Reportage:Vom Sandkasten in die Wüste

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In einem nachgebauten Wüstencamp üben junge Amerikaner den Irak-Krieg. Alles ist echt, bis hin zu den "US go Home!"-Grafittis, nur der Schrei des Muezzin kommt vom Band.

Christian Wernicke

Beide haben noch Dreck um die Nase, vom Manöver am Nachmittag. Das beinharte Training hat ihnen Flecken ins Gesicht getrieben, die ein wenig an Pubertätspickel erinnern. Bis zur Erschöpfung sind Eric Wilett und David McKenney durch den Sand gerobbt, unter dem Stacheldraht durchgekrochen, über Steinwälle gesprungen.

Am Ende mussten sie einen Hügel erstürmen, auf dem ein vermeintlich feindlicher Posten hinter einem Maschinengewehr lauerte. Der feuerte, was das Zeug hielt. Im Ernstfall wären sie als Helden in den Staub gefallen. Todsicher. Aber sie üben nur. Noch. Und "da drüben" - das Wort Irak kommt ihnen selten über die Lippen - lauern sowieso ganz andere Gefahren. Schüsse aus dem Hinterhalt zum Beispiel und Autobomben.

"So schlimm wie im Fernsehen ist es nicht."

Damit umzugehen, auch das trainieren sie hier in den Kiefernwäldern und im Sumpfgras von New Jersey. Warum sie freiwillig ein Jahr lang in diese Wüste ziehen, das können die beiden Lagerarbeiter aus dem Bundesstaat Vermont so genau nicht erklären.

David redet wenig, und Eric stochert verlegen im Reishuhn herum, das ihm der Lagerkoch von Fort Dix auf den Plastikteller geschaufelt hat. Er lächelt und sagt: "Meine Eltern haben es auch nicht verstanden." Aber die beiden früheren Schulkameraden gehen, zum zweiten Mal schon. Die 22-Jährigen sind inzwischen "Brothers in Arms", Waffenbrüder.

Vor 24 Monaten ereilte sie der erste Einberufungsbefehl - wie inzwischen mehr als 300.000 andere Amerikaner, die im Jargon des Pentagon als Mitglieder der National Guard, der Army Reserve oder anderer Einheiten als Zivilisten die "Reserve-Komponenten" bilden.

Ein Ersatzheer auf Abruf, aufgestellt aus mehr als 1,1 Millionen verfügbaren Zivilisten. Allein aus den Reihen der Nationalgarde stammte voriges Jahr fast die Hälfte aller Kämpfer im Irak. Ohne seine "Bürger-Soldaten" wäre Amerikas Berufsarmee in Afghanistan und in Mesopotamien längst zerschlissen. Und ausgeblutet.

Truppenausflug nach Babylon

Was sie reizt, sagt Eric, sei "vor allem die Kameradschaft. Das zählt." David nickt. Und solange es mit dem Sprung aufs College nicht klappe, hätten sie ja Zeit. Das Handgeld von 10.000 Dollar bei der Einschreibung für sechs Jahre, die Pensionsansprüche - keine Silbe davon. Und große Worte wie Vaterland, Nation, Patriotismus meiden sie ohnehin.

Aber neulich hat David McKenney es einem deutschen Freund so erklärt: "Du musst deinem Führer folgen." Nur nennt er George W. Bush eben "Leader", nicht Führer. Überhaupt, springt Eric Wilett seinem Kumpel bei: "So schlimm wie im Fernsehen ist es nicht." Die Medien würden nur den Kriegsschrecken zeigen, "aber wenn du da drüben bist, in deiner Einheit, ist alles anders. Halb so schlimm. Viel besser."

Das glauben sie, obwohl sie beim ersten Einsatz "einen echt miesen Job" erwischt haben. Statt wie geplant nach Afghanistan hatte die Armee sie ins Gefängnis von Abu Ghraib nach Bagdad geschickt - "zum Aufräumen".

Eric und David waren Wachablösung für jene Soldaten, deren Fotos mit misshandelten Häftlingen im Frühjahr 2004 die Welt empört haben. "Die Gefangenen haben sich dann an uns revanchiert", sagt Eric. Er klingt bitter, aber letztlich habe sich selbst das gelohnt: Im Knast haben sie eine Schule für junge Gefangene aufgebaut, "ein paar Sätze Arabisch haben wir auch gelernt".

Einmal waren sie, per Truppenausflug, sogar im biblischen Babylon: "Großartig." Und nun seien sie "viel besser vorbereitet als beim ersten Trip".

Die Armee musste umlernen, nach 2.249 Toten im Irak. Dafür steht "Tiger Base", ein Armee-Camp wie drüben im Irak: dunkelgrüne Zelte, Feldkantine und chemische Klos, gesichert mit Stacheldraht und bewaffneten Wachposten, die mitten in den einsamen Wäldern von Fort Dix bei nächtlichen Übungen niemanden reinlassen ohne peniblen "Body-Check".

