Regierung:Tschechische Mitte-Links-Regierung tritt zurück

Lesezeit: 2 min

Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka erläutert die Hintergründe der Regierungskrise. (Foto: Ondrej Deml)

Prag (dpa) - Die tschechische Mitte-Links-Regierung tritt weniger als sechs Monate vor den regulären Parlamentswahlen zurück. Das teilte der sozialdemokratische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka überraschend in Prag mit.

Direkt aus dem dpa-Newskanal

Prag (dpa) - Die tschechische Mitte-Links-Regierung tritt weniger als sechs Monate vor den regulären Parlamentswahlen zurück. Das teilte der sozialdemokratische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka überraschend in Prag mit.

Grund seien Vorwürfe des Steuerbetrugs gegen Finanzminister Andrej Babis, den Vorsitzenden des liberal-populistischen Koalitionspartners ANO. Er wolle mit diesem Schritt einen Ausweg aus der politischen Krise ermöglichen, gab Sobotka im Fernsehen bekannt.

Sobotka kündigte an, Staatspräsident Milos Zeman bis Freitag das offizielle Rücktrittgesuch zu überreichen. Die letzte Entscheidung liegt bei dem 72-Jährigen. Die Verfassung setzt dem Präsidenten keine Frist, innerhalb derer die Demission der Regierung angenommen werden muss. Die regulären Wahlen zum Abgeordnetenhaus, dem Unterhaus des Parlaments, sind erst für den 20. und 21. Oktober angesetzt.

In der Affäre um Babis geht es um steuerfreie Schuldscheine, die der Milliardär und Unternehmer Ende 2012 seinem eigenen Unternehmen, der Agrofert-Holding, abgekauft hatte. Dies geschah kurz vor einer Gesetzesänderung, die das „Steuer-Schlupfloch“ schließen sollte.

Kritiker sehen in den Schuldscheinen im Nominalwert von jeweils einer Krone, die Millionenfach ausgegeben wurden, einen Missbrauch des Systems. Babis selbst verteidigte es als legale Steueroptimierung. „Wir alle zahlen Steuern nach dem Gesetz“, sagte Babis. „Niemand zahlt mehr als nötig.“

Auch eine Mitschuld am Ende der Koalition wies der gebürtige Slowake von sich: „Die Menschen werden denken, dass wir alle verrückt geworden sind, aber in Wirklichkeit ist der Herr Ministerpräsident verrückt geworden“, sagte Babis der Agentur CTK. Das vorzeitige Ende der Regierung nannte der 62-Jährige „verantwortungslos“, er nannte Sobotka einen „Feigling“ und „schlimmsten Premier“ aller Zeiten.

In der Schuldschein-Affäre ermitteln derzeit sowohl die Finanzbehörden als auch die Polizei. Auch das Parlament hatte Babis aufgerufen, sich zu erklären. „Es ist weder klar, ob er nicht Steuerbetrug begangen hat, noch, wie er zu seinem Vermögen gekommen ist“, kritisierte Ministerpräsident Sobotka.

Als Unternehmer gehörte dem Milliardär Babis ein Firmenimperium, das mehr als 250 Unternehmen umfasste - darunter auch den Herausgeber der großen Zeitungen „Mlada Fronta Dnes“ und „Lidove noviny“. Vor einiger Zeit gab er die Holding in einen Trust, dem seine langjährige Lebenspartnerin und Vertraute vorsitzen.

Sobotka schloss nicht aus, dass die bisherigen Koalitionsparteien ihre Arbeit in einer neuen Übergangsregierung fortsetzen - dann aber ohne Babis als Finanzminister. „Ich möchte mit diesem Schritt den Koalitionsparteien ermöglichen, in Verhandlungen einen Ausweg aus der Situation zu finden“, sagte der Regierungschef.

Zunächst war darüber diskutiert worden, dass Sobotka nur Babis entlassen könnte. Er habe Babis nicht zu einem Märtyrer machen wollen, erklärte Sobotka zu dieser Variante. Neben Sozialdemokraten und ANO sitzen auch die Christdemokraten (KDU-CSL) als Juniorpartner in der Regierung, die seit Januar 2014 an der Macht ist.

Eine aktuelle Umfrage sieht die ANO von Andrej Babis klar als stärkste Kraft. Laut der Agentur STEM käme die Partei auf 28,3 Prozent. Die Sozialdemokraten würden auf 16,6 Prozent abstürzen. Drittgrößte Partei wären die orthodoxen Kommunisten (KSCM) mit 12,2 Prozent.

Manche Politiker sehen daher in Sobotkas überraschendem Schritt einen Schachzug, um Babis zu Beginn der heißen Wahlkampfphase an den Pranger zu stellen. „Er hat doch vom Interessenkonflikt seines Finanzministers gewusst und dies drei Jahre lang toleriert“, kritisierte der Chef der konservativen Oppositionspartei TOP09, Ex-Finanzminister Miroslav Kalousek.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: