Russland:Gezählte und Ungezählte

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Mitarbeiter des russischen Katastrophenschutzministeriums versorgen ukrainische Flüchtlinge nahe der russisch-ukrainischen Grenze. (Foto: Andrey Kronberg/AFP)

Viele fliehen aus der Ukraine in das große Nachbarland. Der Rest ist Statistik.

Von Julian Hans, Moskau

Die meisten Menschen, die vor den Kämpfen in der Ukraine fliehen mussten, und nicht im Land selber Zuflucht fanden, sind nach Russland gegangen. In diesem Punkt herrscht Einigkeit. Aber sonst unterscheiden sich die Zahlen je nach Quelle stark. Teilweise liegt das am unterschiedlichen politischen Interesse, teilweise an Zählweise und Rechtsstatus, meist an einer Mischung aus beidem. Im September meldete die russische Migrationsbehörde, dass 2,6 Millionen Ukrainer auf dem Gebiet Russlands lebten, davon etwa 1,1 Millionen aus den umkämpften Gebieten im Südosten des Landes. Allerdings ist damit wenig gesagt. Schon vor Ausbruch des Konflikts lebten Millionen Ukrainer in Russland. 2013 waren das laut Migrationsbehörde 3,3 Millionen, 2,9 Millionen davon kamen als Arbeitsmigranten meist nur für einige Monate. Außerdem sind auch diejenigen mitgezählt, die zeitweise zu Verwandten oder Bekannten auf die Krim zogen.

Dass viele Menschen nach Russland fliehen, hat die staatliche Propaganda auf dem Höhepunkt des Konflikts im Sommer 2014 ausgenutzt, um Russland als friedliches Land und sicheren Hafen neben der im Chaos versinkenden Ukraine darzustellen. Und um die Kolonnen weißer Lastwagen loszuschicken, die die Separatisten im Donbass versorgten.

Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk haben 2014 in Russland mehr Menschen einen Flüchtlingsstatus beantragt als in irgendeinem anderen Land auf der Welt: fast 236 000. Die überwältigende Mehrheit davon, etwa 233 000, kam aus der Ukraine. Nur etwa 6000 von ihnen beantragten tatsächlich Asyl. Und nur in etwa 300 Fällen gaben die Behörden dem Antrag statt. Die übrigen, die in der Statistik des Flüchtlingshilfswerks auftauchen, haben einen vorübergehenden Status erhalten, der nach einem Jahr erneuert werden muss. Für Russland ist das ein enormer Anstieg; in den fünf Jahren zwischen 2008 und 2013 hatten insgesamt nicht einmal 10 000 Menschen dort Zuflucht gesucht.

In der Statistik des UNHCR tauchen jene nicht auf, die eine einfache Aufenthaltserlaubnis beantragt haben (209 000 laut Migrationsbehörde) oder am "Programm zur Umsiedlung von Landsleuten" teilnahmen (114 000). Fast 96 000 haben einen Antrag auf die russische Staatsbürgerschaft gestellt. Dem Staat ist das willkommen, denn es hilft, das demografische Problem in Russland zu mildern.

© SZ vom 12.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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