Russland:Reform mit maximaler Einsparung

Lesezeit: 3 min

Russlands Verteidigungsminister will die Streitkräfte umbauen. Die Zahl der Soldaten will er dabei fast halbieren.

Sonja Zekri

Anatolij Serdjukow möchte den Übergang vom Ei zur Pyramide schaffen, und die Generalität würde ihn dafür am liebsten rauswerfen. Der Ex-Zivilist Serdjukow ist russischer Verteidigungsminister und das Ei die aktuelle Personalstruktur der Armee: Oben eine breite Schicht Generäle, dann eine große Wölbung aus Offizieren und schließlich ein winziger Bodensatz aus einfachen Soldaten, alle zusammen zwei Millionen Mann. Die Pyramide aber ist die Zukunft: Wenige Generäle, ein paar Offiziere, eine starke Truppe.

Glück mit dem Feind: Russische Soldaten verlassen Geogien im August dieses Jahres. (Foto: Foto: dpa)

Um dorthin zu gelangen, hat Serdjukow im Oktober einen Plan vorgelegt, der Unmut provoziert. Bis zum Jahr 2012 soll die Zahl der Streitkräfte fast halbiert werden. Von 355.000 Offiziersstellen sollen 200.000 wegfallen, davon 200 Generalsstellen. Es blieben eine Armee von etwas mehr als einer Million Mann übrig und zehn statt 60 Militärhochschulen. "Es ist der Versuch, aus dem Nichts eine neue Armee zu schaffen", sagt Alexander Chramtschichin vom Institut für Politische und Militärische Analyse: "Von allen bisherigen Reformvarianten ist sie wahrscheinlich die radikalste."

Mehr geschadet als ein Spion

Bereits im Frühjahr kursierten Gerüchte über Kürzungen in der Armee, berichtet Andrej, ein Offizier, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. "Im Herbst hieß es, es gebe ein neues militärisches Konzept", sagt er. Die Armee werde "geschwächt, verstümmelt". Und wozu? "Maximale Einsparungen" seien das Ziel, hatte Serdjukow erklärt.

Zwei ehemalige Generäle verlangten daraufhin, den Minister abzusetzen. Er habe der Armee "mehr geschadet als ein Nato-Agent". In der Tat verrät der Plan eine überraschende Wende in der Analyse russischer Gegner. "Andauernd ist die Rede davon, dass die Nato an unsere Grenzen rückt, dass wir eingekreist werden; und plötzlich halbieren sie die Armee", staunt Andrej. Und Chramtschichin ergänzt: "Diese antiamerikanische und Anti-Nato-Rhetorik ist sowieso nur nach Innen gerichtet, damit sich die Gesellschaft im Angesicht des Feindes um die Machthaber schart."

Mit der pyramidenförmigen Armee der Zukunft, die zudem vom Divisionsprinzip, also von Einheiten bis zu 5000 Mann, auf mobile Brigaden von bis zu 2000 Mann umgestellt werden soll, rüste man sich für Konflikte wie in Georgien, so Chramtschichin, für begrenzte Auseinandersetzungen, denen die schwerfällige postsowjetische Armee kaum gewachsen ist.

Zwar hatte das US-Militär die für regionale Maßstäbe chirurgische Kriegführung in Georgien gelobt, aber russische Offiziere wussten es besser. Die Gefechtsbereitschaft war so schlecht, dass Eliteeinheiten für Standardsituationen eingesetzt wurden. Offiziere und Truppe kommunizierten über nicht abhörsichere Handys. Die Befehlskette war endlos. "Russland hatte Glück mit seinem Feind", sagt Chramtschichin trocken.

Nicht mal Serdjukows Gegner bestreiten deshalb, dass die Truppe Reformen braucht. Während aber Präsident Dmitrij Medwedjew von Militär-Hightech im All spricht und dem militärisch-industriellen Komplex mit einem erhöhten Budget von 36 Milliarden Euro durch die Krise helfen will, befürchten die Offiziere den Kahlschlag. Welche Teile der Truppe besonders betroffen sind, ist nach wie vor unklar, was die Soldaten erbittert.

Das Verteidigungsministerium, das sonst zügig reagiert, antwortet auf eine schriftliche SZ-Anfrage mit Vertröstungen. Am Wochenende berichteten russische Medien von einem Maulkorb-Erlass für die Truppe. Das Verteidigungsministerium bestreitet das. Aber Andrej, der Offizier, ist sicher: "Wer redet, wird entlassen. Natürlich gibt es ein Verbot."

Niemand will Soldat werden

Nur selten dringen Details nach außen. So melden russische Medien, dass auch Infanterie und Aufklärung betroffen sind, sogar die Nuklearstreitkräfte sollen um eine Armee und drei Divisionen schrumpfen. Bis 2020 sollen 30 Prozent des Raketenarsenals und ein Viertel der Ausbildungszentren abgebaut werden. Die verstaubten Trägermittel sind die Achillesferse der Nuklearmacht Russland, die Produktion läuft schleppend. Selbst die soeben auf Kamtschatka erfolgreich getestete Bulawa-Rakete ist von der Serienreife weit entfernt.

Ohnehin gilt die Armee zwar als Stolz der Nation, aber Soldat werden möchte kaum einer. "In der einfachen Truppe dienen nur noch soziale Verlierer, die keine Hochschule mehr nimmt. Und die Hochschulen nehmen fast jeden", sagt Chramtschichin. Die Versorgung ist miserabel. Hunderttausende warten bis heute auf Wohnungen. Die Militärstaatsanwaltschaft hat errechnet, dass sich die Verluste durch Korruption in diesem Jahr auf 2,2 Milliarden Rubel belaufen. Das entspricht 30 T-90-Panzern.

Nachdem seit 15 Jahren ein Modernisierungsplan nach dem anderen versandet, könnte es jetzt ernst werden, schätzt Andrej: "Dieses Projekt kommt von ganz oben." Ganz umsonst aber wird die Reform nicht zu haben sein, und Russlands Devisenreserven schmelzen in der Krise dahin. Andrej sieht darin die letzte Chance: "Wenn soziale Unruhen ausbrechen, wird die Armee wieder gebraucht." Das russische Militär kennt keine Putsch-Tradition. Und die Vermutung einiger Beobachter, die Armee solle durch die Radikalreform als Machtfaktor geschwächt werden, klingt wenig überzeugend. Andererseits sagt Andrej, der sich selbst einen Patrioten nennt, nachdenklich: "Gäbe es eine unabhängige Bewegung im Rahmen der Verfassung, würde ich mich anschließen - um die Armee zu retten."

© SZ vom 03.12.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: