Russland:"Ich habe Millionen Anhänger"

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Wenige Tage vor Beginn seines Berufungsverfahrens hat der frühere russische Öl-Unternehmer Michail Chodorkowskij aus dem Gefängnis heraus Präsident Putin den Kampf angesagt. Er wolle alles für einen Machtwechsel tun.

Daniel Brössler

Moskau - Wenige Tage vor Beginn seines Berufungsverfahrens hat der frühere Öl-Unternehmer Michail Chodorkowskij aus dem Gefängnis heraus Präsident Wladimir Putin den Kampf angesagt. Er wolle alles für einen Machtwechsel tun, der sich schon in wenigen Jahren vollziehen könnte, erklärte der Gründer des Ölkonzerns Yukos in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Westlichen Regierungschefs, darunter auch Bundeskanzler Gerhard Schröder, warf er falschen Umgang mit der russischen Staatsführung vor. Gute persönliche Beziehungen zu Putin garantierten keine stabile Energieversorgung.

"Wir brauchen eine starke Opposition, welche die Interessen der Wähler vertritt und um die Macht kämpft", sagte Chodorkowskij in einem schriftlich geführten Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

Chodorkowskij sitzt im Moskauer Untersuchungsgefängnis "Matrosenruhe" ein. Er werde alles tun, damit eine starke Opposition entstehe, betonte er. Schon nach der für 2008 angesetzten Präsidentenwahl könne sie die Macht erringen, "wenn die jetzige Führung es nicht schafft, sich selbst zu verändern".

Seine Haft hindere ihn nicht an der politischen Arbeit, sagte der einst reichste Mann Russlands. "Ich habe Millionen Anhänger in ganz Russland, und morgen werden es schon zig Millionen sein", fuhr er fort.

Chodorkowskij war 2003 festgenommen und im Mai 2005 wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu neun Jahren Lagerhaft verurteilt worden. In dem Interview beteuerte er abermals seine Unschuld.

"Ich bin ins Gefängnis geworfen worden, weil der Kreml zu schwach ist und nicht bereit zum offenen und ehrlichen Kampf mit der unabhängigen Opposition." Der Regimegegner machte Putins Umgebung für seine Haft und die Zerschlagung des Yukos-Konzerns verantwortlich, vermied es aber, den Präsidenten persönlich zu beschuldigen.

Kein Vertrauen ins Gericht

Vertrauen in das Moskauer Stadtgericht, das von 14. September an über seine Berufung entscheidet, hat er nicht. Es handele sich um ein "Anhängsel" der Kreml-Bürokratie. Bürgerrechtler im In- und Ausland hatten nach dem Urteil gegen Chodorkowskij von einem politischen Prozess gesprochen.

Nach Ansicht des seit fast 700 Tagen inhaftierten Chodorkowskij befindet sich der Kreml "am Rande einer Legitimitätskrise". Die Mehrheit in Russland wisse, dass die Führung nur zynisch ihren Eigeninteressen folge. "Das Putin-Regime bedeutet Autoritarismus ohne Modernisierung, den Status quo um jeden Preis", kritisierte er.

Westlichen Staatsführern warf Chodorkowskij vor, sich damit abzufinden. "Vielleicht denkt Herr Schröder, dass die gelenkte Demokratie das ideale Modell für Russland ist", klagte er in Richtung auf den Bundeskanzler. Schröder gilt als Putins engster Verbündeter im Westen.

Als letzter Staatsgast vor der Bundestagswahl am 18. September hatte Putin am Donnerstag den Kanzler in Berlin besucht, in der russischen Botschaft aber auch die Unions-Kandidatin Angela Merkel empfangen. Bei dem Besuch ging es um die Unterzeichnung eines Vertrages für eine Gaspipeline von Russland durch die Ostsee nach Deutschland.

Chodorkowskij, Ex-Chef des einst erfolgreichsten russischen Ölkonzerns warnte den Westen davor, sich Illusionen über eine stabile Energieversorgung aus Russland zu machen. "Die Lieferungen können nicht durch einen einzelnen Menschen garantiert werden", schrieb er der SZ.

Stattdessen müsse auf Stabilität in Russland gesetzt werden, und die sei nur mit Demokratie zu erreichen. Der frühere Yukos-Chef machte in dem ersten aus dem Gefängnis geführten Interview mit einem westlichen Medium klar, dass er eine politische Karriere anstrebt.

"Ich bin de facto Politiker geworden, als mich der Kreml ins Gefängnis warf."

Auf die Frage, ob er das Präsidentenamt anstrebe, antwortete er, es sei "noch zu früh, über meine Perspektiven zu sprechen". Chodorkowskij, der vor allem jungen Oppositionellen als Vorbild gilt, hatte vor wenigen Tagen seine Kandidatur für einen Sitz im russischen Abgeordnetenhaus angemeldet.

Bei einer für den 4. Dezember angesetzten Nachwahl will er im Moskauer Universitätsbezirk antreten. Dies ist ihm erlaubt, solange er nicht rechtskräftig verurteilt ist. Dem Kreml warf Chodorkowskij vor, sich an ihm und seinem ebenfalls zu neun Jahren Lagerhaft verurteilten Partner Platon Lebedew für politische Aktivitäten mit Haftverschärfungen zu rächen.

Nach der zeitweisen Verlegung Lebedews in Isolationshaft hatte Chodorkowskij einen einwöchigen Hungerstreik angetreten.

Vorsichtig äußerte sich Chodorkowskij zur Frage, ob er um seine Sicherheit fürchte. Er trage "das Risiko des politischen Kampfes unter den Bedingungen der sehr gelenkten Demokratie". Chodorkowskij war während der turbulent verlaufenen Privatisierung der neunziger Jahre zu Reichtum gelangt, weshalb er in großen Teilen der russischen Bevölkerung bis heute umstritten ist.

Als Yukos-Chef hatte er hohe Summen in die Unterstützung von Parteien und gesellschaftlichen Organisationen investiert.

© SZ vom 10.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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