Russland:Ein Mann mit unerwünschten Nachrichten

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Grigori Pasko ist das, was man in Sowjet-Zeiten einen Dissidenten genannt hätte: Der Umweltaktivist und investigative Journalist gilt dem Kreml als Nestbeschmutzer.

Cathrin Kahlweit

Als er das erste Mal für lange Zeit von zu Hause fort war - im Gefängnis, dann nach einer kurzen Atempause daheim erneut im Gefängnis und später im Arbeitslager -, da sagte seine Frau Galina dem damals dreijährigen Sohn, der Papa sei auf Dienstreise.

"Auch das Recht wird vom Staat zerstört": In Russland wagt kaum noch ein Medium, die Berichte von Grigori Pasko zu veröffentlichen. (Foto: Foto:)

Journalisten sind oft auf Dienstreise, aber die von Grigori Pasko währte beim ersten Mal 20 Monate, beim zweiten Mal knapp anderthalb Jahre. 1999, als Grigori Pasko das erste Mal von seiner "Komandirowka", von seiner Abkommandierung, wie die Dienstfahrt im Russischen so lautmalerisch wie bürokratisch heißt, nach Hause kam, sagte der Sohn: "Papa, du warst aber zu lange weg." Pasko brach es schier das Herz.

Nun ist der Kleine zehn, und als Pasko jetzt für eine kurze Ewigkeit von Moskau nach Regensburg aufbrechen musste, da fand Galina Pasko, der Sohn sei diesmal alt genug, um die Wahrheit zu erfahren: Sein Vater hat Nierenkrebs und musste sich in Deutschland einer komplizierten Operation unterziehen, die in Russland kein Arzt vornehmen mochte: zu kompliziert, hieß es in Moskau.

Pasko ist das, was man in Sowjet-Zeiten einen Dissidenten genannt hätte: Der Umweltaktivist und investigative Journalist gilt dem Kreml als Nestbeschmutzer. Derzeit allerdings ist der ehemalige Marine-Offizier, einstmals ein drahtiger, durchtrainierter Mann, keine Gefahr für die Mächtigen in Russland.

Mager und erschöpft saß er wochenlang im dunkelblauen Trainingsanzug in einem Regensburger Krankenhaus, dankbar, weil die Hilfsorganisation Reporter ohne Grenzen das Geld für seine Operation gesammelt hat, die er allein nicht hätte bezahlen können. Unglücklich, weil er sprachlos in der Fremde gestrandet war, weil er in seinem Krankenbett auf Popmusik von MTV angewiesen war und doch so gern in der eigenen Sprache redet und fragt und diskutiert.

Bitter, weil die Nieren seit der ersten Haft kaputt sind, weil er sicher ist, dass der russische Staat seine Gesundheit auf dem Gewissen hat. Und gleichwohl optimistisch, weil einer wie Grigori Pasko immer irgendwie überlebt: "Ein russischer Arzt fragte mich, ob ich in letzter Zeit Stress hatte. Ich sagte, wenn man von 20 Jahren in der Armee absieht, von einem getürkten Prozess, von Knast und politischer Erpressung, von Einsamkeit und Angst, dann eigentlich nicht."

Das gab's schon einmal

Pasko schlägt sich mit kleineren Aufträgen durch; im Westen ist er bekannter als in Russland, wo auch die letzten regimekritischen Blätter ihn, wie er schulterzuckend sagt, nur unter Pseudonym gedruckt hätten. Zuletzt überlebte er mit Hilfe westlicher Medien und Kollegen, als Autor für einen politischen Blog aus den USA, als Rechercheur für die ARD.

Wie man sich so durchschlägt als Familienvater, wenn die Zeitungen und Sender in Russland bis auf wenige Ausnahmen von der Regierung kontrolliert sind und nichts mit einem Reporter zu tun haben wollen, der solche Sätze schreibt: "Das hat es in Russlands Geschichte schon einmal gegeben: Gefängnisse, Deportationen, Lager, Verfolgungen, und sogar politische Morde. Und es sieht so aus, als komme all das wieder." Die sogenannte gelenkte Demokratie von Ex-Präsident Wladimir Putin und seinem Nachfolger Dmitrij Medwedjew mag keine Journalisten, die das Versprechen der Pressefreiheit zu wörtlich nehmen. Pasko aber, der ist so einer.

Der mittlerweile 46-Jährige war in den neunziger Jahren Kapitän der Pazifikflotte und schrieb für die Marine-Zeitung Bojewaja Wachta. Er recherchierte Schlampereien mit radioaktivem Material und filmte die Verklappung von russischem Nuklearabfall im Japanischen Meer. Nicht nur das: Er konnte belegen, dass 95 Millionen Dollar, mit denen Tokio eine umweltschonende Entsorgung des Atommülls in Russland unterstützen wollte, zum Großteil in den Taschen russischer Offiziere verschwanden.

