Politik kompakt:Entschädigung für Sexualstraftäter

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Deutschland muss einem Sexualstrafstäter 31.000 Euro zahlen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte beanstandete eine nachträgliche Sicherungsverwahrung.

Kurzmeldungen im Überblick

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Deutschland erneut wegen nachträglicher Verlängerung der Sicherungsverwahrung verurteilt. Demnach muss die Bundesrepublik einem Sexualstraftäter rund 31.000 Euro Entschädigung bezahlen, weil er sieben Jahre länger in Sicherungsverwahrung saß als es der ursprünglichen Gesetzeslage entsprach.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte rügt die Sicherungsverwahrung in Deutschland. Ein Sexualstraftäter erhält nun 31.000 Euro Entschädigung vom deutschen Staat für eine nachträgliche Verwahrung. (Foto: dpa)

Der 1953 geborene Mann befindet sich bereits seit 2009 auf freiem Fuß. Nachdem bei ihm Krebs diagnostiziert wurde, kam er auf Bewährung aus der Sicherungsverwahrung frei. Der Sexualstraftäter, der wegen Vergewaltigung und Vergewaltigungsversuch mehrfach vorbestraft war, wurde letztmals 1990 wegen versuchter sexueller Nötigung verurteilt.

Das Landgericht Heilbronn ordnete damals zusätzlich seine Sicherungsverwahrung an, die damals auf maximal zehn Jahre begrenzt war. Der Mann wurde jedoch nach Ablauf der Frist nicht entlassen, da die Zehnjahresgrenze 1998 rückwirkend aufgehoben wurde. Er blieb bis August 2009 in Verwahrung. Seine Verfassungsbeschwerde war vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen worden. Seine Klage vor dem Menschenrechtsgerichtshof hatte dagegen Erfolg.

Schon im Dezember 1999 verurteilten die Straßburger Richter Deutschland wegen der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung. Die Richter betrachten die Sicherungsverwahrung, die bisher meist in Gefängnissen erfolgt, als Strafe. Eine Strafe dürfe aber nicht rückwirkend verlängert werden. Bei dieser Auffassung blieben die Richter jetzt auch in ihrem aktuellen Urteil vom Donnerstag.Dabei wirkte auch die neue deutsche Richterin Angelika Nußberger mit.

Das Bundesverfassungsgericht hatte 2004 geurteilt, Strafe und Sicherungsverwahrung seien unterschiedlich zu bewerten. Die rückwirkende Aufhebung der Zehnjahresgrenze stelle deshalb keine rückwirkende Strafe dar. Auch das Bundesverfassungsgericht überprüft derzeit angesichts der neuen Straßburger Entscheidungen seine Rechtsprechung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung.

Deutschland hat aufgrund der Straßburger Urteile die Gesetze zur Sicherungsverwahrung geändert. Zur nachträglichen Verhängung einer Sicherungsverwahrung kann es künftig nicht mehr kommen. Umstritten ist jedoch, was mit den Altfällen geschehen soll. Das Bundesverfassungsgericht steht vor einem neuen Urteil zur Sicherungsverwahrung, die Beratungen des Zweiten Senats sind noch im Gange.

Auch der Große Strafsenat des Bundesgerichtshofs muss darüber entscheiden, ob Betroffene der nachträglich verhängten beziehungsweise verlängerten Verwahrung jetzt sofort entlassen werden müssen oder unter Umständen weiter festgehalten werden können. Eine Entscheidung wird im Laufe des Jahres 2011 erwartet.

(dapd)

Islands Regierung überwindet nur knapp ein Misstrauenvotum, die Grünen in Baden-Württemberg überlegen, wie sie ihr Wahlsprechen einlösen können, Guido Westerwelle hält am Afghanistan-Abzugsplan fest, die Österreichische Volkspartei hat einen neuen Chef, ein US-Amerikaner sitzt in Nordkorea seit fünf Monaten in Haft und die bosnischen Serben streben nach Autonomie. Lesen Sie auf den folgenden Seite weitere Kurzmeldungen.

Islands Regierung hat ein Misstrauensvotum im Parlament wegen der Schuldenkrise knapp überstanden. Bei der Abstimmung im Parlament in Reykjavik in der Nacht zum Donnerstag stimmten 32 Abgeordnete gegen und 30 für den Misstrauensantrag gegen Ministerpräsidentin Jóhanna Sigurdardóttir.Ein Abgeordneter enthielt sich der Stimme.

Späte Wirkung der Bankenkrise in Island: Premierministerin Jóhanna Sigurdardottir wäre fast als Premierministerin abgesetzt worden. (Foto: AFP)

Vorausgegangen war am Wochenende ein Referendum, bei dem fast 60 Prozent der Befragten die von Sigurdardóttir empfohlene Tilgung von Schulden der pleitegegangenen Internetbank Icesave aus Steuermitteln abgelehnt hatten.Islands Bankwesen war während der Finanzkrise 2008 praktisch komplett zusammengebrochen und hatte dem Land gigantische Schulden bei ausländischen Gläubigern hinterlassen.

