Presseschau:Voller Misstrauen

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(Foto: N/A)

In der Ukraine ist die Kluft zwischen der Bevölkerung und der politischen Elite kaum zu überbrücken. Die Presse geißelt deren Selbstbereicherung.

Von Cathrin Kahlweit

Die Kluft, welche die ukrainische Bevölkerung von ihrer politischen Klasse trennt, wird tiefer. Dabei gerät vor allem Präsident Petro Poroschenko in den Fokus: Er schütze die Falschen, paktiere mit Falschen, und profitiere ökonomisch am meisten von der Krise, in der sich die Ukraine befindet, sagen seine Kritiker. Während die meisten Oligarchen Vermögen einbüßten, schaffte es der Präsident von Platz neun der reichsten Männer des Landes auf Platz sechs; das berichteten alle Zeitungen des Landes mit unverhohlener Skepsis. So ein Erfolg schürt Misstrauen; die Umfragewerte des Präsidenten liegen bei nur noch 15 Prozent.

Poroschenko hat vor allem mit zwei Problemen zu kämpfen: mit der Umsetzung des Friedensabkommens von Minsk, das einen Machtkampf in Kiew selbst ausgelöst hat, und schließlich mit der Korruption. Auf den Straßen, in kritischen Medien und Blogs kennen die Bürger nur eines: die Frage, wie es sein kann, dass das Geld immer noch in den Händen einiger weniger ist und höchstens intern umverteilt wird. Die Ukrainskaja Prawda berichtet unter der Überschrift "Elektrischer Stuhl" davon, wie Energieversorgungsunternehmen an Günstlinge im Umfeld des Präsidenten verscherbelt wurden. Novoje Vremja fragt, warum gegen den schwerreichen Ex-Energieminister, der 400 Millionen Dollar veruntreut haben soll, nicht ermittelt werde, und vermutet dahinter den Schutz des Präsidenten. Der Kyiv Post ist es sogar eine Meldung wert, dass die Frau des Premiers einen Strafzettel bekam - und ihn bezahlt hat. So ungewöhnlich scheint das zu sein.

Der Kampf gegen die Korruption ist eine Jahrhundertaufgabe. Kurzfristiger, aber fast genauso unlösbar scheint das Projekt Donbass zu sein: eine wie auch immer geartete Einigung mit den Separatisten. Die ukrainische Regierung und die sogenannten Autonomen Volksrepubliken in Donezk und Luhansk haben sich so sehr in die Auslegung der Minsker Vereinbarungen verbissen, dass auch Deutschland, das gerade den Vorsitz der OSZE übernahm und schnell Fortschritte sehen will, scheitern könnte.

Die Sache ist hochkomplex und sieht im Wesentlichen vor, dass Kiew per Verfassungsänderung eine Dezentralisierung beschließt, die mehr Autonomie für die Separatistengebiete vorsieht. Dort soll dann demokratisch gewählt werden. Für die Verfassungsänderung gebe es aber keine Mehrheit, meldet Zerkalo Nedeli und spricht von einem "Kurswechsel": Nun werde versucht, Zeit zu schinden und den Präsidenten zu erpressen. Der habe der internationalen Kontaktgruppe zugesagt, Kiew werde seinen Teil der Minsker Auflagen erfüllen. Der Außenminister wird in De n zitiert, dass die Reform so, wie die Separatisten sie wollten, "inakzeptabel" sei. Diese wollen die Teilnahme ukrainischer Parteien untersagen, eine Parlamentarier-Quote im Kiewer Parlament und Sonderrechte in der Verfassung festschreiben.

Zerkalo Nedel i hat aber auch eine positive Variante in petto. Die zeigt, dass das, was in ukrainischen Medien zu sehen und zu lesen ist, der Wahrheit nahekommen - oder aber eine Schimäre sein kann. Denn auch die sogenannten gut unterrichteten Kreise wissen nicht, was hinter den Kulissen zwischen Moskau, Kiew und der EU verhandelt wird. Nach dieser Positiv-Variante soll Russland eingewilligt haben, die Lokalwahlen im Donbass bis Mai abzuhalten und ukrainische Parteien zuzulassen, Kiew die Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze zurückzugeben und die jetzigen "Premierminister" der Marionettenrepubliken abzurufen. Falls, auch das eine Bedingung, Schluss sei mit den Sanktionen. Alles ist also möglich.

© SZ vom 30.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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