Polen:Unser Partner zur Rechten

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Mit sanfter Miene: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (l.) und Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda Anfang Juni in Warschau. (Foto: Janek Skarzynski/AFP)

Die Regierung in Warschau treibt den Abbau des Rechtsstaats voran und ignoriert dabei ein Ultimatum aus Brüssel. Berlin hält sich mit Kritik zurück - auch, um die Handelsbeziehungen nicht zu gefährden.

Von Florian Hassel, Warschau

Bei einem Auftritt in einem 15 000-Einwohner-Städtchen namens Leżajsk stellte Präsident Andrzej Duda vergangenen Dienstag klar, was er von der EU als solcher hält. Das Verhältnis seines Landes zu Europa gründe auf "eine eingebildete Gemeinsamkeit, aus der für uns nicht viel herausgekommen ist", sagte das Staatsoberhaupt: "Wir brauchen Gemeinsamkeit hier bei uns, in Polen, unsere eigene Gemeinsamkeit, konzentriert auf unsere Angelegenheiten, denn die sind für uns das Wichtigste. Wenn wir unsere Sachen geregelt haben, werden wir uns mit europäischen Angelegenheiten beschäftigen. Bis dahin soll man uns in Ruhe lassen und uns gestatten, Polen zu verbessern."

Vorwürfe aus Brüssel, er und die von der nationalpopulistischen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gestellte Regierung höhlten systematisch den Rechtsstaat aus, wies Duda auch bei jenem Auftritt in Leżajsk routiniert zurück. Dabei spielt der Präsident bei der schrittweisen Beseitigung der unabhängigen Justiz eine Schlüsselrolle, indem er Gesetze unterzeichnet, die EU-Recht widersprechen, und indem er unliebsames Personal schasst. Seit Juli hat Duda bereits 21 Richter des Obersten Gerichts entlassen, deren Amtszeit rechtswidrig rückwirkend um fünf Jahre gekürzt wurde. Ein verfassungswidrig besetzter, weil regierungsabhängiger Landesrichterrat wählte unter weiteren Verstößen neue Oberste Richter. All dies, bevor am 14. September um Mitternacht ein Ultimatum der EU-Kommission an Polen ablief, den rechtswidrigen Umbau des Obersten Gerichts zu stoppen. Nach SZ-Informationen dürfte die EU-Kommission am Mittwoch beschließen, Polen deshalb vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.

PiS-Chef Jarosław Kaczyński lehnt Grundlagen richterlicher Unabhängigkeit, die Polen nach Ende des Kommunismus einführte, ebenso ab wie Ministerpräsident Mateusz Morawiecki: Wenn sich Richter selbst wählten, einschätzten und disziplinierten, sei dies "keine Ausgewogenheit der Kräfte", sagte Morawiecki auf einem Parteikongress am 2. September. In einem Echo kommunistischer Parteijustiz wurden schon Fälle bekannt, in denen Richter diszipliniert werden sollen, weil sie sich wegen fragwürdiger neuer Gesetze an den Europäischen Gerichtshof gewandt haben.

Oppositionspolitiker wie das Senatsmitglied Bogdan Klich spekulieren angesichts der immer neuen Attacken auf die EU schon über einen "Polexit". Kaczyński bestritt die Absicht eines EU-Austritts, bekräftigte zugleich aber seine Sicht auf ein Europa, das vor allem als Geldautomat dienen soll: Polen wolle in der EU sein, weil "für die Polen diese Anwesenheit der kürzeste Weg ist, um gleiche Verdienste und Lebensstandards zu erreichen". Premier Morawiecki sagte: "Wir verstehen Europäertum nicht als blinde Gefolgschaft gegenüber Brüssel, sondern als Anheben des Lebensstandards der Polen bis zum westeuropäischen Niveau." Mit 82,5 Milliarden Euro allein im EU-Haushalt von 2014 bis 2020 profitiert Polen mehr vom Brüsseler Geldtopf als jedes andere EU-Mitglied.