Die Koalition aus Johanna Sigurdardóttirs Sozialdemokraten und den Links-Grünen verfügt im Parlament über 33 von 63 Sitzen. Zwei frühere Abgeordnete der Links-Grünen haben ihre Fraktion im März verlassen.

(dpa)

Grüne und SPD in Baden-Württemberg haben in ihren Koalitionsverhandlungen noch keine Einigung zur Zukunft des umstrittenen Bahnprojekts "Stuttgart 21" erzielt. Der designierte Grünen-Ministerpräsident und Projektgegner Winfried Kretschmann hat in Stuttgart von "schwierigen Verhandlungen" gesprochen.

Arbeitsgruppen von Grünen und SPD sollen nach Angaben des SPD-Verhandlungsführers Nils Schmid nun bis kommenden Mittwoch konkrete Textvorschläge für den Koalitionsvertrag erstellen. Dabei steht die Frage nach einem von den Grünen mittlerweile kritisch gesehenen Volksentscheid über "Stuttgart 21" im Mittelpunkt.

Sowohl die SPD als auch die Grünen hatten im Wahlkampf zwar einen Volksentscheid zur Zukunft des Projekts versprochen. Die Grünen versuchen nun aber, solch eine Entscheidung zu vermeiden. Hintergrund ist, dass sich nach Landesrecht in einem Volksentscheid ein Drittel der Wahlberechtigten gegen das Projekt aussprechen müssten, um es zu kippen.

Das wären rund 2,4 Millionen Wähler. Die Grünen kamen bei den Landtagswahlen Ende März aber nur auf rund 1,5 Millionen Stimmen. Sie suchen deshalb nun laut Kretschmann nach einem "fairen Verfahren", um ihr Versprechen eines Baustopps einhalten zu können. Der designierte Ministerpräsident verwies in diesem Zusammenhang auch auf den von der Deutschen Bahn geplanten Stresstest zur Leistungsfähigkeit des unterirdischen Bahnhofs.

Der für Juni geplante Test soll in einer Computersimulation zeigen, ob die Kapazität des geplanten unterirdischen Bahnhofs auch in Stoßzeiten ausreicht, oder ob weitere Millionenbeträge etwa für zusätzliche Gleise nötig sind. Die Bahn hatte sich im Vertrag zu dem Projekt auf maximale Kosten von rund 4,5 Milliarden Euro für den Bahnhofsumbau festgelegt.

(AFP)

Ungeachtet des Anschlags auf das UN-Büro in Masar-i-Sharif mit sieben Toten hält Außenminister Guido Westerwelle an der Abzugsperspektive für Afghanistan fest. "Das zeigt nur, dass wir die Afghanen auch nach 2014, wenn die Sicherheitsverantwortung vollständig an Afghanistan übergeben sein sollte, nicht im Stich lassen dürfen", sagte der FDP-Politiker der Frankfurter Rundschau.

Es sei trotz aller Rückschläge ein ermutigendes Zeichen, dass vom Sommer an die ersten afghanischen Regionen in die Sicherheitsverantwortung der Afghanen selbst übergeben werden sollen. "Und deshalb bleibt es auch bei unserer Absicht, Ende des Jahres erstmals das Bundeswehr-Kontingent zu reduzieren. Immer unter dem Vorbehalt: Wenn es die Lage zulässt", sagte Westerwelle.

(dapd)

Der österreichische Außenminister Michael Spindelegger wird neuer Chef der konservativen ÖVP und Vizekanzler in der Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten. Der 51-Jährige folgt Josef Pröll, der seine politischen Ämter aus gesundheitlichen Gründen niedergelegt hat.

Wer Nachfolger Prölls als Finanzminister wird, teilte die Partei bislang nicht mit. Als Favorit für den Posten wird Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner gesehen. Spindelegger gilt wie Pröll als Pragmatiker, der um Kompromisse mit Bundeskanzler Werner Faymann von der SPÖ bemüht ist.

(Reuters)

Nordkorea hat am Donnerstag die Festnahme eines US-Bürgers bestätigt, dem nach südkoreanischen Medienberichten christliche Missionierung vorgeworfen wird. Der Mann werde seit November festgehalten, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur KCNA. Gegen ihn werde eine Anklage vorbereitet. Washington sei darüber informiert. Der Mann habe zu Vertretern der schwedischen Botschaft Kontakt aufnehmen dürfen, berichtete KCNA. Die USA haben keine diplomatische Vertretung in Nordkorea und lassen ihre Interessen von Schweden wahrnehmen. Anfang der Woche hatte das US-Außenministerium Pjöngjang aufgefordert, einen US-Bürger freizulassen. Offiziell garantiert Nordkorea Religionsfreiheit. In der Praxis gehen die Behörden aber gegen Christen vor, da diese als westlich beeinflusste Bedrohung der Regierung gesehen werden.

