Piraten vor Somalia:Korsarenträume

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Was tun, wenn die Piraten kommen? Am besten sich ergeben. Denn die Jagd auf Seeräuber birgt weltpolitisches Konfliktpotential.

Andrian Kreye

Als das Mutterschiff der Piraten um die Mittagszeit herum im Blickfeld der Kreuzfahrtyacht Le Ponant auftauchte, schöpfte Kapitän Patrick Marchesseau erst keinen Verdacht. Ruhig lag das Piratenschiff im Wasser, wie eines der Hochseefischerboote, die vor der ostafrikanischen Küste auf Thunfischjagd gehen.

Als kurze Zeit später zwei Schnellboote auf die Yacht zurasten, überlegten Marchesseau und seine Mannschaft kurz, wie sie sich wehren könnten. Minuten später hatten acht bewaffnete Somalier die Yacht gekapert.

Die Geschichte der Entführung der Ponant trug sich im April vergangenen Jahres zu. Sie gilt als Lehrstück. Nicht nur weil Kapitän Marchesseau die Entführung in einem Buch ausführlich beschrieben hat, sondern vor allem weil Nicolas Sarkozy die Entführung der Ponant damals als ersten Piratenfall zur Staatschefsache erklärte und als Heldengeschichte inszenierte. Kamerateams begleiteten jeden einzelnen Schritt des Einsatzes seiner Streitkräfte zu See, Luft und Land.

Am spektakulärsten waren da die verwackelten Aufnahmen der sechs Hubschrauber, die wenige Stunden nach Übergabe des Lösegeldes in der somalischen Wüste einen Geländewagen stoppten, die Insassen festsetzten und einen Teil des Lösegeldes sicherstellten, bevor sie den Wagen mit einer Panzerabwehrrakete in die Luft sprengten.

Drei Tage später brachte eine Maschine der Regierung die dreißig befreiten Geiseln vom französischen Stützpunkt in Dschibuti nach Paris. Die Ankunft war perfekt geplant - eine halbe Stunde vor Beginn der Abendnachrichten im französischen Fernsehen nahm Sarkozy die Geiseln höchstpersönlich in Empfang.

Der Präsident sah blendend aus. Ein Held.

Kein Mensch interessierte sich dafür, dass er bei seiner spektakulären Piratenjagd das Völkerrecht in ,,Dirty-Harry''-Manier vom Tisch gefegt hatte; dass seine heldenhaften Soldaten letztlich nur glorifizierte Geldboten waren, die das Lösegeld der Versicherungsgesellschaft an die Piraten überstellten; und dass er gemeinsam mit seinen Stabschefs eines der kompliziertesten völkerrechtlichen Probleme auf den Bubentraum von der Jagd nach wilden Korsaren reduzierte.

Für Staatschefs, Außen- und Verteidigungsminister ist so eine Piratenjagd seitdem eine große Versuchung. In Zeiten der offensichtlichen Ohnmacht, in denen die Industrienationen weder den Terrorismus noch die Wirtschaftskrise in den Griff bekommen, scheint die Piraterie ein vergleichsweise kleines Problem zu sein, dem man allerdings mit spektakulären Aktionen beikommen kann, die jeden der Beteiligten als Helden dastehen lassen. Allerdings kratzen die Piraten an mehr als nur an der Ehre der Handelsnationen.

Der Historiker Paul Kennedy hat mehrfach beschrieben, dass seit dem Ende des Kalten Krieges der geostrategische Einfluss einer Nation wieder an seiner Seemacht gemessen wird. Atomwaffen sind nur noch eine Gefahr, kein strategischer Vorteil mehr. Wer einen Flugzeugträger besitzt, kann dafür ganze Weltgegenden kontrollieren. Dieses militärische Paradigma stellen die Piraten in Frage.

33 Kriegsschiffe sind derzeit im Rahmen der EU-Mission ,,Atalanta'' vor der somalischen Küste unterwegs. Viele Handelsschiffe befahren die Gegend nur noch im Konvoi. Das hat die Piraten nicht davon abgehalten, am vergangenen Dienstag in einem solchen Konvoi den deutschen Frachter MS Victoria zu kapern.

Überhaupt lassen sie sich von der Kriegsmaschinerie der Großmächte nicht weiter beeindrucken. Als während der Entführung der Ponant eine kanadische Fregatte am Horizont auftauchte, reagierten die Piraten mit Schulterzucken. Was sollte das Kanonenboot schon tun? Die Geiseln würden sie ja nicht in Gefahr bringen. Wie aber sollen sich die Großmächte weltpolitisch behaupten, wenn sie nicht einmal einen ihrer wichtigsten Handelswege schützen können - den Seeweg von Europa nach Asien?

