Reportage:Eine unverkennbar grausame Handschrift

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Amerikaner und Iraker feiern den Tod des verhassten Abu Mussab al-Sarkawi: An Brutalität war der Al-Qaida-Terrorist kaum zu überbieten.

Tomas Avenarius

Beifall und Gepfeife erhoben sich, als sein Tod bekannt wurde. Die ersten Jubelnden waren irakische Journalisten, und selbst, wenn ihre Reaktion für hauptberufliche Berichterstatter nicht ganz angemessen erschien, so sagte sie doch einiges darüber, was die Menschen im Irak über Abu Mussab al-Sarkawi dachten.

Stunden zuvor war der gefürchtete Top-Terrorist und Führer der "al-Qaida im Zweistromland" in den Trümmern eines Hauses bei Bakuba gestorben: erschlagen vom Gebälk, getroffen von Bombensplittern oder einfach zerrissen von der Druckwelle.

Die Bilder tanzender, in die Luft schießender Polizisten, die seinen Tod in den Straßen Bagdads feierten, bestätigten die Reaktion der Journalisten: Sarkawi war nicht nur der meist gesuchte Mann im Irak, sondern auch einer der bestgehassten.

Die Mehrzahl der Iraker dürfte von Herzen froh sein, den Bombenleger, Schiiten-Schlächter und Kopfabschneider losgeworden zu sein.

Die Details über den US-Luftangriff auf Sarkawis Unterschlupf am Donnerstag gewannen nur langsam Konturen in all den Erklärungen der Amerikaner und Iraker, doch klar war: Der meistgesuchte Terrorist und Rebell im Irak starb, wie es bei einem Gewalttäter nicht überrascht - durch Gewalt.

Das Haus, in dem er sich am Mittwochabend mit Al-Qaida-Weggefährten in Bakuba 60 Kilometer nördlich Bagdads traf, bombten zwei F-16-Jets in Grund und Boden. Es war das Ende eines Top-Terroristen: Sarkawi wurde für zahlreiche Entführungen, Selbstmordattentate und Exekutionen wehrloser Geiseln verantwortlich gemacht.

Einigen seiner Geiseln, wie dem US-Bürger Niklas Berg, soll der 39-Jährige eigenhändig den Kopf abgeschnitten haben. Dokumentiert ist der Mord in einem körnigen Video, verbreitet übers Internet: Ein Mann im schwarzen Kampfanzug und mit langem Messer verliest eine Erklärung und ergreift dann den wehrlos knieenden, gefesselten Berg am Schopf. Was folgt, entzieht sich der Beschreibung.

Der Stolz des Premiers

25 Millionen Dollar Kopfgeld hatte die US-Regierung auf den Mann mit dem Messer ausgesetzt. Durch Verbrechen, deren in Videos zur Schau gestellte Grausamkeit sich nicht mit Widerstand gegen Besatzer erklären ließ, war Sarkawi zum meist gesuchten Terroristen des Irak und einem der gefürchtetsten Muslim-Terroristen weltweit geworden.

Entsprechend erleichtert zeigte sich Iraks Regierungschef Nuri al-Maliki am Donnerstagmorgen, als er den aus einem anderen Grund versammelten Presseleuten den Tod des Terrorführers bekannt geben konnte: "Abu Mussab al-Sarkawi ist heute eliminiert worden."

Eigentlich hatte der bisher glücklose Maliki nur zwei Ministerposten bekannt geben sollen. Nun aber hatte der Premier, der öffentlich sonst wenig Emotionen zeigt, eine Sensation zu bieten.

Der graugesichtige Iraker verhehlte nicht seinen Stolz über die "gemeinsame Aktion irakischer und amerikanischer Sicherheitskräfte": Der Tod Sarkawis solle all denen zu denken geben, die gegen seine Regierung und die US-Besatzungsmacht kämpfen.

Für die irakische und die amerikanische Regierung waren es die ersten guten Nachrichten seit langem. Zuletzt waren die tagtäglichen Schreckensberichte über Autobomben und Geiselnahmen angereichert worden durch Einzelheiten eines Massakers, das US-Elitesoldaten offenbar unter irakischen Zivilisten in Haditha angerichtet und zu vertuschen versucht hatten.