Ein japanischer Fernsehsender zeigte Paskos Film "Höchste Gefahrenzone" über die illegale Atommüllverklappung. 1997 wurde er festgenommen. Der Vorwurf: Spionage. "Als sie mich verhaftet haben, war mein erster Gedanke: Du Idiot, du hast geglaubt, die halten sich an Recht und Gesetz", sagt er heute. Immerhin habe die Verfassung theoretisch das Recht garantiert, Umweltverbrechen aufzudecken. Pasko aber kam dafür in Untersuchungshaft, wurde misshandelt.

Überraschend sprach ein Kriegsgericht der Pazifikflotte den Umweltschützer 1999 frei. Nicht für lang: Russlands Oberstes Gericht wollte einen neuen Prozess; 2001 wurde Pasko für vier Jahre ins Lager geschickt. Das Urteil: Landesverrat. 2003 wurde er wegen guter Führung entlassen, musste um einen Pass kämpfen und konnte monatelang das Land nicht verlassen.

Bis heute liegt seine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Straßburg schickte eine Bitte um Stellungsnahme an den Kreml; der schrieb zurück, alles sei bei dem Prozess mit rechten Dingen zugegangen. Seither bewegt sich nichts; eine Sprecherin des Gerichtshofs gibt an, es sei unklar, wann der Fall je behandelt werde.

Seltsame Tode von Kollegen

Nach dem Arbeitslager gab Pasko eine Zeitschrift heraus, Ökologie und Recht, Auflage 1000 Stück. Der Umweltaktivist wollte darin den Russen erklären, wie man sein verfassungsmäßiges Recht wahrnimmt, wenn der Staat die Umwelt zerstört. "Aber auch das Recht wird vom Staat zerstört", sagt er. 25 Nummern produzierte er von Ökologie und Recht, dann hat er aufgegeben. "An Universitäten, in Schulen, sogar in der Duma haben sie uns gelesen.

Der Chef des Umweltausschusses hat mir gesagt: Ich liebe deine Zeitschrift nicht, aber ich lese sie." Woher, fragt er, soll Erkenntnis kommen in einem Land, in dem nur Informationen publiziert werden, die politisch gewünscht sind? Für den Blog "robertamsterdam" war Pasko zuletzt auf den Spuren der geplanten Gaspipeline Nordstream unterwegs, von Wyborg nach Greifswald. Er hatte ein paar Fragen an die Planer, was die Durchleitung der Pipeline durch die Ostsee angeht. "Ich habe bei Gazprom um Informationen nachgesucht. Die haben mir gesagt, alles, was ich wissen müsse, stehe auf ihrer Webseite. Das ist unsere sogenannte Pressefreiheit."

Die amerikanische Stiftung Freedom House, die alljährlich den Zustand der Medien auf der Welt beleuchtet, hat in ihrem jüngsten Report über Russland geschrieben: "Obwohl die Verfassung die Freiheit der Rede und der Presse garantiert, benutzt der Kreml die politisierte und korrupte Justiz des Landes, um unabhängige und kritische Journalisten zu verfolgen. Russland bleibt eines der gefährlichsten Länder der Erde für Medien." 2007 begingen zwei regimekritische Reporter nach Angaben der Behörden "Selbstmord".

Ivan Saforonov fiel aus dem Fenster, als er über Waffenverkäufe an Iran und Syrien berichten wollte; Wjatscheslaw Ifanow soll, so Freedom House, an einer Überdosis Kohlenmonoxid gestorben sein, obwohl er Wunden am Körper hatte und Drohungen von hohen Offizieren erhielt. Journalisten wurden mit Zivil- und Strafprozessen unter Druck gesetzt, Regionalbüros der kritischen Zeitung Nowaja Gazeta durchsucht, der Radiosender Echo Moskwy von Regierungsseite mehrfach verwarnt.

In seiner Antrittsrede hatte Präsident Dmitrij Medwedjew die Bedeutung der Pressefreiheit für Russland betont. "Haben Sie etwa noch Illusionen?", fragt Grigori Pasko - und lacht missvergnügt. Er ist jetzt auf dem Heimweg nach Russland, weil er nur dort arbeiten kann und will. Aber er hat immerfort Angst, auch wenn er sich an dieses Gefühl gewöhnt hat. Pasko erinnert an den Tod seiner berühmten Kollegin Anna Politkowskaja, und glaubt zu wissen, wer sie ermordet hat: "Alle, die zustimmend geschwiegen haben."

© SZ vom 15.07.2008/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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