Die Europäische Union ist eine Vertrauensgemeinschaft. Ihre Mitgliedsstaaten glauben einander, dass sie Demokratie, Freiheit und Rechtsstaat achten und bewahren. Dieses Grundvertrauen ist wichtiger als Euro, Flagge oder Hymne. Es hebt die EU weit über eine gewöhnliche Staatenorganisation hinaus. Vertrauen bildet den Kitt, der die Völker und Länder der Union zusammenhält und handlungsfähig macht. Ein Ausdruck davon ist der Europäische Haftbefehl. Demnach werden Haftbefehle, die in einem EU-Land ausgestellt werden, prinzipiell auch in den anderen EU-Staaten vollstreckt.
In letzter Zeit wird das Vertrauen in Europa aber strapaziert. Der Grundkonsens darüber, wie die Gesellschaften politisch zu gestalten sind, geht verloren. Dem Konzept der liberalen Demokratie westlicher Prägung setzt Ungarns Premier seine Idee einer "illiberalen Demokratie" entgegen. Und in Polen betreibt die Regierung eine Justizreform, die die Gerichte deformieren soll - zum Werkzeug der Regierung.
Nun hat der Europäische Gerichtshof darauf reagiert. Er bestimmt: EU-Staaten dürfen polnische Haftbefehle nicht mehr vollstrecken, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass der Gesuchte in Polen keinen fairen Prozess bekommt. Die Entscheidung ist richtig und traurig zugleich. Sie zeigt, wie viel Vertrauen in Europa verloren gegangen ist.