Prozess gegen Pussy Riot:Gericht kassiert Transparenz-Offensive wieder ein

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Die totale Öffentlichkeit reicht nur für ein paar Stunden. Dann beschließt das Gericht in Moskau, den Prozess gegen die Anti-Putin-Punkband Pussy Riot doch nur teilweise live übertragen zu lassen. Die drei Musikerinnen nutzen das kleine Zeitfenster für vielsagende Aktionen.

Antonie Rietzschel

"Freispruch" - das antworten mehr als 8000 Menschen bei Facebook auf die Frage des russischen Nachrichtenportals Rapsi, welches Urteil Nadjeschda Tolokonnikowa, 22, Maria Aljochin, 24, und Jekaterina Samuzewitsch, 29, verdient haben. Das Interesse im Netz an dem Prozess gegen die Band Pussy Riot ist groß - auch, weil er live übertragen wird. Zumindest für einige Stunden.

Um neun Uhr deutscher Zeit geht die Übertragung auf der Internetseite des Moskauer Landgerichts online. Die Angeklagten stehen hinter einer Glaswand, ins Gespräch mit Mark Fejgin, einem ihrer Anwälte, vertieft. Mit 45 Minuten Verspätung trifft schließlich die Richterin ein. Der zweite Tag der Verhandlung, in der Nichtregierungsorganisationen und Oppositionelle im Land einen Schauprozess sehen, kann beginnen.

Am 21. Februar hatten Pussy Riot mit einer "Punk-Andacht" vor dem Altar der Christi-Erlöser-Kirche in Moskau die Gottesmutter angefleht, Russland von Präsident Wladimir Putin zu erlösen. Die Staatsanwaltschaft bewertet die Aktion als antireligiös motivierten Hass, der die geistliche Grundlage des russischen Staates untergrabe und "auf blasphemische Weise die jahrhundertealten Grundfesten der russisch-orthodoxen Kirche erniedrigt". Nadjeschda Tolokonnikowa, Maria Aljochin und Jekaterina Samuzewitsch sitzen seit März in Untersuchungshaft, ihnen drohen bis zu sieben Jahre Haft wegen "Organisiertem Rowdytum".

Nicht einhaltbares Versprechen

Amnesty International hat die Frauen als politische Gefangene anerkannt. Im Internet sammeln Unterstützer der Band Geld für die drei Angeklagten. Musiker wie Sting und die Red Hot Chilli Peppers fordern die Freilassung der drei Frauen.

Unter diesem Druck startete das Moskauer Gericht eine Transparenz-Offensive. Nach dem ersten Prozesstag am 20. Juli entschied es, die Verhandlungen per Videoschaltung live zu übertragen. Das öffentliche Interesse an dem Fall sei groß und man wolle Interessenten den Zugang zu allen Informationen ermöglichen, heißt es auf der Internetseite.

Doch dieses Versprechen kann das Gericht für den weiteren Prozessverlauf nicht halten: Noch bevor es zum Verlesen der Anklageschrift kommt, billigt die Richterin teilweise einen Antrag der Staatsanwaltschaft, wonach Ton-und Filmaufnahmen verboten sein sollen, wenn Zeugen gehört und Beweise gesichtet werden. Der Livestream solle währenddessen unterbrochen werden. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft den kompletten Ausschluss der Presse gefordert.

Womöglich fürchtete die Staatsanwaltschaft, Pussy Riot könnten den Prozess als Bühne zu ihren Gunsten nutzen. Tatsächlich verliest Anwältin Violetta Volkova eine Stellungnahme ihrer Mandantin Maria Aljochin zu den Motiven der Aktion von Pussy Riot: "Wir haben nur dem Gefühl vieler Russen Ausdruck verliehen."

"Die Kirche liebt ihre Kinder"

Die Motive von Pussy Riot seien nicht religiöser, sondern künstlerischer Art gewesen. Da sie weder an einem christlichen Feiertag noch während einer Messe in die Kirche gegangen seien, könne ihnen niemand vorwerfen, sie hätten respektlos gegenüber der Kirche gehandelt. Falls sich jedoch jemand verletzt fühle, wollten sie sich entschuldigen.

"Die Kirche liebt ihre Kinder. Liebt sie nur die Kinder, die an Putin glauben?", fragt Maria Aljochin in ihrem Brief. Während die Anwältin vorliest, schmunzeln die Angeklagten über einzelne Textstellen. Als der Staatsanwalt mit monotoner Stimme die Anklageschrift vorträgt, beginnen die drei Frauen in der Bibel zu lesen. Eine Vertreterin der Christi-Erlöser-Kirche in Moskau, die ein Gebetbuch in der Hand hält, schaut schockiert drein.

Weitere solcher Szenen werden nicht zu sehen sein, wenn der Livestream für die Zeugenvernehmung und Beweisaufnahme unterbrochen wird. Bei den Anwälten der Verteidigung war diese Art der Transparenz aber ohnehin umstritten. Einerseits befürchteten sie eine Vorverurteilung ihrer Mandantinnen, weil ein solches Verfahren bisher nur bei Prozessen gegen Terroristen zur Anwendung gekommen sei. Gleichzeitig erhoffen sie sich die Möglichkeit, alles korrekt darzustellen, wie Anwalt Mark Fejgin im SZ.de-Interview sagte.

Viel schlimmer als die Behinderung der Live-Übertragung wiegt für die Verteidiger jedoch, dass bisher keiner der von ihnen genannten Zeugen und Experten gehört wurde. Stattdessen wendet sich das Gericht zunächst der Opferseite zu. Die erste Frage an die Vertreterin der Christi-Erlöser-Kirche lautet: "Was ist für Sie Gott?" Die Antwort auf die Frage ist nicht mehr zu hören, da an dieser Stelle die Live-Übertragung abbricht. Wann die Verhandlungen fortgesetzt werden, ist noch nicht klar.

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