Präsidentin der EU-Kommission:Knappe Mehrheit für von der Leyen

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Als erste Frau wird die Christdemokratin an die Spitze der EU-Kommission gewählt - mit nur neun Stimmen mehr als nötig. Kanzlerin Merkel sagt, sie gewinne "eine neue Partnerin in Brüssel".

Von Nico Fried und Alexander Mühlauer, Brüssel

Ursula von der Leyen ist als erste Frau zur Präsidentin der EU-Kommission gewählt worden. Bei einer geheimen Abstimmung am Dienstagabend im Europäischen Parlament in Straßburg votierten 383 Abgeordnete für die CDU-Politikerin - das waren gerade einmal neun Stimmen mehr als notwendig. Die scheidende Bundesverteidigungsministerin sieht das knappe Ergebnis allerdings nicht als Bürde. "In der Demokratie ist die Mehrheit die Mehrheit", sagte sie nach der Wahl. Es sei gelungen, eine pro-europäische Mehrheit zu formieren. Vor zwei Wochen, direkt nach ihrer Nominierung durch die Staats- und Regierungschefs, hätte sie vermutlich noch keine Mehrheit gehabt, erklärte von der Leyen. Von den Europaabgeordneten sprachen sich 327 sich gegen sie aus, 22 enthielten sich und eine Stimme war ungültig.

Dem Vernehmen nach erreichte von der Leyen die knappe Mehrheit mit den Stimmen von Christdemokraten, Liberalen, Sozialdemokraten und fraktionslosen Parteien wie etwa den italienischen Cinque Stelle. Die rechtsnationale Pis aus Polen, die mit 26 Abgeordneten im Europaparlament vertreten ist, nahm für sich in Anspruch, dass von der Leyen ohne sie nicht gewählt worden wäre. Die Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Linken und der rechtspopulistischen ID hatten der Kandidatin eine Absage erteilt. Auch die 16 SPD-Abgeordneten blieben bei ihrer Ablehnung, weil von der Leyen nicht als Spitzenkandidatin bei der Europawahl angetreten war.

Mit der Christdemokratin besetzt Deutschland seit mehr als 50 Jahren wieder den Spitzenposten der Brüsseler Behörde. Die 60-Jährige wird die Nachfolge von Jean-Claude Juncker antreten, dessen Amtszeit am 31. Oktober endet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gratulierte von der Leyen zur Wahl. Mit ihr sei "eine überzeugte und überzeugende Europäerin" Chefin der EU-Kommission geworden. Auch wenn sie eine langjährige Ministerin verliere, "gewinne ich eine neue Partnerin in Brüssel", so Merkel. Neue Verteidigungsministerin wird CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Ursula von der Leyen wird mit 383 Stimmen zur neuen Präsidentin der EU-Kommission gewählt. (Foto: Vincent Kessler/Reuters)

Auch die SPD-Spitze gratulierte von der Leyen, stellte aber zugleich Forderungen. "Europa braucht mehr sozialen Ausgleich als Fundament unserer Gesellschaften, eine entschiedene Politik für Klima- und Umweltschutz und eine zukunftsfähige Wirtschaft mit starken Arbeitnehmerrechten", hieß es in einer Erklärung der kommissarischen Parteivorsitzenden Malu Dreyer, Thorsten Schäfer-Gümbel und Manuela Schwesig. CSU-Chef Markus Söder sprach von einem "tollen Erfolg", kritisierte aber die deutschen Sozialdemokraten: Ihr blamables Verhalten habe die Regierungsfähigkeit der SPD nicht erhöht.

Von der Leyen hatte bis zuletzt um Stimmen gekämpft und vor der Wahl mit einer couragierten Rede um Zustimmung geworben. "Wer dieses Europa schwächen, spalten oder ihm seine Werte nehmen will, der findet in mir eine erbitterte Gegnerin", sagte sie. Wer Europa aber stärken wolle, der finde in ihr eine "leidenschaftliche Kämpferin". Als dringlichstes Problem benannte von der Leyen die Klimakrise. Sie bekräftigte ihr Versprechen eines klimaneutralen Europas bis zum Jahr 2050. Bereits 2030 sollen die Kohlendioxid-Emissionen im Vergleich zu 1990 "um 50, wenn nicht 55 Prozent" sinken. Bislang haben sich die EU-Staaten auf ein Reduktionsziel von 40 Prozent geeinigt. Von der Leyen versprach ein Klimagesetz, in dem das 50-Prozent-Ziel festgeschrieben werden soll.

In Wirtschaftsfragen betonte die CDU-Politikerin die soziale Komponente: "Nicht die Menschen dienen der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft dient den Menschen." So will sie sich dafür einsetzen, dass jeder Arbeitnehmer mit einer Vollzeitstelle auch Anspruch auf einen Mindestlohn hat. Im Fall von ökonomischen Schocks soll eine Arbeitslosenrückversicherung soziale Härten abfedern. Nach von der Leyens Willen sollen große Digitalkonzerne in Europa stärker besteuert werden.

In der festgefahrenen Debatte über eine europäische Asylreform plädierte von der Leyen für einen neuen Anlauf. Sie will sich dafür einsetzen, die Grenzschutzagentur Frontex bereits bis 2024 mit 10 000 Beamten auszustatten; und nicht erst drei Jahre später, wie es die EU-Staaten bislang vereinbart haben. Von der Leyen bekannte sich ausdrücklich zur Seenotrettung im Mittelmeer.

Geht es nach ihr, sollen Entscheidungen in der Außenpolitik künftig mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Die EU soll so handlungsfähiger auftreten. "Die Welt braucht mehr Europa", sagte von der Leyen. Die Europäische Union werde weiter transatlantisch sein, aber "europäischer" werden. Von der Leyen zeigte sich offen für eine weitere Verschiebung des Brexits. Sollte es "gute Gründe" dafür geben, wäre sie bereit zu einer Verlängerung des Austrittsprozesses über den 31. Oktober hinaus.

Um die Demokratie in Europa zu stärken, kündigte von der Leyen eine "Konferenz über die Zukunft Europas" an. Sie will vor allem darüber diskutieren, wie das Spitzenkandidaten-Verfahren reformiert werden kann. Von der Leyen möchte sich zudem für transnationale Listen sowie für ein Initiativrecht des Europaparlaments einsetzen.

© SZ vom 17.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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