Pläne für Warnschussarrest:Jugendstrafrecht - keine Kuschelecke

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Immer wieder wird der Ruf nach einem schärferen Jugendstrafrecht laut. Dabei ist es schon jetzt nicht milder, nur flexibler als das Erwachsenenstrafrecht. Die wichtigsten Fragen zur Reform, die die Koalition nun beschließen will.

Heribert Prantl

William Shakespeare hat, als er vor vierhundert Jahren "Das Wintermärchen" schrieb, einen alten Schäfer sagen lassen: "Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: Denn dazwischen ist nichts als den Dirnen Kinder schaffen, als die Alten ärgern, als stehlen und balgen."

Pädagogen, Kriminologen und Jugendstrafrechtler haben immer wieder zu diesem Dichterwort gegriffen, um zu belegen, dass Jugendkriminalität eine altersbedingte Erfahrung sei, und es gelte, dieser schwierigen Phase nicht mit Hysterie, sondern mit Gelassenheit zu begegnen. Und sie haben dem Gesetzgeber klarzumachen versucht, dass verschärftes Einsperren Jugendliche nicht besser mache, sondern vollends verderbe.

Indes: Wer heute über jugendliche Gewalttäter nachdenkt, der denkt nicht an balgende und stehlende Jugendliche. Als die Union vor gut zwanzig Jahren begann, die Verschärfung des Jugendstrafrechts zu fordern, sah sie die Jugendlichen und Heranwachsenden vor sich, die in Mölln und Solingen mörderische Brandsätze legten und die Ausländer zusammenschlugen. Nachsicht mit ihnen? Heute denkt man an Jugendliche, die im Suff auf Bahnsteigen wie von Sinnen auf Menschen eintreten.

Zwar sinkt laut Kriminalstatistik die Zahl der Tatverdächtigen: Bei den Jugendlichen, also den 14- bis 18-Jährigen, sank die Zahl seit dem Höchststand von 1998 bis zum Jahr 2009 um 15,9 Prozent; bei den Heranwachsenden, also den 18- bis 21-Jährigen, sank die Zahl der Tatverdächtigen seit dem Höchststand im Jahr 2004 bis 2009 um 5,5 Prozent. Aber: Es steigt die Brutalität. Nachsicht mit solchen Tätern? Es geht nicht um flaumbärtige Ladendiebe, sondern um gemeingefährliche Täter. Der Ruf nach einem schärferen Jugendstrafrecht ist daher latent laut. Der Strafrichter soll das Versagen von Eltern, Schule und Erziehungshilfe kompensieren - durch Urteil mit Schockwirkung. Die Fachleute warnen.

Ein Stimmenbringer ist die Forderung nach Verschärfung nicht unbedingt: Roland Koch hat damit Anfang 2009 die Landtagswahl in Hessen verloren. Das Jugendstrafrecht ist freilich in den vergangen Jahren wiederholt härter gemacht worden. Zuletzt wurde die Sicherungsverwahrung für gefährliche junge Täter eingeführt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) lässt, den Festlegungen des schwarz-gelben Koalitionsvertrages gemäß, seit einem Jahr ein Gesetz vorbereiten, welches das Jugendstrafrecht verändert; die Ministerin vermeidet das Wort Verschärfung, weil sie sich gegen diese immer verwahrt hat. Faktum ist aber, dass sie die Forderungen der CDU/CSU, die im Koalitionsvertrag niedergelegt sind, umsetzen muss. Sie tut es, indem sie die neuen Paragraphen so einzugrenzen versucht, dass diese den Charakter des Jugendstrafrechts als Erziehungs- und Präventionsstrafrecht nicht verändern.

Ist das Jugendstrafrecht zu lasch?

Es ist im Gegensatz zu einer verbreiteten Meinung nicht die Kuschelecke der deutschen Justiz. Es ist nicht milder, es ist vielmehr flexibler als das Erwachsenenstrafrecht. Es kann sogar erheblich härter sein, wenn diese Härte aus pädagogischen Gründen geboten ist.

Was sind die wichtigsten Unterschiede zwischen dem Strafrecht für Jugendliche und dem für Erwachsene?

