Politik kompakt:"Zusammenstoß zwischen Staat und Religion"

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120.000 ultra-orthodoxe Juden gehen in Israel auf die Straße. Der Grund: Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs. Kurzmeldungen im Überblick.

Aus Protest gegen ein Urteil des Obersten Gerichtshofs sind am Donnerstag nach Angaben der Polizei etwa 120.000 ultra-orthodoxe Juden in Israel auf die Straße gegangen. Es waren die größten religiösen Proteste seit mehr als zehn Jahren, die liberale Zeitung Haaretz bezeichnete sie als den bisher "dramatischsten Zusammenstoß zwischen Staat und Religion".

Proteste in Irsael: Alleine in West-Jerusalem nahmen 100.000 Menschen an der Kundgebung teil, weitere 20.000 gingen bei Tel Aviv auf die Straße. (Foto: afp)

Tausende Polizisten waren in erhöhter Alarmbereitschaft. Hintergrund der Proteste war ein Entschluss des Obersten Gerichts, wonach eine Mädchenschule für aschkenasische Juden in der ultra-orthodoxen Siedlung Immanuel im Westjordanland auch Kinder sephardischer Juden aufnehmen muss.

Aus Protest gegen die Entscheidung schickten mehrere Eltern ihre Kinder nicht mehr auf die Schule. Daraufhin verurteilte Israels höchstes Gericht die 86 Väter und Mütter wegen der Verletzung der allgemeinen Schulpflicht zu zwei Jahren Haft. Die Richter urteilten, die Trennung der Schüler sei rassistisch. Dagegen argumentieren die Eltern, die aus Europa stammenden aschkenasischen Juden und die aus arabischen Ländern stammenden sephardischen Juden verfolgten verschiedene religiöse Bräuche.

Paradoxerweise gingen Vertreter beider ultra-orthodoxer Gemeinschaften am Donnerstag gemeinsam auf die Straße. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich mindestens 100.000 Menschen an der Kundgebung in West-Jerusalem, 20.000 demonstrierten demnach in dem mehrheitlich ultra-orthodoxen Ort Bnei Brak bei Tel Aviv.

Beide Gemeinschaften erkennen die Autorität des Obersten Gerichts nicht an. Auf Spruchbändern stand "Die Thora regiert", Redner bekräftigten immer wieder: "Die Thora steht über den bürgerlichen Gesetzen." 1999 hatte eine halbe Million ultra-religiöser Juden in Jerusalem gegen die "Diktatur" der Obersten Richter demonstriert.

Die verurteilten Eltern fanden sich unterdessen in der Justizvollzugsanstalt von Jerusalem ein. Von dort aus sollten sie am Abend auf die verschiedenen Gefängnisse im Land verteilt werden.

(AFP)

Schweden beschließt ein Ende des Atomausstiegs, die Bundeswehr beteiligt sich ein weiteres Jahr an den Einsätzen im Sudan sowie vor der Küste Libanons und der Bundestag verabschiedet die umstrittene Reform zur Verkürzung des Wehr- und Zivildienstes: Lesen Sie auf den folgenden Seiten weitere Kurzmeldungen im Überblick.

30 Jahre nach dem Verbot von Reaktorneubauten hat der schwedische Reichstag den Stopp am Donnerstag wieder aufgehoben. Mit einer knappen Mehrheit von 174 gegen 172 Stimmen simmte das schwedische Parlament am Donnerstagabend in Stockholm dem Bau neuer Atomkraftwerke zu. Die Abgeordneten folgten damit einem Plan der Regierung, alte Kernkraftwerke durch neue Anlagen zu ersetzen.

Die umstrittene Entscheidung bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Atompolitik Schwedens. Die Schweden hatten 1980 in einem Referendum für den Ausstieg aus der Atomkraft gestimmt. Im März hatte die Mitte-rechts-Regierung allerdings vorgeschlagen, im Betrieb befindliche Kernreaktoren durch neue zu ersetzen. Die zehn schwedischen Atomreaktoren liefern 50 Prozent des Energiebedarfs des Landes.

(AP/dpa)

Die Bundeswehr beteiligt sich ein weiteres Jahr an den internationalen Einsätzen im Sudan und vor der libanesischen Küste. Der Bundestag stimmte am Donnerstagabend jeweils mit großer Mehrheit für eine Verlängerung dieser Mandate. Allerdings wurde die Obergrenze für die Zahl der Soldaten in beiden Fällen deutlich abgesenkt.

