Polens Regierung:Political correctness - Fehlanzeige

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Der Umgang mit einer taz-Satire ist bezeichnend für die Weltanschauung der polnischen Regierungskoalition. Eine Übersicht der wichtigsten Akteure.

Matthias Kolb

Nicht ganz Polen hat die jetzige Regierung gewählt, sondern nur eine Minderheit der Bevölkerung gab den Parteien der Regierungskoalition beo der Parlamentswahl am 25. September 2005 ihre Stimme.

Nur 40 Prozent der Wahlberechtigten hatten ihre Stimme überhaupt abgegeben. Und nur jeder zweite der knapp 39 Millionen Polen ging einen Monat später zur Urne, um einen neuen Präsidenten zu wählen - ein eindeutiges Zeichen, dass die Polen von ihrer politischen Elite enttäuscht sind.

Dabei wurde eine klare Spaltung des Landes deutlich: Im Süden und im Osten sowie in den Dörfern sind die Menschen eher europaskeptisch und unterstützten mehrheitlich die konservativen beziehungsweise populistischen Parteien der heutigen Koalition.

Im Norden und Westen befürwortet hingegen eine Mehrheit die EU-Mitgliedschaft und wählt vor allem die liberale Bürgerplattform.

Als die neue Regierungskoalition im Frühjahr 2006 ihre Arbeit begann, sprachen sich in einer Umfrage zwei Drittel der Polen gegen die Zusammenarbeit aus Verbindung von "Recht und Gerechtigkeit", "Selbstverteidigung" und der "Liga der polnischen Familie" aus.

sueddeutsche.de charakterisiert die wichtigsten Parteien und Politiker.

Recht und Gerechtigkeit: Die Partei wurde 2001 von den Zwillingsbrüdern Lech und Jaroslav Kaczynski gegründet. Lech Kaczynski hatte in seiner Amtszeit als Warschauer Oberbürgermeister für Aufsehen gesorgt, als er eine Homosexuellen-Parade verbieten ließ und laut über eine Wiedereinführung der Todesstrafe nachdachte.

Die nationalkonservative Partei - die polnische Abkürzung lautet PiS - erhielt im September 2005 mit 27 Prozent die meisten Stimmen. Kurz darauf wurde Lech Kaczynski zum neuen Staatspräsidenten gewählt. Dessen Zwillingsbruder Jaroslav ist der designierte Ministerpräsident des Landes.

Kernpunkte des Parteiprogramms bilden nach Einschätzung des Polen-Experten Kai-Olaf Lang von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ein dezidierter Antikommunismus, der Ruf nach einem aktiveren Sozialstaat sowie eine "moralische Revolution".

Vierte Republik

Dies wurde in dem Schlagwort der "Vierten Republik" gebündelt: Nach der Regierungszeit der postkommunistischen Linken, die durch Skandale, Rücktritte sowie eine anhaltend hohe Arbeitslosenquote gekennzeichnet war, müsse das Land gesäubert und erneuert werden.

Zudem sollten die "nationalen Interessen" Polens in den Vordergrund treten und gerade innerhalb der Europäischen Union durchgesetzt werden. Diese Position hat Jaroslav Kaczynski erst kürzlich in einem Interview bekräftigt.

Selbstverteidigung: Die Partei bekam elf Prozent der Stimmen bei der letzten Parlamentswahl.

Ihr Anführer, der selbst ernannte Bauernführer Andrzej Lepper, war in den Neunziger Jahren bei Straßensperren wegen Sachbeschädigung und Beleidigungen verhaftet worden.

Die Kaczynski-Zwillinge hatte zunächst eine Koalition mit Lepper ausgeschlossen, da sie nicht mit "Vorbestraften" zusammenarbeiten wollten.

An seinem ersten Tag als polnischer Vizepremier war der charismatische Lepper wegen übler Nachrede zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Nach der Ernennung Leppers zum Landwirtschaftsminister waren mehrere Minister der PiS zurückgetreten.

Freund starker Worte

In seiner Wortwahl ist Lepper alles andere als zimperlich: Den früheren Finanzimister und heutigen Nationalbankchef Leszek Balcerowicz bezeichnete er als "Hauptfeind des polnischen Volkes".

Lepper vertrat lange eine europafeindliche Politik und sprach sich gegen einen EU-Beitritt des Landes aus. Zugleich fordert seine Partei bessere Sozialleistungen und niedrigere Steuern. Die Popularität der Partei ist jedoch etwas zurückgegangen, seitdem polnische Bauern Fördergelder aus EU-Töpfen erhalten.

Liga der polnischen Familie: Die ultrakonservative Partei erhielt im September acht Prozent der Stimmen und ist vor allem in Kleinstädten und Dörfern stark.

Eng verbunden mit der Liga (LPR) ist der von Parteichef Roman Giertych gegründete Jugendverband "Allpolnische Jugend", dessen Mitglieder wiederholt mit antisemitischen und schwulenfeindlichen Äußerungen für Aufsehen sorgen.

So bewarfen Aktivisten der Allpolnischen Jugend in Posen die Teilnehmer eines Homosexuellen-Umzugs mit Steinen und skandierten: "Schwule ab ins Gas!". Vor der diesjährigen Parade in Warschau erklärte ein LPR-Abgeordneter: "Wenn Perverse anfangen zu demonstrieren, müssen sie den Knüppel bekommen."

Israelischer Botschafter boykottiert Giertych

Seit die "Liga der polnischen Familie" der Regierung beigetreten ist und Parteichef Giertych Bildungsminister wurde, ist der Ton allerdings etwas gemäßigter geworden. Dennoch hat der israelische Botschafter in Polen einen Boykott Giertychs angekündigt, da dessen Partei antisemitisch sei.

Giertychs Vorbild ist der Nationaldemokrat Roman Dmowski, der sich in der Zwischenkriegszeit für einen Bund slawischer Völker aussprach und Deutschland als "Erbfeind Polens" bezeichnete.

Auf Initiative der LPR soll in polnischen Schulen künftig ein Fach namens "patriotische Erziehung" unterrichtet werden. Die LPR wurde lange vom katholischen Radiosender Radio Maryja unterstützt. Der einflussreiche Sender, der von Millionen Polen gehört wird, wirbt heute mehr oder weniger offen für "Recht und Gerechtigkeit" der Kaczynski-Brüder.

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