Im Erwachsenenstrafrecht gibt es im Wesentlichen nur die Alternative Geld- oder Freiheitsstrafe. Das Jugendstrafrecht hat die Alternativen erweitert und daneben eine Fülle anderer Sanktionen entwickelt: Arreste, Weisungen, Arbeitsauflagen, Trainingskurse, den Täter-Opfer-Ausgleich. Im Bereich kleinerer und mittlerer Straftaten wurde so das Einsperren vermieden, weil Jugendliche im Knast oft zur Begehung weiterer Straftaten "erzogen" werden: Die Rückfallquote nach Jugendstrafe liegt bei mehr als siebzig Prozent. Strafhaft soll, dies ist der Grundgedanke des Jugendstrafrechts, auf diejenigen Fälle beschränkt bleiben, wo es wegen der Schwere der Schuld und der Tat sowie der Gefährlichkeit des jungen Täters unabdingbar ist.

Was verändert der Warnschussarrest, den das neue Gesetz vorsieht?

Er kombiniert eine auf Bewährung verhängte Jugendstrafe mit einem Arrest. Das ist bisher nicht möglich. Der verurteilte Täter soll nicht einfach alles verdrängen können, sondern "wenigstens etwas verspüren", wie es in den Materialien zum neuen Gesetz heißt.

Warum gibt es das bisher noch nicht?

Eine Jugendstrafe auf Bewährung ist juristisch eine viel härtere Strafe als ein Arrest, weil sie ja jederzeit widerrufen werden kann. Die Öffentlichkeit und der Betroffene werten das meist anders, weil man die Strafe erst spürt, wenn die Bewährung widerrufen ist. Der Warnschussarrest wird daher von seinen Befürwortern als eine Art Bewährungszuschlag verstanden.

Warum ist die Kritik so laut?

Der Warnschussarrest kann nicht gleich nach der Tat verhängt werden, sondern erst nach dem Urteil, also Wochen oder Monate nachher. Schon heute müssen Jugendliche oft viele Monate warten, bis eine Arrestzelle frei ist. Und: die abschreckende Wirkung des Arrests ist auch umstritten. Die kriminalitätsansteckende Wirkung ist dagegen erwiesenermaßen hoch. Denn Erziehung und soziales Training finden hinter Gittern viel zu wenig statt.

Wie sehen die Voraussetzungen für den Warnschussarrest im neuen Gesetz aus?

Der Gesetzentwurf will, dass der Warnschussarrest nur in drei Fällen verhängt werden kann: Erstens wenn die Bewährungsstrafe ansonsten vom Verurteilten nicht ernst genommen würde; zweitens wenn der Verurteilte in einem sozialen Umfeld mit schädlichen Einflüssen lebt - dann soll im Rahmen des Arrestvollzugs "gezielt die Bewährungszeit" eingeleitet werden"; und drittens, wenn der Arrest geboten ist, um besser erzieherisch auf den Verurteilten einwirken zu können.

Gibt es bessere Alternativen?

Den stärksten Eindruck auf den Beschuldigten macht es, wenn er nach der Tat in Untersuchungshaft bleiben muss und Anklage, Verhandlung und Urteil schnell folgen. Den Beschuldigten in U-Haft zu behalten, ist aber nicht so einfach; es sei denn, es geht um Mord oder Totschlag, diese Vorwürfe sind per se Haftgrund.

Bei Jugendstrafverfahren müssen häufig psychiatrische Gutachter eingeschaltet werden. Das dauert - weil die jungen Leute beim Gutachter nicht auf dem Schemelchen sitzen. Wenn man brutale heranwachsende Täter nach der Tat leichter in der U-Haft behalten könnte, ginge auch die Begutachtung schneller und man käme schneller zum Urteil.

Ist die Erhöhung der Höchststrafe von zehn auf 15 Jahre für Heranwachsende notwendig?

Diese Forderung wird in zahlreichen Gesetzentwürfen seit 1998 erhoben. Die Abschreckungswirkung gilt aber als zweifelhaft und als mit dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts unvereinbar. Die CDU/CSU will indes ohnehin auf Heranwachsende das Erwachsenenstrafrecht anwenden. Dann müsste der 20-jährige Mörder nicht nur 15 Jahre, sondern lebenslang hinter Gitter. Nach dem neuen Gesetzentwurf soll die neue 15-jährige Höchststrafe in den (äußerst seltenen) Fällen besonders grausamer Morde verhängt werden. Das bisherige Strafmaß ist nicht nur von Teilen der Öffentlichkeit, sondern vereinzelt auch von Richtern als unzureichend angesehen worden.

© SZ vom 30.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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