern andere überall die Hand Moskaus und gestehen dem Präsidenten damit eine Rolle zu, als würde er bereits die Welt regieren. Putins Stärke ist es indes lediglich, diese Schwäche zu erkennen und auszunutzen. Es ist seine einzige.

Russland, das sich von der Finanzkrise 2008 nicht erholt hat und in den vergangenen drei Jahren tief in die Rezession rutschte, zieht seine Stärke aus Gewalt und aus der Angst, die es damit verbreiten kann. Inzwischen wirkt diese Methode nicht nur unter den Nachbarn, sondern bis nach Berlin, Brüssel und Washington. Wenn diese Taktik Putin so große Erfolge beschert hat in diesem Jahr, muss man davon ausgehen, dass er auch künftig auf Angst, Gewalt und Zersetzung setzen wird.

Militärisch kann Europa dem nichts entgegenstellen, die USA wollen es nicht. Blieben als Antwort Geschlossenheit, ein kühler Kopf und eine klare Sprache, die Schwarz Schwarz nennt, Weiß Weiß und eine Lüge eine Lüge. Aber genau diese Klarheit fehlt der EU gerade.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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