Politikerlöhne in Russland:Armenmärchen

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Kein Land, kein Haus, kein Auto: Russlands Politiker geben vor, nichts zu haben und Hungerlöhne zu verdienen. Bei ihren Verwandten sieht das anders aus.

Sonja Zekri

Der russische Präsident Dmitrij Medwedjew hat der Zeitung Nowaja Gaseta ein Interview gegeben, was ungefähr so bahnbrechend ist wie es ein Spiegel-Gespräch mit Helmut Kohl gewesen wäre. Die Nowaja Gaseta kritisiert den Kreml leidenschaftlich, Reporter riskieren ihr Leben, einige, wie Anna Politkowskaja oder Anastassija Baburowa, haben es im Dienst verloren.

Die Einkommenserklärung von Dmitrij Medwedjew zeigt: Häufig sind Politiker keine Großverdiener, offiziell jedenfalls. Ein Blick in ihre Geldbeutel. (Foto: Foto: dpa)

Nun aber plauderte Medwedjew über die Zivilgesellschaft und den Zusammenhang zwischen Wohlstand und Freiheit, die sich seiner Meinung nach nicht ausschließen. Zudem sprach er über ein Thema, das die Öffentlichkeit seit Tagen beschäftigt: den Reichtum der russischen Beamten, genauer ihre Armut.

Medwedjew hat nämlich nicht nur seine eigenen Einkünfte offengelegt, sondern in einem beispiellosen Schritt auch die Staatsdiener aufgerufen, ihr Vermögen und das ihrer Frauen und minderjährigen Kinder zu veröffentlichen. Seitdem staunt das Land. Danach hat der Präsident im vergangenen Jahr 4,1 Millionen Rubel verdient, umgerechnet 94.000 Euro, und besitzt nicht einmal ein eigenes Auto, dafür ein winziges Vermögen. Eine 370 Quadratmeter große Wohnung teilt er sich mit seiner Frau Swetlana. Premier Wladimir Putin, der bereits als Präsident nach internationalen Maßstäben äußerst bescheiden abschnitt, liegt mit 105.000 Euro Jahreseinkommen etwas besser. Außerdem besitzt er zwei "Wolga", Baujahr 1960 und 1965, sowie einen Kfz-Anhänger.

Ähnlich überschaubar ist das deklarierte Einkommen der zweiten Liga, ja, viele Beamten hätten ohne ihre Frauen nicht mal ein Dach über den Kopf. Vize-Stabschef Wladimir Surkow, der brillanteste Strippenzieher des Kreml, gab Einkünfte von 88.000 Euro pro Jahr an, aber weder Haus noch Land, während seine Frau das Vierfache verdient, zwei Grundstücke und zwei Häuser besitzt.

Sergej Mironow, Sprecher des Föderationsrates, hat nicht mal eine Datscha, seine Frau aber eine Wohnung, Land und einen Audi. Während die Öffentlichkeit laut einer Umfrage auf die Initiative eher desinteressiert reagierte, erging sich die Blogosphäre in Hohn und Spott: "Der Sprecher des Föderationsrates ist ein Obdachloser!", schrieb der Blogger mik97444762 im Internet. Ein anderer rechnete vor, dass Medwedjew für seine Wohnung bei diesem Einkommen 30 Jahre hätte "sparen, nichts essen, nichts trinken und nackt herumlaufen" müssen: "Und ihr redet von Korruption."

Experten wiesen darauf hin, dass eigentlich die Feststellung der tatsächlichen Ausgaben für den Lebenswandel maßgeblich sei. Zudem könnten die Beamten ihr Vermögen einfach auf die volljährigen Kinder übertragen. Der Chef des Nationalen Antikorruptionskomitees, Kirill Kabanow, sagte der Zeitung Kommersant, in "zivilisierten Ländern" glaube man Beamten nicht ohne weiteres, dort würden ihre Angaben durch Medien und politische Konkurrenz überprüft. Und der Regisseur Iwan Dychowitschnyj höhnte, würde Medwedjew die Deklarationen ernsthaft unter die Lupe nehmen, flösse so viel Steuergeld in den Haushalt, dass Russland die Wirtschaftskrise spielend überwinden könnte.

Der Präsident selbst sagte in der Nowaja Gaseta, dies sei nur ein erster Schritt, derartige Auskünfte seien fortan Teil des öffentlichen "Images" der Beamten. Ob diese sich denn beschwert hätten? "Wissen Sie", beschied Medwedjew, "es gehört nicht zum Amt des Präsidenten, sich die negativen Reaktionen der Beamten anzuhören."

© SZ vom 16.4.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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