An seiner Seite hatte Iraks Regierungschef bei seinem Auftritt mit der Erfolgsbotschaft die mächtigsten Männer der US-Besatzungsmacht: Botschafter Zalmay Khalizaid und US-Oberbefehlshaber General George Casey.

Khalizaid, mit hellblauer Krawatte ebenso elegant wie selbstsicher und eloquent, sprach von "einem guten Omen" für Iraks Regierung und den versprochenen Frieden. Sarkawis Tod bedeute keineswegs das Ende der Rebellion, sei aber ein Meilenstein: "Heute ist ein guter Tag."

General Casey hingegen ging nüchtern wie ein Bauchchirurg im OP zur Sache: Er gab kaum Fakten bekannt und verwies darauf, dass man in dem zerbombten Haus weiter Material suche. Später führte das Militär ein Video vor, das den Abwurf der beiden 250-Kilo-Bomben in Bakuba zeigt.

An Sarkawis Seite starben in den Trümmern aus geborstenen Betonplatten und verbogenen Stahlstreben sieben weitere Menschen, unter ihnen sein Berater Scheich Abdel Rahman, ein Kind und eine Frau.

Unter Berufung auf Pentagonkreise hieß es in amerikanischen Medien, der Angriff der Task Force 145 habe eigentlich Rahman gegolten - Sarkawi wäre demnach eher zufällig getroffen worden.

Angeblich hatte es aber einen Hinweis auf ein Treffen Sarkawis mit anderen Rebellen in Bakuba gegeben - in der Stadt waren vor wenigen Tagen abgeschnittene Menschenköpfe in Obstkisten am Straßenrand gefunden worden. Das sah sehr nach Sarkawis Handschrift aus.

Trunkenbold und Schläger

Laut General Casey war die letzte Etappe der jahrelangen Jagd auf den Top-Terroristen in der Region Bakuba vor zwei Wochen angelaufen. Es habe Hinweise aus Sarkawis Umfeld gegeben.

Offenbar spielte auch ein Tipp aus der örtlichen Bevölkerung eine Rolle, ebenso Informationen aus Jordanien. Das ergibt Sinn: Vor zwei Wochen war dort ein Stellvertreter Sarkawis gefasst worden. Die Jordanier mit ihren bekannt rauen Befragungsmethoden dürften ihn zum Reden gebracht haben.

An der Identität der Leiche in den Trümmern scheinen Amerikaner und Iraker keine Zweifel zu haben: Es gebe Fingerabdrücke und den Vergleich von Narben, die Sarkawis Körper zeichneten und die auch bei dem Toten in Bakuba festgestellt wurden. Außerdem zeigte das US-Militär ein Foto der Leiche, auf dem Sarkawi unschwer zu erkennen ist.

Die Fingerabdrücke dürften aus Jordanien stammen: Der gebürtige Jordanier Sarkawi saß dort fünf Jahre in Haft. Geboren in der jordanischen Industriestadt Sarka, begann er für einen militanten Muslim ungewöhnlich: als Trinker und Schläger.

Geboren als Ahmed Fadhil al-Khalaliyah, Sohn eines Scheichs und seiner frommen Frau, soll der Junge sich bei jeder Gelegenheit geprügelt und betrunken haben. Angeblich verbrachte er mehr Zeit auf Polizeiwachen als im Klassenzimmer.

Um den Sohn zu zügeln, gaben die Eltern ihn in die Hand von Geistlichen. Bei diesen offenbar radikalen Islamgelehrten wandelte sich Sarkawi in einen religiösen Eiferer. Sein Zug in seinen ersten heiligen Krieg begann mit Verspätung: Als Sarkawi 1989 in Afghanistan eintraf, waren die heidnischen Sowjets schon abgezogen.

In Afghanistan und Pakistan, damals und heute Brutstätten militanter Islamisten, lernte er dafür Osama bin-Laden kennen, den späteren Al-Qaida-Chef und Terrormeister des 11. September. 1993 nach Jordanien zurückgekehrt, wollte Sarkawi seinen Dschihad nach Jordanien und Israel tragen.

Die Polizei des Königreichs fasste ihn bald: Verurteilt zu 15 Jahren Haft, kam Sarkawi im Zuge einer Amnestie aber nach fünf Jahren frei.

