Mladic in Serbien verhaftet:Wieso die serbischen Behörden plötzlich kooperierten

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Viele Jahre haben die serbischen Sicherheitsbehörden die Suche nach Ratko Mladic torpediert. Dass sie jetzt auf einmal kooperativ waren, könnte mit einem ganz konkreten Datum in diesem Jahr zu tun haben. Dennoch warnen in Europa manche Diplomaten davor, das Tor für Serbien nach der Verhaftung allzuweit aufzumachen.

Martin Winter, Brüssel

An einen Zufall mag in Brüssel niemand glauben. Dass Ratko Mladic gerade jetzt verhaftet wurde, ist wohl dem 6. Juni zu verdanken. Dann nämlich wird Serge Brammertz, der Chefankläger bei den Kriegsverbrecherprozessen, den Vereinten Nationen seinen neuen Bericht über die Kooperationswilligkeit Serbiens mit dem Gericht in Den Haag vorlegen. Und der soll "äußerst negativ" ausfallen, wie es unter Diplomaten heißt, die ihn schon vorher gelesen haben.

Ein Straßenverkäufer präsentiert in Belgrad den Titel einer serbischen Zeitung: Mladics Festnahme kam für die Regierung in Belgrad zum richtigen Zeitpunkt. Möglicherweise steckt Kalkül dahinter. (Foto: AFP)

Nun wäre das nicht neu, denn Jahr für Jahr wird immer wieder über die an Sabotage grenzende Unwilligkeit der serbischen Sicherheitsbehörden bei der Suche nach Kriegsverbrechern berichtet. Doch diesmal drohte der Regierung in Belgrad ein politischer GAU. Ohne Mladics Festnahme hätte Brammertz mit seinem Bericht nicht nur Serbiens voriges Jahr gestellten Antrag auf einen EU-Beitritt auf unabsehbare Zeit blockiert; auch das schon 2008 geschlossene, aber bis heute noch nicht ratifizierte "Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen" wäre vermutlich auf Eis gelegt worden.

Im vergangenen Herbst wurde es von der EU zwar zur Ratifizierung durch die nationalen Gesetzgeber freigegeben. Damit sollte dem serbischen Präsidenten Boris Tadic politisch der Rücken gestärkt werden, der als Reformer und als Pro-Europäer gilt. Doch noch haben nicht alle der 27 Mitgliedsländer der EU dem Abkommen zugestimmt - darunter fallen auch die Niederlande. Die Niederländer werden auch diesmal genau prüfen, was in Serbien vor sich geht.

Immer wieder hatten die Niederländer in Brüssel gebremst, wenn die EU Serbien schnell entgegenkommen wollte. Sie taten das sehr zum Ärger anderer EU-Länder; aber die Niederländer drücken bei Serbien kein Auge zu. Zu tief steckt in ihnen die Scham über Srebrenica, als serbische Einheiten unter ihrem General Mladic die niederländischen Blauhelme kühl ignorierten und vor deren Augen ein Massaker begingen.

Wann das Assoziierungsabkommen in Kraft tritt, das Serbien sowohl finanzielle wie wirtschaftliche Vorteile bringen als auch die Tür zur Mitgliedschaft öffnen soll, ist also durchaus noch offen. Immerhin kann Tadic nun damit rechnen, dass die EU-Kommission im Herbst geneigt sein könnte, den Beitrittsantrag seines Landes wohlwollender als vor der Festnahme zu prüfen. Es liegt bei der Kommission, den Mitgliedsländern zu empfehlen, ob Belgrad den "Kandidatenstatus" bekommen oder ob es vertröstet werden soll. Auch dabei wird die niederländische Haltung wieder eine bedeutende Rolle spielen, denn solche Entscheidungen können nur einstimmig getroffen werden.

Bei aller Erleichterung in Europa über die Festnahme Mladics warnen Diplomaten allerdings vor dem Irrglauben, dass das Tor nach Europa für Serbien nun weit aufsteht und der Beitritt greifbar nah liegt. Denn die schleppende Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal ist zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Störfaktor in den europäisch-serbischen Beziehungen. So machen mehrere EU-Länder, darunter Deutschland, eine weitere Annäherung von mindestens zwei weiteren Faktoren abhängig: zum einen von einer grundlegenden Reform des serbischen Rechtswesens, das in weiten Teilen nicht den europäischen Standards entspricht. In Brüssel ist zum Beispiel sehr genau beobachtet worden, wie der deutsche Medienkonzern WAZ behandelt wurde, bevor dieser sich entnervt aus Serbien zurückzog.

Zum anderen könne es ein Zusammenrücken von Belgrad und Brüssel nur geben, wenn die Serben sich in der Kosovo-Frage "vernünftig" verhalten, sagen Diplomaten. Übersetzt heißt das, dass Serbien sich endgültig und für alle Zeiten von seiner ehemaligen Provinz verabschieden muss. Niemand kommt auch nur in die Nähe einer EU-Mitgliedschaft, dessen territoriale Zwistigkeiten nicht abschließend geklärt sind. In Zypern war die EU von dieser Regel abgewichen und bereut das bis heute bitter.

Belgrad sollte sich auch nicht der Illusion hingeben, dass mit Mladic nun die Frage des Kriegsverbrechertribunals erledigt wäre. Die EU hatte immer eine "vollständige Kooperation" Serbiens mit dem Gericht verlangt. Das geht über den Fall Mladic hinaus. Mit dessen Festnahme hat Tadic vielleicht ein Desaster für seine Politik abgewendet. Aber wenn Brammertz alles in allem bei seinen Vorwürfen gegen die serbischen Sicherheitsorgane bleibt, dann bleiben die europäischen Ambitionen Serbiens erst einmal Wunschträume.

© SZ vom 27.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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