Proteste in Berlin:"Unerträglicher Angriff"

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Bundespräsident Steinmeier kritisiert die Eskalation am Reichstagsgebäude als feindlichen Akt gegen die Demokratie. Vertreter von Regierung und Opposition zeigen sich ebenfalls entsetzt.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Kurz nach dem Übergriff der Randalierer am Samstag traf Verstärkung ein. Zuvor hatten nur drei Polizisten das Reichstagsgebäude geschützt. (Foto: Lutz Jäkel/laif)

In seltener Einmütigkeit und mit unverhohlenem Zorn haben Vertreter aller ins Parlament gewählten Parteien auf den symbolischen Sturm von Demonstranten auf den Bundestag reagiert. Im Anschluss an eine Corona-Demonstration in Berlin hatten 300 bis 400 Protestierende am Samstagabend eine Absperrung durchbrochen und waren die Stufen zum Reichstagsgebäude hinaufgelaufen. Dabei wurden auch schwarz-weiß-rote Reichsfahnen geschwenkt, in rechtsextremen Kreisen und bei sogenannten Reichsbürgern ein Symbol der Ablehnung der Bundesrepublik. Einhellig verurteilten Politiker die Szene als Angriff auf die Demokratie und das wichtigste Symbol der demokratischen Republik.

"Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie", sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Sonntag. Jeder könne sich über Corona-Maßnahmen ärgern, auch in Demonstrationen. Steinmeier betonte aber: "Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen." Den Polizistinnen und Polizisten dankte er für ihr besonnenes Handeln.

Die problematische Rolle von Rechtsextremen bei Corona-Demonstrationen rückt zunehmend in den Mittelpunkt der Debatte. Politiker aller Parteien verlangten eine klare Abgrenzung zu jenen Demonstranten, die Proteste als Hebel für extremistische Politik und zur Delegitimation der Demokratie nutzen wollen.

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte der Süddeutschen Zeitung: "Niemand darf Freiheitsrechte missbrauchen, um unsere Demokratie zu attackieren. Dumpfer Hass, Gewalt und Nazisymbole haben mit friedlichem Protest nichts zu tun." Spätestens jetzt müsse jedem klar sein, dass Rechtsextreme bei den Corona-Protesten eine zentrale Rolle spielten. Zweifel und laute Kritik könne man frei äußern, "ohne gemeinsam mit Neonazis und Reichsbürgern aufzutreten", sagte sie. Auch Innenminister Horst Seehofer (CSU) zeigte sich entsetzt: "Das Reichstagsgebäude ist die Wirkungsstätte unseres Parlaments und damit das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie", sagte er der Bild am Sonntag. Die Versammlungsfreiheit habe da ihre Grenzen, wo staatliche Regeln mit Füßen getreten würden. Union und SPD wollen am Donnerstag in einer Ältestenratssitzung im Bundestag über Konsequenzen aus den Vorfällen beraten. Laut Polizei demonstrierten am Samstag in Berlin mehr als 40 000 Menschen gegen die Corona-Politik. 3000 Polizisten waren im Einsatz. Der Protest am Reichstagsgebäude wurde nach wenigen Minuten von einem größeren Polizeiaufgebot unterbunden. Auch am Sonntag wurden Kundgebungen von der Polizei beendet. Am Sonntagabend bestätigte das Bundesverfassungsgericht das polizeiliche Verbot eines geplanten Protestcamps auf der Straße des 17. Juni. Gegner der Corona-Politik wollten dort bis Mitte September eine Mahnwache halten. Das gefährde unmittelbar die öffentliche Sicherheit, hieß es aus Karlsruhe.

© SZ vom 31.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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