Polizeieinsatz beim G-8-Gipfel:"Das war systematischer Rechtsbruch"

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G-8-Gegner werfen der Polizei vor, bei den Demos rund um Heiligendamm das Recht massiv und vor allem geplant gebrochen zu haben. Weibliche Demonstranten seien schikaniert worden, andere beklagen die menschenunwürdige Behandlung durch die Polizei. Das wollen sie jetzt auch vor Gericht klären lassen.

Thorsten Denkler, Berlin

Frauen berichten, sie hätten sich vor Polizisten nackt ausziehen müssen. Andere fühlten sich behandelt wie Hunde. Anwälte sagen, sie seien nicht zu ihren Mandanten vorgelassen worden. Was klingt wie die Beschreibung von Alltagsszenen aus osteuropäischen Diktaturen, war nach Ansicht von Augenzeugen Realität bei den Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm.

Heiligendamm 2007: Wasserwerfer im Einsatz bei Kühlungsborn (Foto: Foto: ddp)

Sven Giegold, Mitglied im Koordinierungsrat von Attac fasst gegenüber sueddeutsche.de zusammen: "Wir haben eine Serie von schweren Verstößen gegen die Bürgerrechte festgestellt." Dabei gehe es nicht um das Fehlverhalten einiger überforderter Polizisten. "Hier ging es um systematischen Rechtsbruch."

Über 17.000 Polizisten und 1100 Bundeswehrsoldaten waren Anfang Juni beim G-8-Gipfel in Heiligendamm im Einsatz. Nach den schweren Ausschreitungen während der Auftaktdemonstration am 2. Juni in Rostock wurden die weiteren Proteste von den meisten Beobachtern als weitgehend friedlich eingestuft.

So sieht es auch der Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele: Zwar habe die Polizei am 2. Juni aus seiner Sicht erheblich zur Eskalation beigetragen. An den Blockadetagen habe er aber überwiegend "eine gelöste Stimmung wahrgenommen", sagte er sueddeutsche.de.

Augenlicht verloren

Viele Gipfelgegner sehen das etwas anders. Zumindest in Bezug auf die Polizei. Vergangenen Dienstag haben sich in Berlin etwa 30 Demonstrationsteilnehmer getroffen, die nach eigenen Angaben Opfer oder Zeuge von polizeilicher Gewalt geworden seien. Die sei zum Teil so massiv gewesen, dass etwa ein Demonstrant bei einem Wasserwerfereinsatz auf einer Seite sein Augenlicht verloren habe.

Ein anderer Schwerpunkt der von Attac-Mann Giegold angeprangerten Grundrechtsverletzungen seien die Gefangenensammelstellen (Gesas) in Rostock gewesen. Der Berliner Arzt Michael Kronawitter berichtete, er sei dort 36 Stunden in einem "Polizeikäfig" festgehalten worden, weil er einen verletzen Demonstranten durch eine Polizeiabsperrung habe führen wollen.

Die Nahrungsversorgung sei unzureichend gewesen, rund um die Uhr habe grelles Licht geschienen, es habe keine Waschmöglichkeiten und keinen Sichtschutz gegeben. Er habe so etwas vorher "in Deutschland für unvorstellbar" gehalten. Sie hätten sich eingepfercht wie Hunde gefühlt.

Verhöre ohne Anwalt

Anwälte gaben an, sie hätten ihre Mandaten nicht sehen dürfen, einzelne Demonstranten seien ohne Anwalt verhört worden. Den festgenommen Demonstranten wiederum sei erzählt worden, es sei kein Anwalt greifbar.

Augenzeugen berichteten, die Polizei selbst habe Gewalt provoziert. Bekannt ist, dass sich einzelne Zivilbeamte unter die Demonstranten gemischt hätten. Zeugen gaben an, sie hätten Teilnehmer aufgefordert, Steine zu werfen. Dass Zivilbeamte im Einsatz waren, wird vom Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern nicht bestritten. Alle anderen Vorwürfe würden noch geprüft. Innenminister Lorenz Caffier (CDU) werde heute im Innenausschuss des Schweriner Landtags dazu Stellung nehmen.

Ulrike Donat, vom linksgerichteten Republikanischen Anwaltsverein (RAV), glaubt an einen heimlichen Eskalationsplan der Polizei. "Die Polizei würde sich ja ad absurdum führen, wenn alles gewaltfrei bleibt", sagte sie. "Sie braucht die Gewalt, um letztlich auch den massiven Polizeieinsatz zu rechtfertigen."

Giegold räumte zwar ein, dass es auch besonnene Polizisten und Einsatzleiter gegeben habe. Er aber hatte den Gesamteindruck, "dass die Grenzen dessen verschoben werden sollten, was als akzeptabel im Rechtstaat angesehen wird".

Anzeigen "auf allen Ebenen"

Anwältin Donat kündigte gegenüber sueddeutsche.de an, es werde jetzt "auf allen Ebenen" juristisch gegen die Verantwortlichen vorgegangen. In Vorbereitung seien Anzeigen gegen die Einsatzleiter und gegen einzelne Polizisten.

Darüber hinaus wird eine juristische Aufarbeitung der umstrittenen Bundeswehreinsätze in Heiligendamm immer wahrscheinlicher. Insbesondere der Einsatz von Tornado-Kampfflugzeugen, von denen aus Aufklärungsfotos der Demo-Camps gemacht worden sind, könnten bald das Bundesverfassungsgericht beschäftigen.

Grünen-Fraktionsvize Ströbele sagte, seine Fraktion prüfe, ob eine Organklage wegen der Vorfälle vor dem Bundesverfassungsgericht möglich sei. Es gebe aber noch einige juristische Hürden, die jetzt von einem unabhängigen Gutachter untersucht würden. In jedem Fall aber werde seine Partei mögliche Klagen von Betroffenen gegen den Tornado-Einsatz "organisatorisch und finanziell" unterstützen, sicherte er zu.

Parlamentarisch werde zudem ein Untersuchungsausschuss zu den Bundeswehreinsätzen in Betracht gezogen. Derzeit sei die Bundesregierung noch damit beschäftigt, schriftliche und mündliche Anfragen der Grünen und der Linken zu beantworten. "Wenn die Antworten nicht zur Aufklärung beitragen, werden wir prüfen, ob ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden muss", sagte Ströbele.

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