Im Rahmen der UNIFIL-Mission vor dem Libanon wacht die Bundeswehr seit 2006 darüber, dass die Hisbollah-Miliz keine Waffen über den Seeweg ins Land schmuggeln kann. Künftig soll der Schwerpunkt des Einsatzes allerdings auf der Ausbildung der libanesischen Marine liegen. Zudem dürfen künftig nur noch maximal 300 statt - wie bisher - 800 Soldaten eingesetzt werden. Derzeit beteiligen sich aber ohnehin nur 250 Bundeswehr-Kräfte an der Mission der Vereinten Nationen.

Die Linke war als einzige Fraktion geschlossen gegen eine deutsche Beteiligung. Bei der namentlichen Abstimmung im Bundestag votierten 486 Abgeordnete für eine Verlängerung des Einsatzes. 76 waren dagegen, neun Parlamentarier enthielten sich.

Eine ähnlich große Mehrheit gab es auch für die Verlängerung der deutschen Beteiligung an den Missionen UNMIS und UNAMID im Sudan. Der UNAMID-Einsatz in der Krisenregion Darfur dient dem Schutz der dortigen Zivilbevölkerung. Hier wurde die Mandatsobergrenze von 250 auf 50 Soldaten abgesenkt. Unverändert bleibt die Obergrenze von 75 Einsatzkräften für die UNMIS-Mission im Südsudan.

(dpa)

Bei einer Gedenkstunde des Bundestags an den Volksaufstand in der DDR vor 57 Jahren hat die frühere SPD-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan die damaligen Forderungen der Aufständischen nach Recht und Freiheit als unverändert aktuell beschrieben. "Zurück in eine Diktatur will heute kaum einer. Aber viele plagen heftige Zweifel an der Fähigkeit der politischen Demokratie, die drängenden Probleme zu lösen", mahnte die Politikwissenschaftlerin vor den Abgeordneten. Zwar stehe im vereinigten Deutschland kein neuer 17. Juni bevor. "Doch dass es unter der Oberfläche gärt, kann niemand abstreiten." Die Gefahr ohnmächtiger Wut mache sich in der Gesellschaft spürbar breit. Immer mehr Menschen fragten sich etwa, ob es gerecht sei, Milliardenbürgschaften für die Rettung des Bankensystems auszugeben, während kurz danach diese Institute riesige Gewinne verbuchten. Die Distanz zur Demokratie wachse auch durch die zunehmende Schere bei der Vermögensverteilung. Die frühere Präsidentin der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) forderte einen neuen Grundkonsens in der Gesellschaft. Die Demokratie müsse zeigen, dass sie besser als die kommunistische Ideologie in der Lage sei, Freiheit und Recht dauerhaft zu sichern.

Der Aufstand vom 17. Juni 1953 gilt als erste Massenerhebung im Machtbereich der damaligen Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg. Von 1954 an war dieses Datum als Tag der deutschen Einheit gesetzlicher Feiertag und Nationaler Gedenktag des Deutschen Volkes in der alten Bundesrepublik. Seit 1990 ist der 3. Oktober der Tag der Deutschen Einheit. Der 17. Juni ist seitdem ein nationaler Gedenktag.

(dpa)

Unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft hat Israel am Donnerstag eine Lockerung der Blockade des Gaza-Streifens beschlossen. Wie die israelische Regierung mitteilte, werde die Einfuhr von "Gütern zur zivilen Nutzung" und "Materialien für zivile Projekte unter internationaler Aufsicht" in das abgeriegelte Palästinensergebiet erleichtert.

Das israelische Sicherheitskabinett machte den Angaben zufolge in dem Beschluss allerdings deutlich, dass Israel an "bestehenden Sicherheitsvorkehrungen" festhalten werde, um die Einfuhr von Waffen und Kriegsmaterial zu unterbinden. Die internationale Gemeinschaft hatte nach der gewaltsamen Erstürmung der Gaza-Hilfsflottille Ende Mai zahlreiche Appelle an die Israelis gerichtet, Hilfslieferungen für die rund 1,5 Millionen Palästinenser im Gaza-Streifen zuzulassen.

Nach Ansicht dens syrischen Präsidenten Baschar al-Assad hat der israelische Angriff auf die Hilfsflotte die Kriegsgefahr im Nahen Osten erhöht. In einem Interview des Senders BBC sagte Assad, das Risiko habe "ernsthaft" und "eindeutig" zugenommen. Jede Gelegenheit auf Frieden sei in ferne Zukunft gerückt. Die Blockade des Gaza-Streifens wurde im Juni 2006 nach der Verschleppung des israelischen Soldaten Gilad Schalit verhängt. Schalit wird noch immer festgehalten. Die Blockade war verschärft worden, nachdem die radikal-islamische Hamas dort im Sommer 2007 gewaltsam die Kontrolle übernommen hatte.