Deswegen erregte auch kaum eine Geschichte in den letzten Monaten weltweit so viel Aufsehen wie die Befreiung des Frachterkapitäns Richard Phillips, bei der Scharfschützen der amerikanischen Navy Seals drei Piraten mit gezielten Todesschüssen erledigten.

Da hatten Barack Obama und Hillary Clinton endlich ihre eigene Heldengeschichte, die Clinton mit der Ankündigung flankierte, die Piratennester auszuräuchern. Und hätte die GSG 9 vorige Woche wie geplant den entführten Frachter Hansa Stavanger gestürmt, hätten sich auch Merkel und Steinmeier als Piratenjäger profilieren können. So hat Deutschland bisher nur ein paar Piraten verhaftet, die sie an die Gerichtsbarkeit in der kenianischen Hafenstadt Mombasa überstellten.

Über so viel weltpolitische Unordnung nachzudenken, verlangt nach einem geordneten Rahmen. Die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht war da vor einigen Wochen eine passende Gelegenheit. Da salutierten schon an der Einfahrt zur Universität der Bundeswehr in Neubiberg bei München die Wachposten im frisch gebügelten Flecktarn. Im Unterschied zu den Militärakademien befreundeter Staaten wird hier nicht nur militärisch, sondern auch wissenschaftlich auf höchstem akademischen Niveau unterrichtet.

Eigentlich ging es um humanitäres Völkerrecht, doch abseits der Podien drehten sich die Gespräche meist um die Piraten. Vielleicht liegt es ja daran, dass das Seerecht der Antike ein Vorläufer des modernen Völkerrechts war. Bis heute verstrickt sich die Debatte dabei in den Widersprüchen zweier Seerechtsphilosophien, die im 17. Jahrhundert formuliert wurden. 1609 veröffentlichte der Philosoph und Rechtsgelehrte Hugo Grotius seine Schrift über das ,,Mare Liberum''.

Nach Grotius gehören die Meere allen. Jeder darf sie befahren und ausbeuten. Kurze Zeit später verfasste der englische Universalgelehrte John Selden die Antwort ,,Mare Clausum'', die 1635 erschien. Demnach gehörten die Meere rund um die Küsten sehr wohl den anrainenden Staaten. Ein weiterer Holländer, Cornelis van Bynkershoek, vertrat später die These, die Gewohnheitsrecht wurde: Dass diese Einflusssphäre drei Meilen reichen sollte, so weit wie die Reichweite einer Kanone.

Heute ist diese Zone längst auf zweihundert Meilen erweitert. Doch das rechtsphilosophische Problem bleibt. Eine der Größen seines Fachs brachte das Problem auf den Punkt: ,,Schade, dass wir da nicht mehr wie Karl V. vorgehen können.''

Der hatte im Sommer 1535 den Korsarenherrscher Barbarossa aus dem Mittelmeer vertrieben und dabei dessen Piratennest Tunis zur Plünderung freigegeben. Was für die Völkerrechtler ein Fachwitz ist, wird in den USA allerdings schon ernsthaft debattiert. Der texanische Kongressabgeordnete Ron Paul schlug vor, die Tradition des Kaperbriefes wieder einzuführen, mit dem schon Klaus Störtebeker und Sir Francis Drake auf staatlich sanktionierte Raubzüge fuhren.

So aber sehen sich auch die somalischen Piraten, denn die Geschichte Somalias der letzten siebzehn Jahre bringt geopolitische Besonderheiten ins Spiel, die im Völkerrecht nicht vorgesehen sind. Die Seeräuber sehen sich nämlich eigentlich als Patrioten. So erklärten die Entführer der Ponant, sie gehörten zu einer Gruppe, die sich "Die Küstenwache" nennt. Rund fünf solche patriotischen Piratengruppen gibt es.

Und hier liegt auch die Wurzel des Problems. Als der Staat Somalia 1991 mit dem Sturz Siad Barres zerfiel, gab es auch keine Marine mehr, welche die Küstengewässer vor den inzwischen fünf Teilstaaten bewachen konnte. Bald schon tauchten europäische und asiatische Fischdampfer vor der somalischen Küste auf.

