Terrorprozess in Paris:Die Toten füllen eine lange Liste

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"Wir werden niemals aufhören", schreibt der Zeichner und Charlie-Hebdo-Herausgeber Laurent Sourisseau, bekannt als Riss (Mitte) in der aktuellen Ausgabe des Magazins. Am Mittwoch kam er zum Prozessauftakt ins Gericht. (Foto: Charles Platiau/Reuters)

In Paris beginnt der Prozess zum Terrorattentat auf "Charlie Hebdo". Die Richter müssen große Erwartungen erfüllen.

Von Nadia Pantel, Paris

Der Pariser Justizpalast ist am Mittwochmorgen, am ersten Tag des Charlie-Hebdo-Prozesses, sehr voll und deprimierend leer zugleich. Voll, weil sich in der Lobby Kamerateams und Anwälte drängen. Leer, weil im Zentrum des Prozesses eine Liste der Toten steht. 17 Menschen wurden am 7., 8. und 9. Januar 2015 von den Terroristen Said und Chérif Kouachi und Amédy Coulibaly erschossen. Sie wurden getötet, weil den Tätern ihr Humor nicht gefiel, weil sie Juden waren, weil sie für die Polizei arbeiteten. Die Kouachis und Coulibaly waren von islamistischen Dogmen geleitet, sie hatten in französischen Gefängnissen ihre ideologischen Lehrmeister getroffen. Vor Gericht müssen sie sich nicht verantworten, sie starben bei Polizeieinsätzen.

Statt ihrer wird in Paris nun dreizehn Männern und einer Frau der Prozess gemacht, die halfen, Waffen und Geld zu beschaffen und bei der Vorbereitung der Attentate Spuren zu verwischen. Der für Anti-Terrorismus zuständige Staatsanwalt Jean-François Ricard betonte zum Prozessbeginn, dass es sich bei den Angeklagten nicht um einfache "Handlanger" handelte, sondern um Menschen, die "unverzichtbar für den Terror" gewesen seien. Es gehe darum, "der Wahrheit nahe zu kommen".

Wie groß das Gewicht ist, das auf dem Prozess lastet, lässt sich auch daran erkennen, dass alle Verhandlungen auf Video aufgezeichnet und archiviert werden. Die Zahl der Nebenkläger ist so hoch und das Medieninteresse so groß, dass der Prozess auf mehrere Säle verteilt ist. Im größten Saal, den der moderne Justizpalast zu bieten hat, werden die Angeklagten verhört, in zwei weiteren Sälen sitzen die Anwälte der 200 Nebenkläger. Und in einem Saal wird der Prozess für die Öffentlichkeit übertragen.

Erst waren sie alle Charlie, doch die Solidarität ebbte schnell ab

Neben der weiteren Aufklärung wird es in den nächsten zwei Monaten des Prozesses auch darum gehen, dass die Hinterbliebenen der Getöteten zu Wort kommen. Außerhalb des Gerichts geschieht dies am ersten Verhandlungstag auch am Zeitungskiosk. Dort wird eine Sonderausgabe der Satirezeitschrift Charlie Hebdo verkauft. "Tout ça pour ça", alles deshalb, steht in großen Lettern auf der ersten Seite, daneben Karikaturen, die den Propheten Mohammed zeigen. "Wir werden niemals aufhören", schreibt der Zeichner und Charlie-Hebdo-Herausgeber Riss. Doch direkt daneben steht ein Text von Philippe Lançon, der deutlich weniger forsch klingt.

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Der Schriftsteller Lançon gehörte zu denen, die am 7. Januar in der Redaktionskonferenz von Charlie Hebdo saßen, als zwei Terroristen das Feuer eröffneten. Er überlebte schwer verletzt. "Ich werde mir den Prozess zum Charlie-Hebdo-Attentat nicht ansehen", schreibt Lançon. "Ich fühle mich erschöpft." Er werde aussagen, wenn er aufgefordert wird, doch eigentlich habe er nichts Neues zu sagen. Als vor fünf Jahren in Paris Hunderttausende auf die Straße gingen, um Solidarität mit "Charlie" zu demonstrieren, wirkte es kurz so, als sei das Land tatsächlich hinter dem trotzigen Ausruf "Je suis Charlie" vereint. Doch Lançon schließt mit einem Satz, der daran erinnert, wie schnell die Solidarität wieder abebbte: "Ich befürchte, dass viele einfach finden, die Brüder K. haben übertrieben."

Auch bei Überlebenden der Geiselnahme im koscheren Supermarkt hat sich Bitterkeit eingestellt. Patrick Klugman, der 14 Nebenkläger vertritt, berichtet in Libération von der Angst seiner jüdischen Klienten. Seit der islamistischen Anschlagsserie sei es "für Frankreichs Juden schon schwierig, nur die Kinder zur Schule zu bringen". Die Überlebenden seien "immens entmutigt". Seine Klienten hätten das Gefühl, von der Gesellschaft vergessen worden zu sein, "sie wurden auf der Karte der Opfer ausgelöscht".

© SZ vom 03.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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