(AFP/dpa)

Die USA und Europa verschärfen ihre Sanktionen gegen Iran: Der EU-Gipfel verabschiedete am Donnerstag einen Katalog mit Handels- und Investitionsverboten für die Gas- und Ölbranche und den Verkehrssektor, wie aus Diplomatenkreisen verlautete. Mit den neuen EU-Sanktionen soll der Handel mit Material gestoppt werden, das für militärische Zwecke benutzt werden kann. Für die Gas- und Ölindustrie wurde ein Verbot von Investitionen, technischer Hilfe, des Transfers von Technologien, Ausrüstung und Dienstleistungen verhängt. Überdies beschloss die EU neue Visabeschränkungen und das Einfrieren von Konten bei den Revolutionsgarden. Die EU-Außenminister hatten sich bereits am Montag auf das neue Maßnahmenbündel geeinigt, der Gipfel am Donnerstag gab dafür das grüne Licht. In den kommenden Wochen müssen Experten die Einzelheiten ausarbeiten, welche Firmen und Produkte konkret betroffen sind.

Die US-Regierung hatte am Mittwoch ihre Strafmaßnahmen gegen Iran auf mehr als drei Dutzend Unternehmen und Einzelpersonen ausgeweitet, die nach Überzeugung der US-Behörden die iranischen Atom- und Raketenprogramme unterstützen. Zudem teilte das US-Finanzministerium mit, dass mit der Post Bank of Iran eine weitere staatlich kontrollierte iranische Bank auf die schwarze Liste gesetzt worden sei. Darüber hinaus seien zusätzliche Restriktionen gegen Schiffsunternehmen, Energiekonzerne sowie die Revolutionsgarde der Islamischen Republik vorgesehen. Es sind die ersten Maßnahmen, seitdem in der vergangenen Woche der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen neue Sanktionen gegen Iran beschlossen hatte. US-Finanzminister Timothy Geithner kündigte weitere Aktionen in den kommenden Wochen an. Staaten des Westens verlangen von dem Land einen Stopp des Atomprogramms. Sie befürchten, Iran könnte heimlich an der Entwicklung von Atomwaffen arbeiten. Die Regierung in Teheran weist dies zurück.

(Reuters/AP)

Im ersten europäischen Prozess gegen somalische Seeräuber hat ein Gericht in den Niederlanden am Donnerstag Haftstrafen von fünf Jahren verhängt. Die Richter des Rotterdamer Amtsgerichtes sah es als erwiesen an, dass die fünf Angeklagten im Alter zwischen 25 und 45 Jahren am 2. Januar 2009 versucht hatten, einen türkischen Frachter mit Waffengewalt zu kapern, um dann Lösegeld zu fordern. Die Staatsanwaltschaft hatte Strafen von jeweils sieben Jahren gefordert. Die Angeklagten hatten bei der Eröffnung des Prozesses am 25. Mai ihre Unschuld beteuert. Sie seien nur Fischer, die in Seenot geraten seien und die Besatzung des Schiffes Samanyolu hätten um Hilfe bitten wollen, erklärten sie.

Hingegen ging die Anklage davon aus, die Männer hätten sich bereits in dem Moment der versuchten Piraterie strafbar gemacht, als sie mit Waffen ihr Boot bestiegen, um nach einem Schiff zu suchen, das sie kapern könnten. Die Beweisführung stützte sich unter anderem auf Aussagen der Besatzung des Frachters sowie von dänischen Marinesoldaten. Demnach hatten die Somalier die unter der Flagge der Niederländischen Antillen fahrende Samanyolu mit einem Raketenwerfer und automatischen Waffen beschossen. Ihr Boot wurde von der sich wehrenden Besatzung des Frachters mit Leuchtmunition in Brand gesetzt und sank samt der angeblichen Waffen. Die Männer wurden anschließend von einem dänischen Marinehubschrauber aus dem Wasser gefischt.

