Raser:Die Beinahe-Mörder

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Zu Recht hat der BGH die Bewährungsstrafen aufgehoben, mit der das Landgericht Köln zwei junge Männer davonkommen ließ. Sie nahmen den Tod einer jungen Frau in Kauf. Aber ob sie ihn wirklich wollten?

Von Wolfgang Janisch

Wer vor vier Wochen im Bundesgerichtshof (BGH) in der Verhandlung gegen die beiden Raser von Köln saß, der konnte das Gesicht des Vaters beobachten, dessen 19-jährige Tochter wegen des irrwitzigen Rennens zu den Rheinterrassen ihr Leben verloren hatte. Es war das Gesicht eines Mannes, der das Schlimmste erlebt hat, was einem Vater widerfahren kann; er musste auch zwei Jahre nach dem furchtbaren Verlust noch um Fassung ringen. Es war aber auch ein Gesicht, in dem sich jedermanns Unverständnis spiegelte, die allgemeine Wut auf zwei junge Männer, die den öffentlichen Raum zu ihrem Hochrisikospielplatz gemacht haben. In solchen Augenblicken kocht man innerlich über. Jeder hat ja seine persönlichen Erlebnisse mit lichthupenden Boliden im Rückspiegel gehabt und mit dem Protzgehabe junger Männer, die über weitaus mehr PS als Verstand verfügen.

Bewährungsstrafen sind im Fall dieser Täter wirklich grotesk

Wie aber soll man eine gerechte Strafe finden, wenn der Zorn überquillt? Man kann mit der nüchternen Feststellung beginnen, dass Rücksichtnahme nirgendwo lebenswichtiger ist als im Straßenverkehr - denn wer seine Impulse nicht im Griff hat, der wird dort schnell zur tödlichen Gefahr. Die Zunahme illegaler Straßenrennen ist ein Faktor, der eindeutig für härtere Strafen spricht, jenseits der Wut. Deshalb hat der BGH ein richtiges Signal gesetzt und die wirklich groteske Aussetzung der Strafe zur Bewährung beanstandet, für die sich das Landgericht Köln im April 2016 entschieden hatte. Die beiden Raser müssen nun damit rechnen, ins Gefängnis zu kommen.

Jedes andere Ergebnis wäre absurd gewesen. Es hätte das Strafrecht zum stumpfen Instrument gemacht. Wer die Rücksichtslosigkeit zur Grundbedingung seiner selbstbezogenen Suche nach dem ultimativen Kick macht, der darf nicht mit einer lauen Bewährungsstrafe davonkommen, wenn er Menschen zu Tode fährt. Was wäre das für eine Botschaft an die Raser-Szene? Dass der Staat nicht mehr im Repertoire hat als einen erhobenen Zeigefinger? Wer sich hart an der Grenze zur vorsätzlichen Tötung bewegt, hat so viel Nachsicht nicht verdient. Der BGH hätte daher gut daran getan, nicht nur die Bewährung zu kippen, sondern für die Neuauflage des Prozesses am Landgericht zusätzlich auf eine höhere Freiheitsstrafe zu dringen.

Über eine weitaus kompliziertere Frage musste des Gericht dieses Mal nicht entscheiden, weil die Revision lediglich das Strafmaß betraf. Das Landgericht Berlin hatte im Frühjahr zwei Raser wegen Mordes verurteilt. Das ist die höchste Hausnummer, die das Strafgesetzbuch zu bieten hat - auf Mord steht zwingend lebenslang. Seither diskutiert die Republik, die das Rasen auf Autobahnen immer noch nicht verboten hat, über die Frage: Können Raser Mörder sein?

Das harte Berliner Urteil ist oft als richtiges Signal im Umgang mit den illegalen Autorennen gewertet worden. Das aber war es gerade nicht. Selbst wenn die Berliner Richter im konkreten Fall zu Recht auf Mord erkannt haben sollten - worüber ebenfalls noch der BGH entscheiden wird -, taugt der außergewöhnliche Fall nicht als Blaupause für weitere Raserfälle. Wer rast, schafft zwar gerade in Innenstädten Risiken, die er kaum noch kontrollieren kann. Genau so jedoch ist die - besonders grobe - Fahrlässigkeit definiert. Eine vorsätzliche Tötung lässt sich nur in Extremfällen konstruieren. Das Rechtsempfinden, das nach der Höchststrafe ruft, ist hier kein guter Ratgeber.

Trotzdem lässt sich aus dem Berliner Fall etwas lernen. Die Juristen haben zwei Schubladen eingerichtet, um die Schuld bei Tötungsfällen zu bestimmen. Auf der einen steht Fahrlässigkeit, auf der anderen Vorsatz; in Gefängnisjahren bemessen, kann der Unterschied zwischen null und lebenslang liegen. Der Gemütszustand junger Raser, der vielleicht nicht den Tod von Menschen, wohl aber das tödliche Risiko in Kauf nimmt, zeigt aber: Der Übergang ist viel fließender, als es die Schubladen der Juristen vermuten lassen. Die Konsequenz sollte freilich nicht sein, Raser zu Mördern zu erklären, sondern ihren Beinahe-Vorsatz mit empfindlicheren Strafen zu ahnden. Nach der jüngst beschlossene Verschärfung muss künftig mit bis zu zehn statt bisher fünf Jahren Haft rechnen, wer Menschen schwer verletzt oder zu Tode fährt. Hinzu kommen Instrumente, Rasern früh die Grenzen aufzuzeigen - von der Verkehrstherapie über den "Idiotentest" bis zum Führerscheinentzug. Das reicht.

Vor einiger Zeit wurde ein Psychologe gefragt, was das eigentlich für Menschen seien. Sie seien ungefestigt, auf der Suche nach dem Thrill, zudem ohne Schuldbewusstsein und Empathie, antwortete er. "Aber das sind ja keine Monster."

© SZ vom 07.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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