Portugiesen wählen Sócrates ab:"Diese Niederlage ist meine"

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Machtwechsel im hochverschuldeten Portugal: Regierungschef Sócrates übernimmt die Verantwortung für die historische Schlappe der Sozialisten bei der Parlamentswahl. Tausende jubeln auf den Straßen, doch schon in der Nacht seines Triumphes verlangt der konservative Wahlsieger Coelho "viel Mut und große Opfer" von seinen Landsleuten - und verspricht zu sparen.

Die Portugiesen haben den sozialistischen Regierungschef José Sócrates abgewählt und der konservativen Opposition eine komfortable Mehrheit gegeben. Das Innenministerium veröffentlichte in der Nacht zum Montag eine Art Fast-Endergebnis, bei dem nur noch die im Ausland abgegebenen Stimmen fehlten.

Historische Niederlage: Portugals Reigerungschef José Sócrates räumt die Niederlage ein - und legt umgehend den Parteivorsitz nieder. (Foto: AP)

Demnach erhielt die liberale Partei der Sozialdemokratie (PSD) von Spitzenkandidat Pedro Passos Coelho bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im ärmsten Land Westeuropas am Sonntag 38,6 Prozent. Die seit 2005 regierende Sozialistische Partei (PS) kam auf nur 28,1 Prozent - und fuhr damit das schlechteste Resultat seit mehr als 20 Jahren ein.

Zusammen mit dem rechtskonservativen Demokratischen und Sozialen Zentrum (CDS), das auf ein Ergebnis von rund 11,7 Prozent kam, kann die PSD des gelernten Volkswirts Passos Coelho eine starke Regierung mit absoluter Mehrheit der Parlamentssitze bilden. Eine Koalitionsabsprache zwischen beiden Parteien galt zwar unter Beobachtern als möglich, lag jedoch bis Sonntagabend noch nicht vor. Bei den Wahlen von 2009 hatte die PSD nur 29 Prozent geschafft.

Regierungschef Sócrates räumte die Niederlage ein und legte umgehend den Parteivorsitz nieder. "Diese Niederlage ist meine und ich übernehme die volle Verantwortung dafür", sagte er in Lissabon. Sócrates fügte an, er wolle in Zukunft zunächst kein politisches Amt bekleiden. Seine PS verlor im Lissabonner Parlament mindestens 20 Abgeordnete.

"Wir werden viel Mut und auch etwas Geduld brauchen, um die riesigen Probleme zu meistern, die auf uns warten", sagte Passos Coelho in seiner Siegesrede in einem Lissabonner Hotel. Coelho kündigte eine rasche Regierungsbildung an. In seiner Siegesrede sagte er zudem zu, sich an die strengen Auflagen für den milliardenschweren Notkredit von EU und Internationalem Währungsfonds (IWF) zu halten.

"Die wichtigsten Wahlen seit dem Ende der Diktatur"

Die neue Regierung werde "alles in ihrer Macht Stehende" tun, um die Spar-Zusagen einzuhalten und "keine Last" für die Kreditgeber des Landes zu sein, betonte der 46-Jährige. Portugal werde seiner Verantwortung gerecht werden - auch wenn "das nicht leicht wird" und von den Portugiesen viel Mut und große Opfer verlange.

Vor dem Hintergrund der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Nelkenrevolution und der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1974 waren am Sonntag etwa 9,6 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen, die bis zu 230 Mandate der Lissabonner Versammlung der Republik neu zu vergeben.

Der Präsident der Europäischen Kommission, der frühere portugiesische Ministerpräsident José Manuel Barroso sagte am Sonntag nach seiner Stimmabgabe in Lissabon, es handele sich um "die wichtigsten Wahlen seit dem Ende der Diktatur". Trotz der Bedeutung der Wahl blieben gut 41 Prozent der Wahlberechtigten den Urnen fern. Damit war die Zahl der Nichtwähler so hoch wie nie zuvor in der Geschichte des Landes.

Ins Lissabonner Parlament wurden nach den vorliegenden Ergebnissen auch wieder das Bündnis von Kommunisten und Grünen (CDU) mit 7,9 Prozent sowie der Linksblock (BE) mit 5,2 Prozent gewählt.

In Lissabon gingen in der Nacht Tausende auf die Straßen, um den Sieg der PSD, aber auch die Schlappe von Sócrates zu feiern. Die Menschen sangen und tanzten, schwenkten auch Portugal- und orangefarbenen Fahnen der PSD. Autofahrer veranstalteten Hupkonzerte.

Widerstand gegen die Sparpläne

Portugal kämpft mit einer historischen Finanzkrise. Die vorgezogenen Neuwahlen waren nötig geworden, nachdem das Parlament im März die Zustimmung zum vierten Sparprogramm von Socrates' Minderheitsregierung binnen eines Jahres verweigert hatte. Zwei Wochen später musste die Regierung den IWF und die EU um Hilfe bitten, da die Zinsen am Anleihemarkt schwindelerregende Höhen erreichten.

Im Mai bewilligten EU und IWF ein Hilfsprogramm in Höhe von 78 Milliarden Euro, im Gegenzug verpflichtete sich Portugal, ein hartes Spar- und Reformprogramm aufzulegen sowie Staatsbesitz zu verkaufen. Die PSD und Coelho hatten im Wahlkampf angekündigt, noch über die angemahnten Spar- und Reformmaßnahmen hinausgehen zu wollen.

Außerdem versprachen sie unter anderem umfangreichere Privatisierungen, Coelho will zudem Empfänger von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu gemeinnütziger Arbeit zwingen, um ihnen so den Wiedereintritt ins Arbeitsleben zu vereinfachen. Das amtliche Endergebnis soll am 15. Juni vorliegen, bis dahin sollen auch die Stimmen aus dem Ausland ausgezählt sein.

Die Gewerkschaften, linksgerichtete Parteien und zahlreiche Bürgerbewegungen kündigten für die nächsten Monaten weitere Proteste gegen die Sparpläne an. In einem Land, in dem das Mindestgehalt bei 475 Euro liegt und die Arbeitslosenrate bereits das Rekordniveau von 12,5 Prozent erreicht hat, könne man den Familien keine Opfer mehr abverlangen, warnte Eugenio Fonseca, Präsident der Caritas Portugal.

© (AFP/dapd/dpa/gal) - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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