(dpa)

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Jörg van Essen, hat sich für eine Aussetzung der Wehrpflicht ausgesprochen. Er sagte im Deutschlandfunk, ursprünglich sei die Wehrpflicht eine "urliberale Idee". Die Lage habe sich aber geändert. Bei einer Wehrpflicht von sechs Monaten gebe es einen "immensen Aufwand" bei zu wenig Nutzen. "Die Wehrpflicht muss sich sicherheitspolitisch begründen", sagte der FDP-Politiker.

Entgegen der Auffassung seines Parteigenossen, Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), hat sich der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) gegen eine Abschaffung der Wehrpflicht ausgesprochen. "Wir dürfen keine Sicherheitspolitik nach Kassenlage machen", sagte er der Passauer Neuen Presse. Guttenberg war mit Überlegungen vorgeprescht, aus Kostengründen die Wehrpflicht auszusetzen. Herrmann sagte, das "über Jahrzehnte vertretene Grundbekenntnis zur Wehrpflicht" könne nicht "von heute auf morgen aus haushaltspolitischen Gründen zur Disposition gestellt" werden. Als Kritik an Guttenberg will er dies jedoch nicht verstanden wissen. Richtig sei, die Ergebnisse der Reformkommission abzuwarten und dann eine sehr sorgfältige Diskussion zu führen, sagte Herrmann. Nach seiner Ansicht gibt es zahlreiche Gründe, an der Wehrpflicht festzuhalten. "Wir brauchen unsere Bundeswehr auch bei Natur- und humanitären Katastrophen, bei besonders schweren Unglücksfällen oder dem Schutz vor Terroranschlägen", sagte er.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung will die Wehrdienstzeit zum 1. Juli von neun auf sechs Monate verkürzen. Das soll der Bundestag am Donnerstag beschließen. Angesichts leerer Staatskassen wird auch darüber diskutiert, die Wehrpflicht abzuschaffen.

(dpa/apn)

Die UN-Truppen in der Demokratischen Republik Kongo haben am Mittwoch mit einem teilweisen Abzug begonnen. Bis Ende Juni sollen 2000 der ursprünglich 21.000 UN-Soldaten Kongo verlassen haben. Am 30. Juni begeht das Land den 50. Jahrestag seiner politischen Unabhängigkeit. Die Truppe wurde unter der Bezeichnung Monuc im Jahr 2000 vom UN-Sicherheitsrat geschaffen, um den Bürgerkrieg in dem zentralafrikanischen Staat zu beenden. In dem Krieg von 1998 bis 2003 kamen mehr als fünf Millionen Menschen ums Leben. Nach wie vor gibt es Aufstände von Rebellen im Norden und Osten des Landes. Die Monuc wird ab 1. Juli umbenannt in Monusco und soll sich auf den Zivilschutz konzentrieren. Ihr Chef Alan Doss sagte, die Regierung der Demokratischen Republik Kongo müsse ihre Bemühungen verstärken, das Land zu stabilisieren. "Wir können bewaffnete Gruppen zurückdrängen", sagte er, "aber wenn der Staat nicht mit Polizei, Justiz, Straßenbau und Schulen nachkommt, hilft das nicht viel."

(Reuters)

Kurz vor der Gesundheitsklausur der schwarz-gelben Koalition hat CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt dem FDP-Modell einer einkommensunabhängigen Gesundheitsprämie eine endgültige Absage erteilt. "Das Prämienmodell ist nicht mehr Gegenstand der Diskussion in der Koalition", sagte Dobrindt der Rheinischen Post. Es gehe statt Erhöhungen über eine Zusatzprämie nun ausschließlich um Ausgabenreduzierungen, betonte Dobrindt. Im Gesundheitssystem gebe es ein Einsparpotential von "mehreren Milliarden Euro". Mit Blick auf FDP-Gesundheitsminister Philipp Rösler betonte Dobrindt: "Jetzt ist Herr Rösler an der Reihe, weitergehende Einsparmaßnahmen vorzuschlagen."

Seit Wochen herrscht besonders zwischen CSU und FDP ein Streit darüber, wie das Milliarden-Defizit im Gesundheitsbereich in den Griff zu bekommen ist. Die Fachpolitiker von Union und FDP wollen am Freitag und Samstag bei ihrer Klausurtagung Lösungen suchen, wie das deutsche Gesundheitssystem krisenfest für die Zukunft gemacht werden kann. Derzeit zahlen die Versicherten einen Beitrag von 14,9 Prozent auf ihren Bruttolohn. Der Anteil der Arbeitgeber liegt bei sieben Prozent. Steigt der Beitragssatz, steigen auch die Lohnkosten für die Arbeitgeber.

(dpa)

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