Podiumsdiskussion:Gauck stellt sich gegen "Denken in Freund-Feind-Bildern"

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Der Bundespräsident ruft in Berlin zu mehr Respekt und Toleranz auf.

Von Constanze von Bullion

Es ist ein ungewöhnliches Treffen, das der Gastgeber gleich zur Streitertüchtigung nutzt. Mehr als 700 Bürgermeisterinnen, Bürgermeister und andere Kommunalpolitiker sind am Montag, dem Geburtstag des Grundgesetzes, bei Bundespräsident Joachim Gauck in Berlin eingeladen. Die Schar der Engagierten ist so groß, dass das Erinnerungsfoto aus der Vogelperspektive geschossen werden muss. Vor dem Empfang in Schloss Bellevue gibt Gauck den Gästen im Berlin Congress Center Antwort auf das, was er bei Reisen in drei Regionen Deutschlands zu hören bekommen hat: Geschichten vom Zanken und vom Bürgerzorn.

"Im Land ist ein deutliches Unbehagen zu spüren", sagt Gauck vor einer Podiumsdiskussion mit dem Motto "Gelebte Demokratie in den Kommunen". Bei dieser Veranstaltung wird diskutiert, wie das Verfassungsprinzip der kommunalen Selbstverwaltung mit Leben gefüllt werden kann in einer Zeit, in der globale Umwälzungen deutsche Städte und Gemeinden erreichen. Schulden, Europa, Terror, Flucht - bei vielen Bürgern herrsche ein "Gefühl der Unsicherheit", sagt Gauck. "Bei einigen Menschen hat sich das Denken in Freund-Feind-Bildern breitgemacht, weil sie sich von der Politik und den Institutionen übergangen fühlen." Das münde in Kampfbegriffe wie "Lügenpresse", in giftige "Wutgemeinschaften", bisweilen in Straftaten.

"Die Toleranz des demokratischen Verfassungsstaates endet dort, wo zu Hass und Gewalt aufgestachelt wird", so der Bundespräsident. Es irre sich auch, wer meine, die Demokratie habe "eine kulturelle Trennlinie zu ziehen zwischen denen, die zu dem sogenannten wahren Volk gehören, und jenen, die ihm nicht angehören sollen". In einer Gesellschaft, die vielfältiger geworden sei, müsse es darum gehen, der Pluralität Rechnung zu tragen, "damit sich möglichst viele der Bürger repräsentiert sehen".

Werkstatt der Demokratie, so nennt Gauck die Kommune. Sie sei ein Raum, in dem Menschen dem Staat direkt begegnen und "Vertrauen in das Prinzip der Teilhabe gewinnen" könnten. Den Verantwortlichen falle die Aufgabe zu, Debatten zu ermöglichen. "Kontroversen sind kein lästiges Übel", sagt Gauck. "Spannungen löst man nicht, indem man andere ausgrenzt und Meinungen stigmatisiert. Spannungen löst man durch Offenheit und Gegenargumente." Dazu gehöre, unterschiedliche Haltungen auszuhalten, Fremde zu respektieren. Und mit mehr Vielfalt müsse das Land auch - frei nach Willy Brandt - "mehr Demokratie ertragen". Im Saal wird applaudiert, als entlade sich eine Gewitterwolke, der Bundespräsident aber ist noch nicht fertig. "Wir können uns stützen auf einen Grundvorrat an Selbstvertrauen, und diesen Grundvorrat an Selbstvertrauen lassen wir uns von niemandem nehmen", sagt er. Anpacken statt fürchten, soll das heißen.

© SZ vom 24.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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