Rürup-Kommission:Die Geschwätzigkeit der Professoren

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Fast jede Woche sickerten neue Reformvorschläge aus der Rürup-Kommission an die Öffentlichkeit. Rürup verstieß damit gegen ein ungeschriebenes Gesetz: Schweigen, so lange kein Ergebnis vorliegt.

Von Ulrich Schäfer und Andreas Hoffmann

(SZ vom 28. August 2003) Es gab dieses Foto, und vielleicht hätte der Stern die Geschichte über Hans-Adalbert Rürup ohne dieses Bild nie gedruckt. Es zeigt den Professor der Universität Darmstadt vor seinem Krawattenschrank.

Dutzende von Bindern offenbart Rürup dem Fotografen, in allen Schattierungen. Ein köstliches Bild, dachten sich die Magazinmacher. Ein peinliches Bild, dachte sich mancher in der Regierung und in der Kommission, die Rürups Namen trägt.

Das Bild war sein zweiter großer Fehler. Den ersten beging der Mann, der, wie eine Zeitung einmal gespottet hat, Berater-Jobs sammelt wie andere Leute Rentenversicherungsjahre, schon im vergangenen November.

Da plauderte Rürup in einem Spiegel-Gespräch aus, wie er Renten-, Pflege- und Krankenkassen reformieren wolle - nur wenige Tage, nachdem die Regierung die "Kommission für die Nachhaltigkeit in der Finanzierung der Sozialen Sicherungssysteme" eingesetzt hatte.

Schweigen, solange kein Ergebnis vorliegt

Und lange bevor das 26-köpfige Gremium erstmals beisammen saß. Der Ökonom hatte damit gegen jenes Gesetz verstoßen, das ein anderer Kommissionsleiter des Kanzlers, der VW-Manager Peter Hartz, beherzigt hatte: Schweigen, so lange kein Ergebnis vorliegt.

Seither ist kaum eine Woche vergangen, ohne dass die Rürup-Kommission Schlagzeilen lieferte: Papiere kursierten, Zitate, Gerüchte und neue Ideen. Von hohen Zuzahlungen war die Rede, die jeder Patient leisten müsse; von der Bürgerversicherung; von der Kopfpauschale, die später in Gesundheitsprämie umgetauft wurde; und vom Ypsilon-Modell, jener Lösung, die keine war, weil das Modell - da sich die Experten nicht einigen konnten - zwei Varianten enthielt.

Ludwig Stiegler, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, mokierte sich nicht ganz zu Unrecht darüber, die Rürup-Kommission leide an einer "Ejaculatio praecox", an einem vorzeitigen Samenerguss.

Stiegler: Kommission leidet an vorzeitigem Samenerguss

Gremiumsmitglied Ursula Engelen-Kefer, stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschafts-Bundes, erregte sich derweil über den "Hahnenkampf der Professoren", über das Duell zwischen Rürup und seinem Widersacher Karl Lauterbach, dem einflussreichsten Berater von Sozialministerin Ulla Schmidt. Zugleich aber führte sie ihren eigenen Kampf in der Kommission.

Dann gab es Kommissionsmitglied Barbara Stolterfoht, die Chefin des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtverbandes, die es zwischenzeitlich für "ehrenrührig hielt, der Kommission anzugehören". Doch austreten wollte sie nicht.

Dabei stand bereits am Anfang der Kommission ein handfester Koalitionskrach. Die SPD hatte im November, nur drei Wochen nach den Koalitionsverhandlungen, darauf beharrt, den Rentenbeitrag auf 19,5 Prozent anzuheben. Die Grünen waren dagegen, gerade die jungen Abgeordneten drohten mit einem "Nein" im Bundestag.

Eine Kommission, die alles durchleuchten sollte: Das war schließlich der Kompromiss. Vor allem Ulla Schmidt hatte sich heftig gewehrt, wähnte sie sich zu Recht teilweise entmachtet. Die Ministerin hatte Walter Riester vor Augen, dem Peter Hartz die Arbeitsmarktreformen vorschrieb.

Kanzleramt streute eigene Ideen

Aber Schröder setzte sich durch. Dem Kanzler war klar, dass Rot-Grün mit seinen Abgaben- und Steuererhöhungen im Herbst viel Sympathie verspielt hatte. Wenn die Lohnnebenkosten weiterhin rasant steigen, so seine Furcht, werde nichts aus dem erhofften Abbau der Arbeitslosigkeit.

Auch das Kanzleramt streute daher, wie die Rürup-Kommission, eigene Ideen: Ein Strategie-Papier machte kurz vor Weihnachten die Runde. Es sollte die zögerliche Ulla Schmidt etwas unter Druck setzen - und mündete in der Agenda-2010-Rede vom 14.März.

Die Ministerin hat mittlerweile einen Teil dessen, was die Rürup-Runde im April bereits an kurzfristigen Einsparungen im Gesundheitswesen vorgeschlagen hat, umgesetzt.

In die Regierung hinein verlagert hat sich derweil der Streit um die Zukunft der Krankenkassen: Ist eine Bürgerversicherung, die auch Beamte und Selbstständige umfasst, nötig? Dies fordern die Grünen - und Lauterbach. Oder ist nicht das Modell der Gesundheitsprämien sinnvoller? So argumentieren SPD-Wirtschaftspolitiker - und Rürup.

Der Koalitionsstreit dürfte sich im Herbst verschärfen, wenn Rot-Grün die Rentenpläne der Rürup-Kommission aufgreifen will. Die Grünen beharren, wie vor einem Jahr, darauf, dass die Beiträge stabil bleiben; sie plädieren für eine Kürzung der Renten. Gerhard Schröder indes zögert, was er der SPD-Klientel zumuten soll: Vielleicht könne man ja auch den Rentenbeitrag erhöhen, ließ er durchblicken. Der jetzige Satz von 19,5 Prozent sei kein Dogma.

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