Presseschau:Wahrheit und Lüge in Venezuela

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(Foto: Bernd Schifferdecker)

In dem Krisenland ist es mit der Pressefreiheit nicht weit her. Trotzdem finden sich immer wieder Plattformen für unabhängige Meinungen.

Ausgewählt von Boris Herrmann

Auf der neuen Liste der "Feinde der Pressefreiheit", die von der Organisation "Reporter ohne Grenzen" erstellt wurde, steht auch Venezuelas Präsident Nicolás Maduro. Unter seiner Herrschaft seien wichtige oppositionelle Medien von regierungsnahen Unternehmen gekauft und kritische Zeitungen durch die Verknappung von Druckpapier zum Verstummen gebracht worden, heißt es zur Begründung. Dass Venezuela in Richtung einer Diktatur driftet, ist so offensichtlich wie die Schlangen vor den Supermärkten. Und es erfordert schon höchste Kunstfertigkeit, daran vorbei zu berichten.

Wenn man sucht, finden sich selbst unter dem Pressefreiheitsfeind Maduro einige erstaunlich kritischen Stimmen. Die Titelseite des auflagenstärksten Blattes Últimas Noticias muss man dafür allerdings überblättern. Da steht ein Bericht über die "Friedensaktivitäten" der regierenden Chavisten von Maduro sowie eine Notiz über die Bedrohung der Pressefreiheit - in Mexiko. Auch im Meinungsteil dominieren eindeutig die regimetreuen Töne. Der für Donnerstag angekündigte (und kurzfristig wieder abgesagte) Protestmarsch von Oppositionellen wird etwa so kommentiert: "Sie provozieren ein Blutbad, das ihre Diffamierung der Regierung von Nicolás Maduro rechtfertigt, den sie ohne glaubwürdigen Beweis einen Diktator nennen." Umso bemerkenswerter ist der Gastbeitrag des Politologen Claudio Fermín. Darin heißt es: "Maduro beharrt darauf, dem Land zu demonstrieren, dass er alle Macht in den Händen hält. Seine Leute ergötzen sich am Autoritarismus. Sie verschleiern, wie sie unser Geld ausgeben und sperren nach Lust und Laune Leute ein, die mit dieser Regierung nicht einverstanden sind."

Auf Vermittlung des Vatikans, vor allem aber auf Druck der Straße hin hat sich Maduro zu einem Dialog mit Teilen der zerstrittenen Opposition bereit erklärt. Zum Zeichen des guten Willens ließ er fünf eingesperrte Regierungsgegner frei (was nebenbei den Beweis lieferte, dass es sich um politische Gefangene gehandelt hatte). Claudio Fermín interpretiert das als taktisches Manöver des Präsidenten, um seine Absetzung zu verhindern. Er schreibt: "Wir Venezolaner wollen nicht, dass diese Verhandlungen nur dazu dienen, vom Ruf des Volkes abzulenken."

Die regierungskritische und zuletzt im Umfang stetig geschrumpfte Zeitung El Nacional wirft wiederum der Opposition vor, sich überhaupt auf diesen Dialog eingelassen zu haben. Statt mit der geplanten Großdemonstration den Druck auf Maduro weiter zu erhöhen, habe sie sich damit erneut den Spielregeln des Despoten unterworfen. El Nacional schreibt: "Dieser 'Dialog' wird kein anderes Ergebnis haben, als die Regierenden an ihren Sitzen festzuschrauben."

Die traditionsreiche Regionalzeitung El Carabobeño aus Valencia gehört zu jenen Blättern, die Anfang des Jahres ihre gedruckte Ausgabe wegen Papiermangels einstellen mussten. In der Online-Version wird der Dialog so eingeordnet: "Diese ersten Novembertage werden den Lösungsweg zur Zukunft Venezuelas vorgeben. Entweder wir einigen uns in welcher Form auch immer oder wir streiten uns bis in alle Ewigkeit. Die Venezolaner haben es satt, von der Regierung und ihren angeschlossen Institutionen wie dem Höchsten Gericht angelogen zu werden, sie sind es leid, in Angst und Bedrohung zu leben und zu hungern." Mit anderen Worten: Entweder Maduro hebt die jüngste Blockade des Abwahlreferendums wieder auf, respektiert die Oppositionsmehrheit im Parlament und lässt alle politischen Gefangenen frei - oder es gibt richtig Ärger.

© SZ vom 05.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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