Bis zu 700 solche ausländischen Fischdampfer waren in den somalischen Gewässern unterwegs. Die Fischgründe dort gehören zu den reichhaltigsten der Welt - Thunfisch, Schwertfisch, Kabeljau, Hummer und Krabben gibt es hier. Einige der Fischer gaben an, Genehmigungen der somalischen Regierung zu haben.

Oft waren das einfache Passierscheine, die ihnen Warlords gegen ein entsprechendes Entgeld auf dem Briefpapier der gestürzten Regierung ausgestellt hatten. Andere operierten ganz ohne den Schein der Legalität. Nach Schätzungen der Ernährungsorganisation der UN (FAO) erbeutet diese internationale Fangflotte in somalischen Gewässern jedes Jahr Fisch im Wert von rund 300 Millionen US-Dollar.

Die selbsternannten Küstenwächter begannen Mitte der neunziger Jahre, Fischdampfer zu stürmen. Zunächst wollten sie diese nur vertreiben. Dann begannen sie eigenmächtig eine Fischereisteuer zu erheben. Die belief sich schon bald auf mehrere Hunderttausend US-Dollar pro gekapertem Fischdampfer. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich das organisierte Verbrechen für diesen Einkunftszweig interessierte.

Wie wenig Recht und Gesetz vor der Küste Somalias allerdings gelten, zeigte erst der Tsunami von 2004. Die gewaltige Flutwelle zerstörte nicht nur einige Fischerdörfer entlang der 3300 Kilometer langen Küste. Sie schwemmte auch einige rostbefallene Stahltanks an Land. Und überall dort, wo diese Tanks anschwemmten, klagten die Bewohner der Küstendörfer schon bald über Ausschlag und Krankheiten.

Gift-und Atommüll fanden Spezialisten aus dem Ausland in diesen Tanks. Denn vor der Küste Somalias bereichern sich nicht nur internationale Fischereikonzerne. Die italienische Mafia versenkte dort giftige Fracht in der See. Ein lohnendes Geschäft. Die Entsorgung einer Tonne Giftmüll kostet in Europa um die tausend Euro. Die Mafia erledigt das diskret für acht Euro.

Kein Wunder also, dass sich die meisten Somalier mit den Piraten identifizieren, auch wenn sie von den Raubzügen nur wenig profitieren. Nicht einmal die Piraten selbst verdienen ja mit ihren Aktionen viel Geld. Zwischen fünf- und zwanzigtausend Dollar bleibt einem Seeräuber von den Lösegeldern, die sich für einen Frachter oder Tanker inzwischen um die ein bis drei Millionen bewegen. Den Rest teilen sich die Warlords und begüterten Schattenmänner im Ausland, welche die Kaperfahrten finanzieren.

So wurde aus den Rebellen wie so oft eine Verbrecherorganisation und doch bleibt der Ruf der wilden Patrioten. Beim jüngsten Gipfel der Afrikanischen Union rechtfertigte der Vordenker des Panafrikanismus, Muammar el-Gaddafi die Raubzüge der Piraten: Sie verteidigten doch nur ihr Recht auf Nahrung. Als versierter Populist weiß er, dass er mit einer solchen Guerillaromantik einen Nord-Süd-Konflikt beschwört, der ihm politisch nutzen kann.

Gerade deswegen muss die Piratenjagd der Industrienationen völkerrechtlich wasserdicht sein. Das versuchte die Seerechtlerin Doris König von der Brucerius Law School in Hamburg in ihrem Vortrag für die Völkerrechtler in Neubiberg zu eruieren. Akribisch durchforstete sie die völkerrechtlichen Fallen der modernen Piratenjagd.

Da gibt es eigentlich viel Spielraum. Der Begriff der Notwehr reicht auf See sehr weit. Deutschland, Frankreich und die USA sind Mitglieder in einem System der kollektiven Sicherheit, das in diesem Falle die Vereinten Nationen stellen. Deren Sicherheitsrat hat im März dieses Jahres ein Mandat erlassen, das Völkerrechtler als sogenanntes robustes Mandat bezeichnen. In der Praxis heißt das: Es darf auch geschossen werden. Die Todesschüsse der Navy Seals sind jedenfalls damit abgedeckt.

Auch die Verhaftung der neun somalischen Verdächtigen, die angeblich einen Raketenangriff auf den Frachter MV Courier der Hamburger Reederei Winter geführt hatten, wäre mit diesem Mandat gedeckt. Sarkozys Hubschraubereinsatz und Clintons Pläne für die Einnahme der Piratennester sind da schon problematischer. Bei einer Verfolgung der Piraten zu Land wäre die Souveränität der Nation verletzt, auf deren Territorium man sie jagt. Doch wenn es keine Nation gibt?