1999 ging er zurück nach Afghanistan, baute unter den Taliban ein Trainingscamp für jordanische Dschihadis auf. In dieser Zeit soll er den Mord an einem US-Diplomaten in Jordanien organisiert haben: eine Tat, für die ihn ein jordanisches Gericht in Abwesenheit zum Tode verurteilt hat.

Weitere Todesurteile in absentia folgten: Sarkawi soll den Auftrag gegeben haben, drei Hotels in Amman zu sprengen - 60 Tote; er soll am Anschlag auf das UN-Hauptquartier in Bagdad beteiligt gewesen sein - 23 Tote und mehr als 100 Verletzte; er soll Drahtzieher des Entführungsgeschäfts im Irak gewesen und für die Hinrichtung vor allem ausländischer Geiseln verantwortlich sein - zahllose Tote. Und, und, und.

Am Ende scheint Sarkawi, den Bin Laden zu seinem "Prinzen der al-Qaida im Irak" ernannt hatte, sein grausiger Ruf zu Kopf gestiegen zu sein: Nur Wochen vor seinem Tod hatte der meistgesuchte Mann im Irak sein stets maskiertes Gesicht enthüllt: in einem Video, in dem er aus einem US-Maschinengewehr schießend durch die Wüste läuft und auf dem Boden hockend im Gespräch mit einem maskierten Weggefährten zum Kampf gegen Amerikaner und irakische Verräter an ihrer Seite aufruft.

Deutlicher hätte Sarkawi seine Verfolger kaum verhöhnen können. Mit dem Video wurde er endgültig zum öffentlichen Gesicht des Terrors im Irak. Abu Mussab al-Sarkawi - das war zumindest für westliche Medien der personifizierte islamische Terror; übertroffen an Schreckenswert allenfalls von Al-Qaida-Graubart Osama bin Laden in Afghanistans Bergen.

Die besorgten US-Propagandaexperten hatten versucht, Sarkawi ebenfalls lächerlich zu machen. Sie hatten angeblich die ungeschnittene Fassung des Wüstenvideos bei einer Haussuchung gefunden und zeigten Filmmaterial, in denen der Topterrorist schon am Durchladen der Waffe scheitert.

Sarkawi konterte: Er veröffentlichte ein Tonband, in dem er zum Krieg gegen die verhassten Schiiten im Irak und der muslimischen Welt aufrief.

Die Schiiten seien "Giftschlangen" und "Heiden", die mehr Zeit mit der - im Islam verbotenen - Anbetung "ihrer Heiligen" verbrachten, statt allein Allah und dem Propheten Mohammed zu dienen.

Warnung aus seinen Reihen

Das Schiiten-Tonband war der Verweis auf die größte Gefahr, die von dem sunnitischen Terrorfürsten ausging: Sarkawi setzte auf Krieg zwischen den irakischen Sunniten und Schiiten - er wollte die Religionsgruppen aufeinander hetzen.

Der Bürgerkrieg, so das Terrorkalkül, würde ihm und seiner "al-Qaida im Zweistromland" die Chance geben, die US-Truppen zu vertreiben: zwischen den irakischen Fronten stehend, würden die Besatzer sich nicht halten können. Der Irak wäre Dschihadi-, Sarkawi-Land.

So rücksichtslos und brutal waren Sarkawis Schiiten-Pläne, dass die oberste Al-Qaida-Führung ihn schon vorher verwarnt hatte: Bin Ladens Stellvertreter Aiman al-Zawahiri, der sich irgendwo in Afghanistan versteckt halten soll, hatte den Jordanier vor einem halben Jahr zur Mäßigung aufgerufen.

Er legte ihm nahe, statt Iraker lieber mehr US-Soldaten zu töten. Die haben das Blatt nun herumgedreht - und die blutige Karriere Sarkawis beendet.

Oder, in den Worten des sichtbar zufriedenen vor die Presse tretenden Präsidenten George W. Bush: "Guten Morgen. In der vergangenen Nacht haben US-Truppen den Terroristen Sarkawi getötet und den meist gesuchten Terroristen im Irak der Gerechtigkeit zugeführt."

© SZ vom 9.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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