Russland:Repression in Zeitlupe

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Moskau bremst das Internet für kritische Plattformen.

Von Julian Hans

Zu den großen Plagen unserer Zeit gehört zweifellos langsames Internet. Was früher ein gebrochenes Wagenrad auf einer holprigen Allee war, ist heute das kleine Rädchen auf dem Bildschirm oder der kriechende Fortschrittsbalken beim Download: Man sitzt davor und verzweifelt. Insgesamt 100 Milliarden Euro wollen der Bund und die Wirtschaft für den Ausbau des Breitbandnetzes ausgeben, um diese Plage bis 2025 zu beseitigen.

In Russland ist - wie so oft - alles umgekehrt. Dort sind zwar manche Straßen in einem Zustand wie im Mittelalter. Dafür flutscht das Internet. Schon für weniger als 20 Euro im Monat bekommt man eine mobile Daten-Flatrate, mit der man sogar fernsehen kann. Geht es nach dem Willen des Kremls, sollen die Anbieter nun Millionen investieren, damit das Internet wieder langsamer wird.

Zumindest für ausgewählte Dienste. Solche nämlich, die nicht ausreichend mit den Behörden zusammenarbeiten und Entscheidungen russischer Gerichte nicht folgen. Dies geht aus einem Gesetzentwurf hervor, über den die Wirtschaftszeitung Wedomosti berichtet. Das Problem, dass Google oder Facebook nur widerwillig reagieren, kennt man auch in Brüssel oder Berlin. Mit der Drossel möchte Moskau nun ein Druckmittel schaffen, um die Konzerne zur Kooperation zu zwingen: Sperrt ihr eine Facebook-Gruppe nicht, die wir als extremistisch einstufen, verschafft ihr uns nicht Zugang zu einer verschlüsselten Kommunikation, die uns interessiert, treten wir auf die Bremse!

Eine Sperrung einzelner Dienste ist nach geltendem Gesetz bereits möglich. Allerdings schreckt der Staat bisher vor solch drastischen Maßnahmen zurück. Einzig das Karriere-Netzwerk Linked-In wurde im November blockiert - ein Warnschuss für alle anderen. Vor der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr würden Internetsperren einen schlechten Eindruck machen, glauben russische Kommentatoren. Surfen in Zeitlupe könnte ausreichen, damit Nutzer die Lust verlieren, würde aber nicht gar so repressiv wirken.

Die Spaßbremse wäre allerdings aufwendig und teuer. Viele Mobilfunkanbieter haben die Technik schon installiert. Sie senkt die Datenrate zum Beispiel, wenn ein im Tarif festgelegtes Limit erreicht ist, während einzelne Dienste wie WhatsApp weiter ungebremst genutzt werden können. Die Festnetzanbieter aber müssten nachrüsten. Allein auf den Branchenführer Rostelekom kämen nach dessen Angaben mehr als hundert Millionen Dollar Kosten hinzu.

Derweil hat die Zunft noch nicht einmal die letzte Gesetzesverschärfung verdaut. Ein im vergangenen Sommer verabschiedetes Anti-Terror-Paket verlangt, dass russische Telekommunikationsfirmen den gesamten Datenverkehr ihrer Nutzer mitschneiden und bis zu drei Jahre lang aufbewahren. Dafür ist in ganz Russland nicht genug Speicherkapazität vorhanden. Selbst Edward Snowden, der nach seinen NSA-Enthüllungen in Moskau Unterschlupf gefunden hat, kritisiert das Gesetz als "repressiv". Die Kosten schätzt er auf 33 Milliarden Dollar.

Wenn die Unternehmen sie an die Kunden weiterreichen, sind Flatrates für 20 Euro Vergangenheit. Russland hätte sich selber erfolgreich auf europäisches Niveau ausgebremst.

© SZ vom 16.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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