Die Linie für den Umgang mit Ländern wie Polen oder Ungarn: "Einbinden, einbinden, einbinden"

Gegen die Politik Warschaus, Ungarns oder auch Rumäniens, zwar gern EU-Milliarden einzustreichen, doch aus der EU-Mitgliedschaft entstehende Pflichten abzulehnen, regt sich zunehmend Widerstand. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian bekräftigte am 29. August auf der jährlichen Botschafterkonferenz, Paris habe nichts für EU-Länder in Mittel- oder Südeuropa übrig, die in der EU keine Pflichten erfüllen wollten und nur "an der Umverteilung von Geld" interessiert seien.

Wie Präsident Emmanuel Macron bereits angezeigt habe: "Wir sind nicht bereit, für dieses Europa zu bezahlen. Das muss klar gesagt werden." Mit solchen Worten stehen die Franzosen öffentlich bisher allein. Zwar schlägt dei EU-Kommission vor, die Auszahlung von EU-Geldern an die Beachtung der Rechtsstaatlichkeit zu knüpfen. Doch ob dem eine qualifizierte Mehrheit der EU-Regierungen zustimmt, ist ebenso offen wie die Haltung Berlins.

So sprach sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier Ende August in Paris mit Außenminister Le Drian ab - doch offenbar nicht über eine Antwort auf Warschaus Umgang mit der Justiz. Diesen erwähnte Altmaier bei einer Rede in Warschau zur Zukunft Europas am 5. September mit keinem Wort. Auch Heiko Maas, der Polen noch als Justizminister im Juli 2017 wegen seines Vorgehens ermahnte, schweigt als Außenminister öffentlich.

Auf der Botschafterkonferenz in Berlin, die sich mit dem Pariser Botschaftertreffen überschnitt, sagte Maas am 28. August zwar, es dürfe in Europa "keine Rabatte zum Beispiel beim Thema Rechtsstaatlichkeit geben. Aber ehrlich gesagt: Als Berliner Oberlehrer mit erhobenem Zeigefinger durch Europa zu ziehen, kann auch sehr schnell kontraproduktiv werden." Das öffentliche Eintreten für den Rechtsstaat in der EU ist keine Priorität Berlins - und erst recht nicht Sanktionen zu seiner Durchsetzung. "Wenn wir Sanktionen gegen Polen zustimmen, müssten wir die auch gegen Ungarn und Rumänien durchziehen. Dazu ist weder in Berlin irgendjemand bereit, noch will dies Juncker", sagte ein hoher Berliner Politiker der SZ.

Zudem will die Bundesregierung den florierenden Handel nicht gefährden. "Für uns steht ungleich mehr auf dem Spiel als für die Franzosen", sagt ein an Berliner Beratungen Beteiligter. Der Handel zwischen Deutschland und Polen erreichte 2017 das Rekordniveau von 110 Milliarden Euro. Zwischen Frankreich und Polen betrug er mit 19,6 Milliarden Euro nicht einmal ein Fünftel davon. Ähnlich sieht es bei anderen EU-Ländern mit wenig Respekt für den Rechtsstaat aus. 2017 betrug der Handelsumfang für Deutschland - Ungarn 51 Milliarden Euro, für Frankreich - Ungarn 7,3 Milliarden Euro. Im deutsch-rumänischen Geschäft setzten Bukarest und Berlin 2017 rund 30 Milliarden Euro um, Paris und Bukarest nur 7,8 Milliarden Euro. Auf der Botschafterkonferenz verpflichtete Maas die deutschen Diplomaten im nichtöffentlichen Teil auf eine Linie zu allen Ländern in Zentral-, Ost- und Südeuropa: "Einbinden, einbinden, einbinden!", so beschreibt es ein Teilnehmer. "Das ist die klare Linie in Berlin. Allerdings weiß keiner, ob sie am Ende auch funktioniert."

© SZ vom 17.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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