Prozess gegen Saddam Hussein:Aufzeichnungen aus dem Totenhaus

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Der Diktator ließ Zehntausende hinrichten - doch er selbst bezeichnet sich als "hart, aber fair".

Tomas Avenarius

Viele Beobachter stellen sich die Frage, ob der irakische Ex-Präsident überhaupt ein faires Verfahren bekommen kann. Iraks neue Regierung wollte den Prozess aber so früh wie möglich über die Bühne bringen. Denn mit dem zu erwartenden Schuldspruch will man das Ende des Saddam-Regimes quasi offiziell besiegeln.

Obwohl die irakische Anklagebehörde angeblich in mehreren hundert Fällen gegen den 68 Jahre alten Ex-Diktator ermittelt, soll die Prozess-Serie sich auf insgesamt lediglich zwölf Verfahren gegen Saddam sowie sieben Angehörige seines Machtapparates beschränken.

Die Anklagen erstrecken sich auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie Verstöße gegen irakisches Recht - also auf all das, was Saddam Husseins Herrschaft ausgemacht hat: Krieg, Massenmord, Folter, Vertreibung und Unterdrückung jeglicher Opposition.

Die Beweislage ist relativ eindeutig

Um den wegen der Fülle der Vorwürfe unübersichtlichen Prozess ein wenig zu beschleunigen, steht als erstes Verbrechen Saddams Strafgericht in der Schiitenstadt Dudschail zur Verhandlung an. Da es Zeugenaussagen, Regierungsakten und einen von Saddams eigenem Kameramann gedrehten Film über die Ereignisse gibt, scheint die Beweislage hier relativ eindeutig zu sein.

Im Juli 1982, nach einem Attentatsversuch schiitischer Rebellen, hatten Saddams Truppen ein Blutbad angerichtet. Unmittelbar nach Schüssen auf den Konvoi des Diktators in der Stadt nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad wurden die ersten Männer exekutiert. Soweit bekannt ist, starben dabei 143 Menschen. Hunderte wurden festgenommen und von Saddam-Getreuen gefoltert. Wie viele insgesamt bei dieser Bestrafungsaktion das Leben verloren, ist unklar.

Viele Menschen wurden in Wüstenlagern interniert oder umgesiedelt, anschließend ihre Obstplantagen und Felder zerstört. Saddam persönlich ist in dem Film zu sehen, wie er in Uniform sein Strafgericht leitet. Er befiehlt, einzelne Männer "zur Seite zu nehmen und zu verhören". Dies bedeutete Folter und zumeist den sicheren Tod.

Im Vergleich zu den sonstigen Verbrechen des Diktators, der sich selbst bei einer Befragung durch das Gericht als "harten, aber fairen Herrscher" bezeichnet hat, nimmt sich das Massaker von Dudschail als einigermaßen unbedeutend aus: In den anderen Verfahren geht es um Verbrechen mit vielen tausend Toten.

Iraks Kurden hatten sich während des irakisch-iranischen Kriegs immer wieder mit den Iranern verbündet - in der Hoffnung, Unterstützung für eine Abspaltung vom Irak zu erhalten. Saddam schlug ihre Aufstände nieder, etwa mit der so genannten Anfal-Offensive, bei der Hunderttausende vertrieben, Zehntausende getötet, 4000 Dörfer zerstört wurden.

"Chemie-Ali" und der Diktator

Im Zentrum der Verbrechen an den Kurden steht der Giftgasangriff im Jahr 1988 auf die Kurdenstadt Hallabdscha. Helikopter und Flugzeuge warfen Giftgaskanister ab; mindestens 5000 Kurden starben. Saddams Cousin Ali Hassan al-Madschid, berüchtigt als "Chemie-Ali" und ebenfalls angeklagt, soll gesagt haben: "Ich werde sie alle mit Chemiewaffen töten. Wer soll etwas dagegen sagen? Die internationale Gemeinschaft etwa?"

Auch die Niederschlagung des Schiitenaufstandes nach dem verlorenen ersten Golfkrieg ist ein wichtiger Punkt der Anklage. Kaum hatten die Truppen der internationalen, von den USA geführten Streitmacht das Feuer eingestellt, metzelten Saddams Soldaten aus Helikoptern zehntausende Schiiten nieder. Anschließend legte der Diktator das Schwemmland trocken, das für die Landwirtschaft treibenden "Sumpfaraber" lebenswichtig war.

All dies und mehr soll vor dem irakischen Sondertribunal verhandelt werden. Ein Schuldspruch im Falle des Dudschail-Massakers dürfte Saddam Hussein indes sehr bald dorthin bringen, wo ihn viele Iraker sehen möchten: an den Galgen.

(SZ vom 19.10.2005)

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