Polizei in Hamburg:Sonderurlaub und viele Fragen

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"Heldenhafter" Einsatz: Olaf Scholz und Kanzlerin Angela Merkel am Samstag bei Polizisten. Vor dem Gipfel hatte der Bürgermeister die Risiken beim G-20-Gipfel mit dem jährlichen Hafengeburtstag verglichen. (Foto: Regina Schmeken)

Dehydriert, erschöpft - und überfordert. Nach dem Krawallwochenende behaupten Kritiker: "Die Polizei ist verheizt worden". Die Verantwortlichen aber finden, sie seien bestens vorbereitet gewesen.

Von Thomas Hahn, Hamburg

Am Tag nach dem Gipfel kehrten die Einsatzkräfte in ihre Dienststellen zurück. Der Polizeialltag nahm die Beamtinnen und Beamten wieder auf in seine unerbittliche Zwangsläufigkeit. Wirklich verschnaufen konnten die wenigsten, allenfalls konnten sie sich darüber freuen, dass ihre Verdienste beim G-20-Gipfel in Hamburg von allen Seiten gewürdigt wurden: vom Bundespräsidenten, von der Bundeskanzlerin, vom Ersten Bürgermeister, von Medien und Bürgern. Drei Tage Sonderurlaub soll es geben. Aber bei vielen blieb auch der Eindruck hängen, Teil einer unverhältnismäßigen Kraftanstrengung gewesen zu sein. "Die Polizei ist verheizt worden", sagt Jan Reinecke vom Hamburger Landesverband des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, "die Politik hat uns mit offenem Visier ins Messer laufen lassen."

Recht und Ordnung beschützen, den richtigen Ton wahren und moralisch auf der Höhe sein

Beim G-20-Gipfel hat die deutsche Polizei zeigen können, was sie kann und was sie nicht kann. Und wenn es dabei nicht zu heftigster Randale gekommen wäre, zu brennenden Autos und Plünderungen - der Gewerkschafter Reinecke wäre möglicherweise sogar dankbar dafür gewesen. Gesellschaft und Politik stellen höchste Ansprüche an die Polizei: Recht und Ordnung soll sie bewahren, dabei den richtigen Ton wahren und moralisch immer auf der Höhe sein. Der G-20-Gipfel hat gezeigt, dass man diesen Anspruch nicht beliebig ausdehnen kann. Mitten in einer Stadt mit starken linksextremistischen Tendenzen sollte die Polizei einen ganzen Kader hochgefährdeter Industriestaatenlenker nebst Begleittross schützen und trotzdem das Eigentum der Bürger bewahren - das war zu viel, selbst für ein Riesenaufgebot von 21 000 Kräften aus ganz Deutschland.

Reinecke war beim Gipfel als Personalrat unterwegs, er schaute nach dem Befinden der Kollegen und wurde dabei Zeuge einer Überforderung. "Manche waren 30, 36, 40 Stunden ununterbrochen im Einsatz", sagt er, "wir hatten Ausfälle wegen Erschöpfung und Dehydrierung." Seine Bilanz: "Wir hatten eine Herausforderung zu bewältigen, die nicht zu bewältigen war."

Als Kritik an der Einsatzleitung will Jan Reinecke seine Hinweise nicht verstanden wissen. Aber die gibt es sehr wohl, auch wenn die Polizei in den offiziellen Reden wirkt wie ein Verbund, der mit sich im Reinen ist. Bei der Bilanz-Pressekonferenz am Sonntag kämpften Bürgermeister Olaf Scholz, Innensenator Andy Grote, Polizeipräsident Ralf Martin Meyer und Einsatzleiter Hartmut Dudde Seite an Seite gegen viele, teilweise wütende Fragen zur Einsatzstrategie der Polizei. Zahlreiche Hamburger Bürger sind irritiert, weil die Polizei in den ersten Tagen des Gipfels schon bei geringen Anlässen ihre Null-Toleranz-Linie zeigte - aber später randalierende Einzelgruppen nicht aufhalten konnte und bei den Zerstörungen im Schanzenviertel durch vermummte Gewalttäter stundenlang gar nicht zu sehen war.

Meyer und Dudde hoben hervor, wie gefährlich die Lage für die Polizei im Schanzenviertel gewesen sei. Personen hätten sich auf den Dächern postiert, um einschreitende Polizisten mit Molotow-Cocktails zu bewerfen. Gut organisierte schwarz vermummte Kleingruppen hätten sich durch ständiges Umziehen immer wieder Zugriffen entzogen. Aber die Kernfrage konnten die Männer nicht überzeugend beantworten: Warum war die Polizei so überrascht vom Mob? Vor dem Gipfel hatte sie doch selbst immer wieder darauf hingewiesen, dass Tausende gefährliche Linksextremisten aus ganz Europa in Hamburg zu erwarten seien. Mit weitreichenden rechtlichen Maßnahmen, einer riesigen Verbotszone und einem Rekordaufgebot von Beamten brachte sie sich in Position. Meyer sagte: "Die Vorbereitungen waren großartig."

Trotzdem fand die Randale statt. Grote beklagte kraftlos, dass das Verwaltungsgericht ein Übernachtungscamp erlaubt hatte, welches die Polizei verbieten wollte, um Gewalttätern keine Chance zu geben, sich im Schutze der Zelte zu organisieren. Aber die Botschaft blieb: Selbst die äußersten Kräfte des Polizeiapparats hatten nicht gereicht, um das Ausmaß der Gewalt in erträglichem Rahmen zu halten. "Die Menge war zu groß", sagte Dudde.

Die Kritik meint nicht die überarbeiteten Polizisten, sondern die Einsatzleitung

Vor allem Hartmut Dudde machte nicht den Eindruck, als plagten ihn tiefe Selbstzweifel. Und so gefestigt wie seine Position im Hamburger Polizeiapparat ist, wird er wohl auch keine Konsequenzen zu fürchten haben, nachdem seine Führungsqualität den Frieden während des Gipfels nicht bewahren konnte. Manchem Polizei-Fachmann ist es noch zu früh, um den Gipfeleinsatz mit harschen Reden zu überziehen. Andere Kenner sprechen lieber anonym. Aber dass Duddes Einsatzleitung Zweifel aufwirft, wird deutlich.

Dudde ist als Hardliner bekannt, der schon bei früheren Einsätzen den Eindruck erweckte, dass Deeskalation nicht sein Weg ist. Beobachter halten es zum Beispiel für fragwürdig, dass er am Donnerstag vor dem Gipfel die gefürchtete Demonstration "Welcome to Hell" schon auf den ersten Metern stoppte. Dudde verweist auf das Vermummungsverbot. Unter zehntausend Demonstranten waren zumindest zeitweise einige hundert Vermummte. Es folgten Zusammenstöße zwischen Polizei und "Schwarzem Block". Manche glauben, dass Duddes Entscheidung die Gewaltbereiten erst so richtig reizte. Und der Anwalt Matthias Wisbar, der die G-20-Demonstrationen mit einem Team aus freien Rechtsanwälten begleitete, sieht das Vorgehen als allzu freien Umgang mit dem Recht. Die Auslegung des Vermummungsverbots bei der Demonstration sei "immer eine Ermessenssache", sagt Wisbar: "Bei Herrn Dudde ist das Ermessen grundsätzlich auf Null reduziert." Die Diskussion um die Polizeistrategie beim Gipfel wird weitergehen.

© SZ vom 11.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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