Bundesweit werden mehr als hundert Rechtsextremisten wegen Straftaten gesucht. Gegen sieben Neonazis läuft auch eine internationale Fahndung. Weil sie untergetaucht sind, konnten die Haftbefehle bisher nicht vollstreckt werden. Vor allem in den großen westlichen Bundesländern gelten etliche Neonazis als flüchtig.
Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage der Linken hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Demnach standen Anfang Januar bundesweit 160 Rechtsextremisten auf den Fahndungslisten, 37 von ihnen allein in Bayern und je 29 in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Von den bundesweit 160 Gesuchten haben die Fahnder bis März bereits 46 Rechtsextremisten festnehmen können.
Dies könne "als Erfolg" einer Aktion des Bundeskriminalamts (BKA) angesehen werden, teilt das Bundesinnenministerium mit. Das BKA hatte, nachdem die Existenz der jahrelang unentdeckten Zwickauer Terrorzelle bekannt geworden war, die Fahndungslisten bundesweit überprüft.
Zuvor hatte es im Innenausschuss des Bundestags eine peinliche Szene gegeben, als Abgeordnete von den Vertretern der Sicherheitsbehörden wissen wollten, ob und wie viele rechtsextremistische Täter derzeit abgetaucht sind. Darauf erhielten sie zunächst keine Antwort. Später sprach das BKA von 159 Fällen; eine genauere Aufschlüsselung liegt nun vor. Sie enthält allerdings keine Angaben darüber, wie lange die Gesuchten bereits verschwunden sind.
Bei den Straftaten, für die ein Haftbefehl ausgestellt wurde, sind nicht nur Gewaltverbrechen, Volksverhetzung und andere szenetypische Delikte dabei, wie das Zeigen des "Hitlergrußes" oder das Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Etliche Rechtsextremisten werden auch wegen Betrug, Diebstahl oder Drogendelikten gesucht. Nur bei 50 der insgesamt 160 Rechtsextremisten, nach denen im Januar gefahndet wurde, lag dem Haftbefehl laut Innenministerium eine "politisch rechts motivierte Straftat" zugrunde.
Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, kritisierte die Statistik scharf. Es sei erschreckend, wie die Sicherheitsbehörden sich die Statistik "schönrechnen", sagte Jelpke. So seien etliche Fälle, bei denen Neonazis den "Hitlergruß" gezeigt oder Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen getragen hätten, nicht als "politisch motivierte" Kriminalität gezählt worden. Offenbar seien die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge "noch blinder als befürchtet", sagte Jelpke.
Sie verwies auf einen Fall von Körperverletzung in Bayern, der in der Übersicht der Bundesregierung ebenfalls nicht als politisch motiviert eingeordnet wird, sondern unter "sonstiger Kriminalität". In der Auflistung des Bundesinnenministeriums wird der Fall so skizziert: "Die gesuchte Person griff eine andere Person (türk. Herkunft) mit beiden Händen am Hals und würgte sie. Nach der Befreiung des Zeugen beleidigte die gesuchte Person diesen mit ,So was wie Ihr gehört vergast!'"
Seit langem beklagen Menschenrechtsgruppen, dass viele rassistische Übergriffe in den Statistiken der Behörden gar nicht als solche kenntlich gemacht würden. Die Linkspartei fordert deshalb, eine "unabhängige Beobachtungsstelle gegen rechte Gewalt" einzurichten.
Mehrere Bundesländer, darunter Hamburg und Sachsen-Anhalt, wollen rechte Gewalttäter härter bestrafen und das Strafrecht für "Hassdelikte" entsprechend ergänzen. Über den Bundesrat haben sie einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der vorsieht, rassistische Motive und Ziele des Täters bei der Strafzumessung als "strafschärfend" zu berücksichtigen. In den vergangenen Wochen ging die Polizei in etlichen Bundesländern auch mit großen Razzien gegen Neonazis vor, zuletzt am Dienstag in einer Aktion gegen das "Braune Haus" in Bad Neuenahr-Ahrweiler.
In Sachsen-Anhalt musste Landesinnenminister Holger Stahlknecht (CDU) in dieser Woche auf das fragwürdige Verhalten von Polizisten bei einer Attacke auf einen türkischen Imbissbesitzer im Ort Mücheln reagieren. Der Mann war offenbar von Kunden angegriffen und mit derben rassistischen Sprüchen bedroht worden; die Polizei reagierten darauf offenbar eher abwiegelnd. Der Minister nannte das Verhalten der Beamten "nicht professionell".