Russland:Gegen Platon und Putin

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Das nicht funktionierende System der Straßenmaut treibt immer mehr russische Lasterfahrer zum Protest. (Foto: Pavel Golovkin/AP)

Der Kreml hat es seit kurzem mit einem ganz neuen Typ von Kritikern zu tun. Diesmal sind es Lkw-Fahrer, die verärgert sind, weil sich Freunde Putins auf ihre Kosten bereichern.

Von Julian Hans, Moskau

Die Männer, die auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums im Norden der russischen Hauptstadt stehen, sehen nicht aus wie die Kreml-Kritiker, die das Staatsfernsehen üblicherweise als Vaterlandsverräter vorführt. Michail Kurbatow, 42, ist ein hagerer Mann mit kurzem Haar und Stoppelbart. Seit mehr als 20 Jahren steuert er Lastwagen durch Russland und über den ganzen Kontinent. Jetzt steht er vor seinem weißen Sattelschlepper im Schneeregen und sagt: "Ich bleibe so lange hier, bis sie das System abschaffen!"

Das System trägt den antiken Namen Platon, Abkürzung für die russischen Wörter "Bezahlung pro Tonne". Seit 15. November müssen Lkws über zwölf Tonnen in Russland Maut bezahlen, zunächst 1,53 Rubel je Kilometer auf Bundesstraßen (etwa zwei Eurocent), ab März mehr. Aber bei den Protesten der Brummi-Fahrer geht es längst um mehr als ein paar Cent Gebühr.

Als Platon vor vier Wochen startete, funktionierte das System nicht, buchte doppelt ab oder gar nicht, entnervte Fahrer standen zur Registrierung Schlange, Lieferungen kamen zu spät. Bald gelangten mehr Details ans Licht. Ein Maut-System für die dringend reparaturbedürftigen Straßen wurde 2011 beschlossen, die Ausschreibung aber abgesagt. Die staatliche Rüstungs- und Technologieholding Rostec argumentierte, der Auftrag dürfe nicht an ausländische Unternehmen gehen, der "nationalen Sicherheit" wegen. Rostec, geleitet von Sergej Tschemesow, einem KGB-Kollegen Wladimir Putins aus Dresdner Tagen, beauftragte eine Tochterfirma. Die gehört nun zur Hälfte Igor Rotenberg, Sohn Arkadij Rotenbergs, des Judo-Partner Putins aus Sankt Petersburg, der es in 15 Jahren Herrschaft seines Freundes mit Staatsaufträgen zum mehrfachen Dollarmilliardär brachte.

Eine kleine Gruppe bedient sich aus der Staatskasse, schafft keine ordentlichen Straßen, aber ein unverständliches Mautsystem, das die Nutzer zur Verzweiflung bringt, und am Ende sollen die zahlen, die am wenigsten haben. Das wirkt wie ein Idealmodell für die Vorwürfe, die die wenigen verbliebenen Oppositionellen dem Kreml seit Jahren machen. Nur diesmal protestiert nicht die städtische Mittelklasse, keine kreativen Werber, Journalisten, Unternehmer, Banker, die das Fernsehen als verwöhnte "fette Kater" verunglimpfen kann.

Eigentlich sind es Leute, die der Kreml zu seinen Stützen zählt: Echte Kerle, harte Arbeiter

Die Männer, die jetzt überal ihrem Ärger Lauf lassen, kommen aus einem Milieu, das der Kreml zu seinen Stützen zählt: Echte Kerle, harte Arbeiter, fern des Verdachts, vom Westen mit Verständnis für Homosexuelle oder ähnlich unrussischen Ideen angesteckt zu sein. Weil ihr Protest nicht zentral organisiert ist, kann niemand genau sagen, wie viele es sind. Aber er dauert nunmehr als vier Wochen, in mindestens 24 von 85 Regionen der Russischen Föderation gab es Aktionen.

Ende November starteten aus Dagestan 200 Fernfahrer, um den Autobahnring um Moskau zu blockieren. Eilig stellte die Staatsduma per Gesetz Demonstrationen per Auto-Korso unter Strafe. Gleichzeitig senkte die Regierung die Gebühren für Platon und die Strafen für Fahrer, die nicht bezahlen deutlich. "90 Prozent der Fahrer bezahlen" sagte Ministerpräsident Dmitrij Medwedew vergangene Woche im Fernsehen und rückte die renitenten gleich in schlechtes Licht: Sie transportierten nicht deklarierte Ladung t. Die wöchentliche Propagandasendung "Westi Nedeli" unterfütterte die Unterstellung am Sonntag mit einem Bericht über einen verunglückten Laster, der gepanschten Wodka geladen hatte.

Lange wirkte der Protest chaotisch, die Fahrer konnten keine einheitlichen Forderungen formulieren, weil sie nicht organisiert waren. Vergangene Woche gründeten sie dann eine Gewerkschaft. Am Montag demonstrierten rund 70 Fernfahrer vor der Präsidialverwaltung. Anders als auf scheinbar abstrakte Forderungen nach Menschenrechten oder rechtsstaatlichen Prozessen, reagierte der Kreml auf sozialen Protest in seinem Unterstützer-Milieu sonst rasch. 2009 blockierten Hunderte Bürger der Stadt Pikaljowo eine Bundesstraße aus Protest gegen eine Fabrikschließung, da der damalige Ministerpräsident Putin an und zwang den Besitzer, die Fabrik wieder zu öffnen.

Er habe sich nie politisch engagiert, sagt Michail Kurbatow. "Ich fand Putin nicht besonders gut, aber einen starken Politiker, der viel für das Land tat. Aber diese Korruption muss aufhören." Dann wäre er auch bereit, zu zahlen.

© SZ vom 15.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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