Politische Kultur:Bei Polt und Söder

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Sehr unterschiedliche Lager demonstrierten in München gegen rechte Hetze. Die AfD behauptet: politischer Einheitsbrei. Das ist Unsinn. Es geht um die Grundlagen unseres Zusammenlebens.

Von Detlef Esslinger

München hat den Liebfrauendom und den Olympiapark, aber die Sehenswürdigkeit, dass Gerhard Polt und Markus Söder gemeinsam zu einer Kundgebung aufrufen, hatte die Stadt bisher nicht. Die Jusos, die Freien Wähler, der Verein Lichterkette sowie das Ensemble des Residenztheaters gehörten ebenfalls zu dem Kreis, der am Freitagnachmittag mehrere Tausend Menschen "gegen AfD und rechten Terror" mobilisierte.

Was heißt es, wenn Menschen und Organisationen sich zusammentun, die sonst eher jeder für sich unterwegs sind? AfD-Politiker und etliche ihrer Wähler werden das als weiteren Beleg dafür nehmen, dass sich das "gesamte politische Spektrum" einer "irgendwie kosmopolitischen, öko-feministischen Weltanschauung unterworfen und damit die politische Auseinandersetzung zu einer Art Nullsummenspiel gemacht" habe. So stand es vor Kurzem in der Jungen Freiheit, einem der AfD nahestehenden Blatt. Für die "Schärfe des Tons" bei der AfD-Klientel hatte der Autor eine Begründung: weil es "nicht mehr um dieses oder jenes Tagesproblem geht, sondern um Grundsätzliches".

Man muss das so ausführlich zitieren, weil hier mit gewählten Worten exakt jene Rechtfertigung formuliert wird, die sich jeder Pöbler zumindest unbewusst zurechtlegt - und die schon immer kennzeichnend für Fanatiker aller Art war. Der Zweck heiligt die Mittel, nach der Devise kreieren AfD-Politiker Ausdrücke wie "Merkelnutte" und "alimentierte Messermänner", oder werfen Politikern nach dem Attentat von Halle vor, in Synagogen "herumzulungern". Sie und ihre Anhänger erklären ihr Anliegen - das Begrenzen von Zuwanderung - für derart "grundsätzlich", dass ihnen die Form der Auseinandersetzung sekundär ist. Von allen Irrtümern, denen AfD-Anhänger unterliegen, ist dies der größte.

Kein einzelnes Anliegen ist so bedeutend, dass es über den Grundlagen des Zusammenlebens stünde. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil bei keinem Thema 83 Millionen Einwohner in Deutschland einer Meinung sein können. Die Grundlage des Zusammenlebens wird durch die Form geschaffen, in der diese 83 Millionen ihre Verschiedenheiten austragen: Greifen sie eine gegnerische Position an (gern mit Schärfe im Ton) - oder aber den Menschen, der sie vertritt? Wollen sie ihn bewegen nachzudenken - oder nur ihn niedermachen? Sind sie bereit, auch selber ein Argument zu liefern? "Messermänner" ist ja keines. Viele derjenigen, die die Form gering schätzen, tun dies übrigens sehr bewusst: Sie wollen an die Grundlagen ran. In zahllosen Zweideutigkeiten erklären AfD-Politiker eindeutig, wie sie die liberale Demokratie schleifen würden, hätten sie die Macht dazu.

Indem Polt, Söder, die Jusos und andere zur Kundgebung rufen, demonstrieren sie keineswegs, dass die politische Debatte in Deutschland ein "Nullsummenspiel" ist, in dem es egal wäre, wer regiert; was für ein absurder Vorwurf. Sondern sie demonstrieren, dass man sich über alle möglichen Themen streiten darf und muss - aber nie über die Form, in der das geschieht. Georg Bätzing, der neue Vorsitzende der Bischofskonferenz, hat seine Kollegen ermahnt, untereinander "mit hoher Wertschätzung für den anderen zu streiten". So nervös ist die Gesellschaft derzeit, dass man dies offenbar sogar Bischöfen in Erinnerung rufen muss.

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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