Presseschau:Freiheit in Gefahr

Lesezeit: 2 min

(Foto: SZ-Zeichnung: Bernd Schifferdecker)

Europas Presse beschäftigt sich zum Beginn der Sommerpause mit dem inneren Zustand der Europäischen Union. Der Grundton der Kommentare ist düster.

Von Alexander Mühlauer

Manchmal ist es der Sommer, der einen auf neue Gedanken bringt. Wer Glück hat, erreicht in den Ferien diesen Zustand des Loslassens, der das Unerfüllte bewusst macht. Wie gut also, dass in Brüssel seit einer Weile die politische Sommerpause begonnen hat. Wer kann, verlässt die Stadt und kommt erst im September wieder. Spätestens dann wird man sie dringend brauchen, all jene Gedanken zur großen Frage, wie es nun um Europa steht - und wie es weitergehen soll mit dieser EU.

Die Antworten darauf fielen schon mal leichter, meint die Financial Times. Das Blatt aus London diagnostiziert im August 2016 eine "globale demokratische Rezession", die auch Teile der EU erfasst habe: "Sogar in Europa sind einige der 1989 gewonnenen Freiheiten in Gefahr." In Polen und Ungarn habe es eine Erosion der Pressefreiheit und der Unabhängigkeit der Justiz gegeben. Traurigerweise sei die internationale Stimmung weit weniger optimistisch als in den frühen 1990er-Jahren. Die Zeitung erinnert fast ein wenig wehmütig an Politiker, die für den Geist der damaligen Zeit standen, etwa "solch inspirierende Demokraten wie Václav Havel und liberale Reformer wie Michail Gorbatschow".

Heute verkörperten vor allem Autokraten und demagogische Trash-Talker den Zeitgeist. Umso bedeutender sei eine ausgewogene Brexit-Lösung zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union. Die Regierung in London müsse erkennen, dass die 27 EU-Staaten kein Interesse daran hätten, es den Briten leicht zu machen. Die Kontinentaleuropäer sollten wiederum wissen, dass sie London mit einer schroffen Verhandlungstaktik dazu bringen könnten, das "ultimative Aufbrechen der EU als britisches Interesse zu sehen", warnt die Financial Times. "Dies könnte die Briten zu einer unappetitlichen Suche nach Verbündeten verleiten - wie etwa die freiheitlichen Parteien in den Niederlanden und in Österreich, die Alternative für Deutschland und sogar Frankreichs Front National."

Von Brüssel aus will allen voran EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Brexit-Verhandlungen prägen. Doch kann er das überhaupt? Dieser Frage ist die belgische Zeitung Le Soir in einer Titelgeschichte nachgegangen. Unter der Überschrift "Kann er noch Europa retten?" analysiert das Blatt die Arbeit eines Mannes, der sichtlich angeschlagen ist. "Junckers größte Schlacht kommt erst noch", schreibt das Blatt. Und meint damit jene Debatte über den Umbau der EU für die Post-Brexit-Zeit. Dieser Kampf beginne Mitte September auf dem informellen Gipfeltreffen der 27 EU-Staaten in Bratislava. Dann werde auch deutlicher, welche Rolle die mächtigste Behörde Europas spielen wird. Junckers Ziel einer "politischen Kommission" sei jedenfalls gescheitert. Die Staats- und Regierungschefs der EU seien nicht bereit, mehr Kompetenzen nach Brüssel abzugeben.

Die mächtigste unter ihnen ist nach wie vor Angela Merkel. Doch die Rolle der Bundeskanzlerin habe sich seit einem Jahr zum Negativen entwickelt, meint die in Brüssel erscheinende Ausgabe von Politico. "Sie war gut in nächtlichen Notfallsitzungen, sie konnte komplizierte Kompromisse aushandeln, die die Deutschen goutierten, auch wenn sie nicht alle Details verstanden." Seit der Flüchtlingskrise und den Terroranschlägen würden die Bürger ihre Kanzlerin aber nicht mehr verstehen. "Sie muss den Deutschen sagen, was sie fühlt", fordert das Blatt. Merkel solle erklären, dass sie falsch lag, aber dass eine Welt mit Mauern keine Antwort auf Terrorismus sein könne. Mit diesen Worten verabschiedete sich die Wochenzeitung in die Sommerpause.

© SZ vom 13.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: