Prozess um misshandelte Soldaten:"Fesseln ist bei der Bundeswehr übliche Praxis"

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Es ist ein Geständnis, das sprachlos macht: Im Verfahren gegen 18 Soldaten wegen der Misshandlung von Untergebenen gibt ein ehemaliger Kompaniechef erschreckende Einblicke in den Alltag der Bundeswehr. So sei Fesseln eine "übliche Praxis" - und die "Durchnässung von Rekruten sieht er als "willkommene Abkühlung".

Hans Holzhaider, Münster

Auf dem Richtertisch steht ein kleiner Holzkasten mit einem schwarzen Plastikgriff, einer Kurbel und einem Spiralkabel, das in zwei Krokodilklemmen endet: Das ist ein Feldtelefon der Bundeswehr, Typ FOZE 2000.

Daneben steht ein roter, zylindrischer Behälter mit einem hölzernen Pumpgriff und einem Schlauch: eine so genannte Kübelspritze, seit undenklichen Zeiten Standardausrüstung jeder Dorffeuerwehr.

Zwei Utensilien, die eine zentrale Rolle spielen im Prozess gegen einen Hauptmann und 17 Unteroffiziere des im westfälischen Coesfeld stationierten Instandsetzungsbataillons 7 der Bundeswehr, der am Montag vor dem Landgericht Münster begonnen hat.

Die Vorgänge, um die es hier geht, haben im Sommer 2004 großes öffentliches Aufsehen erregt. Rekruten waren während ihrer Grundausbildung einer in den Dienstvorschriften nicht vorgesehenen Ausbildung unterzogen worden.

Während eines Nachtorientierungsmarsches wurden sie von Ausbildern in einen Hinterhalt gelockt, überfallen, gefesselt und mit verbundenen Augen in ein "Gefangenenlager" gebracht. Dort mussten sie kniend ausharren, während die Ausbilder sie einem simulierten Verhör unterzogen.

Um die Sache realitätsnah zu gestalten, wurden die Rekruten mit Wasser aus der Kübelspritze traktiert, einigen pumpten die Ausbilder Wasser in den gewaltsam geöffneten Mund. Mehrern Soldaten wurden mittels des Feldtelefons leichte Stromschläge versetzt, in der Anklage ist auch die Rede von Tritten und Schlägen, wenn die "Gefangenen" sich nicht schnell genug bewegten.

"Hervorragende Soldaten mit Auslandserfahrung"

Im Gerichtssaal des Münsteraner Landgerichts herrscht drangvolle Enge, jeder der 18 Angeklagten ist mit zwei Verteidigern erschienen, das Interesse der Medien ist groß, das ZDF musste sich die Genehmigung zu Aufnahmen im Gerichtssaal vor dem Bundesverfassungsgericht erstreiten. 13 der 18 Angeklagten sind nach wie vor Soldaten, aber nur ein einziger ist in Uniform erschienen.

Als erster äußert sich der ehemalige Kompaniechef Ingo S. Er hatte damals die Übung genehmigt, obwohl er, wie er einräumt, wusste, dass so etwas in den Ausbildungsrichtlinien nicht vorgesehen ist. Er habe sich voll und ganz auf seine beiden Zugführer verlassen, sagt er, hervorragende Soldaten mit Auslandserfahrung und "Spitzenbeurteilungen", mit denen er seit zwei Jahren vertrauensvoll zusammengearbeitet habe.

Über die Details habe er sich keine Gedanken gemacht. Als er am Vormittag selbst zur "Dienstaufsicht" in dem improvisierten "Gefangenenlager" erschien, habe er Rekruten gesehen, die gefesselt und mit verbundenen Augen im Sand knieten, er habe auch gesehen, wie einzelne Rekruten mit Wasser bespritzt wurden. Nichts davon habe er für anstößig gehalten.

"Fesseln", sagte der Hauptmann, sei eine "übliche Praxis" bei der Bundeswehr, und das Wasser sei ihm angesichts des heißen Tages als "willkommene Abkühlung" erschienen.

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