Der Drill währt von fünf Uhr morgens bis kurz vor Mitternacht, und fünf Mal am Tag mahnt ein Muezzin die imaginären Iraker vor den Toren zum Gebet. Der Ruf zu Ehren Allahs erschallt automatisch vom Band, PC-gesteuert.

Ein Potemkinsches Dorf samt Hühnern

Versteckt im Unterholz von Fort Dix lauern bisweilen auch ein paar echte Iraker. Für ein Handgeld verdingen sich hier vier Dutzend Araber als Aufständische.

Mal überfallen diese vermummten Gestalten eine Patrouille im offenen Feld. Oder sie warten im Hinterhalt von Balad, jenem Kaff aus Holzverschlägen und Containern, das die Armee als Potemkinsches Dorf für das Training aufgebaut hat: ein Markt samt Café, zwei Moscheen, ein Rathaus, ein Friedhof.

Irgendwer hat sogar daran gedacht, ein Grafitti an die Wand zu sprühen: "US go Home!" Auch einen Hühnerstall gibt es, samt fünf Hennen. Die werden im Stundentakt aufgescheucht, immer wenn ein Konvoi durch die Budengasse donnert.

Plötzlich blockiert ein Lkw die Straße, es knallt. Laut Übungs-Skript hat soeben eine Autobombe zwei Zivilisten verwundet, der Gefreite Moose schafft sie in Sicherheit, während seine Kameraden feuern, was ihre Gewehre an Platzpatronen hergeben.

Moose, der Krieger

Der Sergeant befiehlt den Rückzug, nach drei Minuten ist nur noch eine Staubwolke vom Konvoi zu sehen. Zur Auswertung kommen sie zurück. Der Ausbildungsoffizier ist zufrieden, kleine Fehler korrigiert er, und jedes Mal erwidert die Einheit mit einem Urschrei: "Hua" - heard, understood acknowledged, gehört, verstanden, bestätigt.

Gefreiter Moose aus Arkansas ist im zivilen Leben Mechaniker. Eigentlich heißt er Jason King, "Moose ist mein Name als Krieger". In den Irak geht er, weil er dabei sein will. Und weil alle rüberziehen aus seiner Einheit, mit der der Reservist jeden Monat ein Wochenende zu Hause trainiert und einmal pro Jahr zwei Wochen ins militärische "Summer Camp" einrückt: "Es ist unsere Pflicht für unser Land."

Zweifel am Sieg treiben ihn nicht um: "Keinesfalls - wir schaffen das. Keine Panik." Das hat Moose, ein bulliger Typ Mitte dreißig, auch seiner Frau klar gemacht. Die hatte Angst. "Klar, da drüben fliegen echte Kugeln", sagt er, "aber ich will denen da die Freiheit sichern wie wir sie haben". Ähnlich denken hier alle.

"De facto haben wir hier nur Freiwillige", sagt Oberst David McNeil, Kommandeur über die 160 Quadratkilometer von Fort Dix. In eineinhalb Jahren haben seine Leute gut 18.000 Zivilisten geschult, nur zwei hätten aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigert: "Wer jetzt noch in der Reserve ist, der weiß, was auf ihn zukommt", sagt McNeil.

Ganz stimmt das nicht. Dewayne Robinson plagen durchaus Zweifel. Nicht am "langen Krieg", wie Pentagon-Strategen den US-Feldzug gegen al-Qaida & Co neuerdings nennen. Für Politik interessiert sich der 32-jährige Polizist aus dem Städtchen Wynne in Arkansas nicht sehr, zur Wiederwahl George W. Bushs hat er nicht beigetragen, "keine Zeit".

Selbst die Bilder von den Anschlägen des 11.September hat er sich damals erst am Tag danach angeschaut: "New York ist weit weg, und ich ahnte ja nicht, dass mich das je betreffen wird." Aber eine Sorge will Robinson nicht aus den Kopf: "Ich habe noch nie einen Menschen getötet."

Die Gefahr für das eigene Leben spielt der Vater zweier kleiner Töchter herunter. Zu Hause am Mississippi, wo er sich nebenher als Pizzabäcker verdingt, könne ihm schließlich "auch der Ofen um die Ohren fliegen". Fernsehen schaut er selten: "Die melden ja immer nur Verluste." Die Irak-Veteranen daheim berichteten hingegen von lauter Erfolgen.

Hinten an der Wand, gleich neben der Dia-Leinwand für die Schulung, hängt ein Foto. Es zeigt die zerfetzten Beine eines Kameraden, der nach einem Bombenanschlag im Irak verblutet ist. Robinson hat das Bild oft genug gesehen. Hält er sich für Kanonenfutter? "Nein, ich glaube an den Sinn dieser Mission", sagt er. Er setzt den Helm auf, greift nach einem M-4-Gewehr. Er muss los, zur nächsten Übung für "drüben."

© SZ vom 07.02.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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