Populismus:Tickt die Welt doch anders?

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Was es bei den Grünen auslöst, wenn sie nach Trumps Wahlsieg vor moralischer Überheblichkeit gewarnt werden.

Von Stefan Braun

Manchmal bekommt ein Parteitag überraschend einen Star, mit dem zuvor keiner gerechnet hatte. Und so war das bei den Grünen in Münster eben nicht die Parteispitze, nicht der Oberrealo Winfried Kretschmann, nicht sein alter Widersacher Jürgen Trittin und auch nicht das Duo von der Fraktionsführung. Es ist ein gewisser Bastian Hermisson. Selbst in der Partei ist der Mann bislang wenig bekannt. Hermisson leitet das Washingtoner Büro der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung. Er hat erlebt, was mit Donald Trumps Wahl in den USA passiert ist.

Während viele Grüne an den drei Tagen von Münster darauf setzen, sich selbst der eigenen Überzeugungen zu versichern und laut und kämpferisch erklären, dass sie immer für Gleichberechtigung, Weltoffenheit und Demokratie und gegen Sexismus kämpfen werden, macht Hermisson, was die meisten eher fürchten als hören wollen: Er erklärt, warum sich auch die Grünen hinterfragen müssen. "Wir glauben zu wissen, wie die Welt tickt", warnt der Grüne. "Was moralisch richtig ist, wissen wir sowieso und schauen mitleidig auf die in der Gesellschaft, die noch nicht so weit sind." Das sei gefährlich. "Wir müssen den Duktus der moralischen Überheblichkeit ablegen."

"Was moralisch richtig ist, wissen wir sowieso."

Ganz falsch wäre es, Trumps Sieg nur als Ergebnis wirtschaftlicher Frustration zu begreifen, sagt der Stiftungsmann. Die weißen Arbeiter, die Trump gewählt haben, gehörten ökonomisch überwiegend der Mittelschicht an. Aber sie seien von vielen im politischen Establishment als "kulturelle Unterschicht" verachtet worden. Irgendwann hätten diese Menschen die Geringschätzung der Eliten in Stolz umgemünzt, verbunden mit der Botschaft: "Wir lassen uns den Mund von euch nicht ver-bieten." Hermissons Warnung: "Wir Grüne dürfen nicht den gleichen Fehler machen." Dabei gehe es nicht darum, mit dem "harten ideologischen Kern" der Populisten das Gespräch zu suchen. Aber nicht jede politische Meinung sei gleich "unmoralisch", so Hermisson, und schlechter Ausgebildete seien "nicht gleich dumm". Auch die Grünen müssten "einen respektvollen und offenen Umgang mit Milieus pflegen, die uns fremd sind". Hermisson erntet keinen Jubel, aber Beifall gibt es schon.

Nicht viele bei den Grünen versuchen wenigstens in Ansätzen das gleiche wie er. Parteichef Cem Özdemir ruft die Partei dazu auf, sich "ohne Schaum vor dem Mund" mit der AfD und ihren Wählern auseinanderzusetzen. Deutlicher wird Winfried Kretschmann. Er warnt die Grünen, "es mit der political correctness nicht zu übertreiben". Ihn quäle die Sorge, dass viele Menschen sich überfordert fühlten von Veränderungen. "Deshalb müssen wir mit denen, die anders denken, anders reden." Und bei jeder Idee müssten sich die Grünen fragen: "Treibt sie die Gesellschaft auseinander, oder führt sie uns zusammen?"

Andere halten sich da eher an dem fest, was sie immer getan haben: gegen das Falsche und Böse wettern. Vor allem jüngere Delegierte beklagen wie die Europa-Abgeordnete Ska Keller einen "kulturellen backlash" - gegen Demokratie, gegen Frauenrechte, gegen Menschen, die anders aussehen. Da müsse man "jeden Tag, jeden Moment" gegenhalten; deshalb dürfe es an der Stelle "keine Kompromisse geben". Ihr klatschen alle Beifall. Hinter solchen Appellen können sich die Grünen im Zweifel immer versammeln.

© SZ vom 14.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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