(dapd)

Die Serben in Bosnien-Herzegowina ebnen den Weg zu größerer Unabhängigkeit. Das Parlament der serbischen Landeshälfte beschloss am späten Mittwochabend in Banja Luka eine Volksabstimmung zur Abschaffung der Staatsanwaltschaft und des obersten Gerichts des Gesamtstaates. Beide Institutionen seien verfassungswidrig und ermittelten vor allem gegen Serben, hieß es in der Begründung des mit breiter Mehrheit gefassten Beschlusses.

Die Zustimmung der Serben in der Volksabstimmung gilt als reine Formsache. Der internationale Bosnien-Aufseher Valentin Inzko protestierte gegen die geplante Auflösung des gesamtstaatlichen Rechtsraumes. Es handele sich um den "Versuch der Untergrabung des Rechts auf Staatsniveau durch eine Landeshälfte" und verletze das Friedensabkommen, mit dem der Bürgerkrieg (1992-1995) beendet wurde.Theoretisch kann Inzko das Referendum verbieten.

Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte sich bei einem Besuch Sarajevos in der letzten Woche ausdrücklich gegen den serbischen Schritt ausgesprochen.

Bosnien besteht seit dem Krieg aus zwei de facto voneinander unabhängigen Landesteilen. Die eine Hälfte wird von Serben, die andere von Muslimen und Kroaten dominiert. Von den vier Millionen Einwohnern stellen die Muslime die Hälfte, die Serben ein Drittel und die Kroaten etwa 15 Prozent.

(dpa)

Bei einem Überfall auf ein Lager der oppositionellen iranischen Volksmudschahedin im Irak sind mindestens 34 Menschen getötet worden. Wie die UNO am Donnerstag in New York mitteilte, griff die irakische Armee das Lager am vergangenen Freitag an. "Wir wissen von 34 Leichen im Lager Aschraf und in der Nähe", sagte der Vizesprecher der Vereinten Nationen, Farhan Haq. Das Lager liegt nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad in der Provinz Dijala. Die iranischen Volksmudschahedin hatten in den 80er Jahren das Lager im Irak gegründet, als die Nachbarländer gegeneinander Krieg führten. Von dort aus wollten die Oppositionellen ihren Kampf gegen die Regierung in Teheran führen. Das Lager wurde nach der US-Invasion im Irak 2003 entwaffnet.

(AFP)

Die EU und ihre europäischen Handelspartner haben Handelserleichterungen für mehrere nordafrikanische und südosteuropäische Länder erlassen. Die EU sowie Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz kündigten am Donnerstag vor allem bessere Zollbedingungen an, um den Ländern einen Zugang zum Markt zu ermöglichen. Nutznießer der Maßnahmen sind Marokko, Algerien, Ägypten, Jordanien, der Libanon, die Türkei und Syrien, aber auch Israel, das Westjordanland und der Gazastreifen. Zudem sollen auch etwa Albanien, Kroatien sowie Ex-Jugoslawien und das Kosovo von den Erleichterungen profitieren. Wie die ungarische EU-Ratspräsidentschaft mitteilte, sollen die Erleichterungen zu einem Wirtschaftswachstum in den Ländern und zur Stabilität in der gesamten Region beitragen und so auch dem Ansturm von Wirtschaftsflüchtlingen nach Europa einen Riegel vorschieben.

(AFP)

Mit der angeordneten Freilassung von Demonstranten und der Bildung einer neuen Regierung will Syriens Präsident Baschar al-Assad seine Gegner besänftigen. Assad wolle den Zusammenhalt zwischen den Menschen stärken und habe sich daher dazu entschlossen, die während der seit einem Monat anhaltenden Proteste Festgenommenen wieder auf freien Fuß zu setzen, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Sana. Diejenigen, die "Verbrechen gegen die Nation und die Bürger" verübt hätten, müssten aber in Haft bleiben.

Zugleich präsentierte Assad eine neue Regierung: Neuer Ministerpräsident werde der frühere Landwirtschaftsminister Adel Safar, meldete Sana. Die Innen- und Finanzressorts wurden ebenfalls neu besetzt.

Allerdings hat die Regierung in Syrien de facto nicht viel zu sagen: Die Macht ist seit Jahrzehnten fest in Händen der Assad-Familie und des Sicherheitsapparats. Seit 1963 gilt in Syrien das Notstandsrecht. Die Reformbewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten erreichten Syrien vor einem Monat. Assad reagierte mit einer Mischung aus vagen Reformversprechen und einem harten Durchgreifen der Sicherheitskräfte, einschließlich der gefürchteten Geheimpolizei. Dabei gab es auch Tote, Hunderte Menschen wurden nach Angaben von Menschenrechtlern festgenommen.

(Reuters)

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