Rohstoffe:Armut im Reichtum

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Weltweit fallen die Rohstoffpreise. Das ist nicht nur für Russland ein Problem, sondern für viele Länder Afrikas oder Lateinamerikas. Sie haben kein tragfähiges Wirtschaftsmodell.

Von Sebastian Schoepp

Draußen bibbert man vor Kälte, drinnen bullert die Heizung, als Europäer spielt man jetzt mit seinem neuen Smartphone oder dem, was man sonst so zu Weihnachten bekommen hat. Vielleicht war das Geschenk ja größer als üblich, denn die Energiekosten sind niedrig, da bleibt mehr im Geldbeutel. Was in einem Teil der Welt Kauffreude auslöst, bringt anderswo ganze Staatssysteme ins Schlingern. Venezuela etwa muss wegen der niedrigen Rohstoffpreise um seine Zahlungsfähigkeit fürchten - und um sein auf Öl gebautes Sozialmodell.

Das eine hat mit dem anderen viel zu tun. Es ist der Energiehunger der Industrieländer, der dazu geführt hat, dass weite Teile des Südens sich ganz darauf verlegt haben, Rohstoffe und Naturprodukte zu liefern - nicht nur Öl, sondern alles, worauf die reiche Welt Anspruch zu haben glaubt: von der Cavendish-Banane aus Honduras über Coltan für Handys aus dem Kongo bis zum Koka-Blatt aus Bolivien, dem Grundstoff für das weiße Pulver, das die Finanzmärkte in New York oder Frankfurt zur Ekstase bringt.

Sprudelnde Einnahmen kommen nur einer kleinen Elite zugute

"Extraktivismus" nennen Fachleute das Wirtschaftsmodell der Rohstoffländer. Es basiert darauf, davon zu leben, was man dem Boden entreißt oder von den Bäumen rupft. Extraktivismus hat den Nachteil, dass er kleine Eliten reich macht, deren feudalistische Herrschaftssysteme oft in vormodernen oder kolonialen Zeiten fußen. Die Masse der Menschen bleibt auf die Rolle von Tagelöhnern reduziert, die die Reichtümer aus Minen hacken, der Erde kratzen oder von Feldern pflücken. Und die reiche Welt kauft sie zu Preisen ein, die sie selbst diktiert.

Viele Rohstoffländer haben hohe Einnahmen, aber ihre Wirtschaftssysteme zielen rein darauf ab, dass die Reichen im Lande noch reicher werden. Sie zeigen kein Interesse daran, produktive Gesellschaften zu schaffen. Ihre Regierungen beruhen auf Klientelismus, auf Autoritarismus und Korruption. Demokratische Strukturen sind selten. Von Äquatorialguinea über Saudi-Arabien bis Kasachstan überwiegen Despoten.

Wirtschaftliche Monokulturen aber reagieren auf Preisschwankungen empfindlich. Sie lösen Unruhen, Not und Flüchtlingswellen aus, die im Zweifel in Europa landen, worüber hier lamentiert wird. Dabei laufen die Menschen vor Strukturen weg, die der Norden mitbegründet hat. Die Rohstoffströme aus den Kolonien trieben die Industrialisierung an, und diese Ströme fließen noch in dieselbe Richtung.

Dass in weiten Teilen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens Armut herrscht, obwohl die Länder dort eigentlich reich sind, wirkt also nur auf den ersten Blick widersprüchlich. In der Tat ist es folgerichtig. Lateinamerikas Reichtum sei Lateinamerikas Fluch, schrieb der uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano, der große Vordenker der dortigen Linken, die um die Jahrtausendwende angetreten war, es besser zu machen. Hugo Chávez in Venezuela war so einer. Er machte den Öl-Reichtum den Massen zugänglich, finanzierte Sozialprogramme und ein Gesundheitssystem. Das garantierte Wahlsiege.

Jetzt, da die Preise verfallen, wird deutlich, was der 2013 verstorbene Staatschef versäumt hat. Er hat nicht vorgesorgt für schlechte Zeiten. Die sprudelnden Einnahmen wurden nicht genutzt, um eine nachhaltige Wirtschaft oder ein modernes Bildungssystem aufzubauen. Jetzt ist die Abhängigkeit vom Öl nicht kleiner als früher, sondern größer, und der soziale Frieden gefährdet. Viele lateinamerikanische Gesellschaften kranken an solchen Problemen.

Wer einmal zum Rohstofflieferanten deklariert wurde, kommt aus der Rolle so leicht nicht wieder heraus. Dies gilt nicht nur für Russland. Auch Ecuadors Präsident Rafael Correa hat das erfahren müssen, als er beizeiten den Vorschlag machte, Öl unter einem Nationalpark im Boden zu belassen, wenn die Weltgemeinschaft das Land für die entgangenen Einnahmen entschädigt. Schließlich brauche Ecuador das Geld, um Alternativen zu entwickeln. Doch die Welt zeigte dem armen Land die kalte Schulter, und Correa beschloss trotzig, dass nun doch gebohrt wird im Urwald. Dafür wird er von Umweltschützern harsch kritisiert.

Doch von den Armen Verzicht zu fordern, ist wohlfeil. Der Norden könnte vielmehr einen zentralen Beitrag leisten, um den Extraktivismus zu beenden. Er könnte aufhören, einen Teil der Welt als bloßen Lieferanten für ein Wirtschaftssystem zu betrachten, das Fortschritt als eine endlose Anhäufung von materiellen Gütern definiert. Und er könnte Ansätze zu einer Reform der Rohstoff-Monokulturen stützen. Doch für ein solches Umdenken gibt es kein Anzeichen. Neue Handys werden halt zu schnell wieder langweilig.

© SZ vom 02.01.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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