Russland:Putins Risiko

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In der Syrien-Krise ähnelt Kreml-Chef Wladimir Putin einem Spieler, der stetig den Einsatz erhöht, fast wie in einem Roman von Dostojewski. Doch anders als im Kasino steigt im echten Leben das Risiko nicht nur für den, der setzt - sondern für alle Beteiligten.

Von Julian Hans

Niemand hat Spielsucht so eindrücklich beschrieben wie Fjodor Dostojewski. Der Russe hat selbst ein Vermögen in den Kasinos von Wiesbaden und Baden-Baden gelassen. Bei ihm kann man lernen, dass die Leidenschaft in eine gefährliche Phase tritt, wenn der Spieler immer riskantere Einsätze macht, um vorangegangene Verluste auszugleichen. Mit Chuzpe und etwas Glück kann man mit dieser Methode eine Weile lang erfolgreich sein; gerade, wenn sich die Mitspieler immer wieder von den Bluffs beeindrucken lassen. Doch auf die Dauer führt die Dynamik, die so in Gang kommt, in den Absturz.

Wladimir Putin hat in der jüngsten Vergangenheit sein Blatt immer wieder überreizt. Als Antwort auf den Sturz Viktor Janukowitschs hat er der Ukraine die Krim genommen. Als Antwort auf die Sanktionen Washingtons und Brüssels hat er dem Westen den Rücken gekehrt. Als der Krieg gegen die Ukraine in eine Sackgasse führte, wechselte Putin das Schlachtfeld und startete den Syrien-Einsatz.

Spät und ohne Not ist er in ein hochriskantes Spiel eingestiegen. Das russische Militär begann eine Operation in einer Region, in der bereits die Streitkräfte zahlreicher Staaten und Gruppierungen aktiv sind, darunter auch Mitglieder der Nato. Dass es bei den vielen Bombern, Jagdfliegern und Luftabwehrsystemen auf engem Raum früher oder später zu einem Zwischenfall kommen musste, war absehbar. Putin und seine Berater aus Militär und Geheimdienst haben dieses Risiko bewusst gewählt, um zu zeigen: Russland ist mächtig genug, um dort aufzutreten, wo die Nato auftritt. Das für alle sichtbare Risiko war ein bewusst gewähltes Mittel, vor allem um den Rivalen USA zu zwingen, künftig seine Einsätze mit den Russen abzustimmen.

In diesem Spiel steigt das Risiko für alle Beteiligten

Jetzt, nach dem ersten Verlust, erhöht Putin den Einsatz noch einmal. Die Luftschläge sollen nicht nur weitergehen, jeder Bomber wird künftig von Jagdfliegern begleitet. Beim nächsten Mal, wenn sich ein türkischer Jet nähert, kann das einen Luftkampf zwischen russischen und Maschinen der Nato bedeuten. Bei aller zornigen Rhetorik beschwichtigt Außenminister Lawrow zwar, Russland wolle keinen Krieg mit der Türkei. Aber die Gefahr, dass der nächste Zwischenfall die Katastrophe auslöst, wird nicht geringer.

Der neue Konflikt mit Ankara fügt sich in eine lange Reihe ein. Im dritten Jahr in Folge führt Russlands Präsident die Forbes-Liste der mächtigsten Männer der Welt an, und hat doch immer mehr Brände zu kontrollieren, die sich ausbreiten. Dass die Wirtschaft schrumpft und der Ölpreis den Rubel in die Tiefe gerissen hat, lässt sich noch auf äußere Faktoren zurückführen. Doch gerade wurden über dem Sinai 224 Zivilisten Opfer des größten Terroranschlags auf russische Bürger seit mehr als zehn Jahren. Die vor einem Jahr mit Hurra in die Russische Föderation aufgenommenen Krimbewohner sitzen im Dunkeln. Gleichzeitig führen die Ermittlungen nach den Schuldigen am Abschuss von Flug MH 17 Richtung Moskau. In mehreren Staaten konfiszieren Gerichte russisches Eigentum, um 50 Milliarden Dollar Entschädigung einzutreiben, die ehemaligen Yukos-Aktionären zugesprochen wurden. China hat es weniger eilig mit dem Bau der Pipeline "Kraft Sibiriens".

Wie stark die russische Führung sich selbst in Bedrängnis gebracht hat, zeigen die hektischen Kurswechsel: Gestern noch war die Türkei ein befreundeter Staat, stolz präsentiert als Partner im Energiegeschäft nach der Abkehr von der störrischen EU. Heute rückt Putin seinen Kollegen Erdoğan in die Nähe der Fanatiker vom "Islamischen Staat". Für alle anderen Spieler macht das Russland immer schwerer einschätzbar. Doch anders als im Kasino wächst hier auch das Risiko für alle.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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