Deutsche Marinesoldaten dürfen, völkerrechtlich gesehen, beispielsweise im Rahmen des UN-Mandats auf Piratenjagd gehen. Ob und inwieweit sie das auch nach deutschem Recht dürfen, war auf der Tagung streitig. Gelten die Grundrechte des Grundgesetzes nur auf deutschem Staatsgebiet, oder wo immer die deutsche Staatsgewalt agiert? Bejaht man diese Grundrechtsbindung, bräuchte die Marine eine gesetzliche Eingriffsnorm.

Die haben zwar polizeiliche Eingreiftruppen wie die GSG 9, die aber nicht über die nötige Ausrüstung für so einen Einsatz verfügen. Die Marine hat eine solche gesetzliche Ermächtigung nicht, da muss man, und das ist unter Juristen streitig, aus dem Völkerrecht irgendetwas Gleichwertiges konstruieren.

Vollkommen ungeklärt ist auch, ob die Überstellung der Piraten an die Gerichtsbarkeit in Kenia rechtens war oder nicht. Das Bundesjustizministerium hat beim Auswärtigen Amt deswegen um Auskunft gebeten, aber bisher noch keine Antwort erhalten. Allen beteiligten Staaten wäre es sowieso lieber, wenn Mombasa zu einer Art Den Haag der Piratenfälle würde. Dagegen spricht allerdings die Realität dort, die weder rechtsstaatliche Behandlung noch eine ordentliche Inhaftierung der verdächtigten Piraten garantiert.

Doch nicht nur das Völkerrecht zweifelt an den Piratenjägern. Auch auf hoher See stoßen sie auf Ablehnung. Auf einem Expeditionsschiff, das derzeit im Auftrag eines amerikanischen Telekommunikationskonzerns vor der ostafrikanischen Küste kreuzt, drehen sich die Gespräche beispielsweise seit Wochen um nichts anderes als um Piraten.

Zwei grundsätzliche Fragen stellten sich dabei immer wieder aufs Neue. Wenn die gefürchteten Schnellboote auftauchen, wenn die ersten Schüsse fallen und die Enterhaken über die Reeling fliegen - soll man sich wehren oder ergeben? Schleppleinen liegen bereit, mit denen man verhindern kann, dass sich die Piraten von Heck nähern, sowie Wasserschläuche, mit denen man die Piraten von ihren Strickleitern spritzen kann. Außerdem hat der Telekommunikationskonzern vier bewaffnete Sicherheitsmänner engagiert, die das Schiff seit Monaten begleiten.

Jedes Mal wieder kommen die Seeleute zu dem gleichen Ergebnis: auf alle Fälle ergeben. Was sollen vier unterbezahlte Wachmänner mit Schrotflinten schon gegen einen Haufen hochmotivierter Piraten mit Granatwerfern und schnellfeuernden Sturmgewehren ausrichten? Lieber sollte man darauf hoffen, dass der Konzern Schiff und Mannschaft bald auslöst. Das war bisher eigentlich immer der Fall. Nur die Russen lassen ihre Mannschaften manchmal monatelang in einem dieser gottverdammten Piratennester entlang der somalischen Küste schmoren.

Nein, die viel größere Angst haben sie eigentlich davor, dass Marinetruppen versuchen könnten, sie aus einer Geiselhaft zu befreien. Denn Tote gab es bisher immer nur, wenn die Streitkräfte der Großmächte eingriffen, die vor den afrikanischen Küsten patrouillieren. Wie vor vier Wochen, als französische Einsatztruppen die Segelyacht Tanit befreiten und dabei nicht nur zwei Piraten, sondern auch der Skipper ums Leben kamen. Nein, so sagen sie freimütig, letztlich bezahlen doch die Versicherungen. Mit denen hat doch niemand ein Mitleid.

So aber wird die Piratenjagd zum weltpolitischen Bubentraum mit einer gewaltigen Menge Konfliktstoff. Was wie heroische Polizeiarbeit auf hoher See aussieht, scheitert letztlich an den Realitäten einer Welt, in der sich die Industrienationen an ihre eigenen Gesetze zu halten haben, auch wenn sie in einer Region operieren, die längst in eine Zeit zurückgefallen ist, in der es keine Nationalstaaten und somit auch keine internationalen Verbindlichkeiten geben kann.

© SZ vom 9./10. Mai 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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